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RAUB/1156: Schweinetod - dem Menschen zum Schaden, dem Menschen zum Fraß ... (SB)



Noch hat die Zahl der im US-Gliedstaat North Carolina lebenden Schweine die seiner menschlichen Bevölkerung nicht eingeholt. Doch das ist bloß ein abstrakter Zahlenvergleich und hat mit der Lebensrealität beider Gruppen fast nichts zu tun. 8,9 Millionen Schweine sind auf engstem Raum in fabrikartigen Zuchtfarmen untergebracht, während sich die 10,2 Millionen Menschen des Staates auf eine Fläche verteilen, die fast doppelt so groß wie das größte Bundesland NRW ist. Seit der Schweinemonopolist Smithfield Foods einen erheblichen Teil seiner jährlich 27 Millionen Schlachttiere in North Carolina aufzieht und verarbeitet, hat die Zahl der Betriebe, die als Concentrated Animal Feeding Operation (CAFO) gelten, dort erheblich zugenommen. Dem Begriff liegt eine Norm des US-Landwirtschaftsministeriums zugrunde, laut der es sich bei einem Zucht- und Mastbetrieb ab dem Bestand von 1000 Tiereinheiten um eine CAFO handelt. Eine Tiereinheit entspricht 1000 US-amerikanischen Pfund an Lebendgewicht, so daß ein Betrieb mit mindestens 1000 Rindern, 2500 Schweinen oder 125.000 Schlachthähnchen als CAFO geführt wird.

Die Kategorie ist insbesondere unter Umweltgesichtspunkten von Belang, sind die hochkonzentrierten Tierfabriken doch Quell massiver Kontaminationen von Grundwasser und Atemluft. So werden die Abwässer aus den Ställen in große, nach unten und zur Seite hin abgedichtete Seen geleitet, in denen sich die festen Bestandteile der Mischung aus Exkrementen, Urin und Blut, aus Tot- und Nachgeburten, aus Medikamenten und anderen Chemikalien ablagern, um das verbleibende Wasser für die Weiterbehandlung in Aufbereitungsanlagen vorzubereiten, wenn es nicht ohnehin über nahegelegenen Feldern versprüht wird.

3300 dieser meist zwei Fußballfelder großen und zehn Meter tiefen Lagunen gibt es in North Carolina. Die nach oben offenen Gülleseen dunsten erhebliche Mengen an Treibhausgasen wie Kohlendioxid und Methan als auch an Ammoniak ab, das zusammen mit Stickstoffoxiden für die Bildung von bodennahem Ozon verantwortlich sind. Zudem führt das in der Landwirtschaft durch Düngemittel und Tierverwertung freigesetzte Ammoniak zur Bildung von Feinstaub. In der Bundesrepublik sollen rund 40 Prozent aller durch Luftverschmutzung bedingten Todesfälle auf ammoniakbedingte Prozesse zurückzuführen sein [1].

Die massenhafte Schweinehaltung gilt auch als Hauptquell für die Bildung antibiotikaresistenter Stämme des Bakteriums Staphylococcus Aureus, die unter anderem mit dem sich über den Güllelagunen bildenden Gasgemisch in die Umwelt entlassen werden. Die großen Mengen an tierischen Ausscheidungen, die eine CAFO produziert, belasten das Wasser mit pathogenen Keimen aller Art, mit Parasiten wie Spulwürmern, mit Nitraten, Phosphaten, Pestiziden, Hormonen, Antibiotika und Schwermetallen. Die Menschen, die im näheren Umkreis solcher Anlagen leben, leiden häufig unter chronischen Erkrankungen insbesondere der Atemorgane, wobei ein kausaler Zusammenhang zu den Gülleseen von den Betreibern der Anlagen meist erfolgreich abgestritten wird. In North Carolina leben weit überproportional AfroamerikanerInnen und Menschen aus anderen ethnischen Minderheiten im Umkreis der CAFOs. Weil sie so arm sind, daß sie den krankmachenden Bedingungen nicht ausweichen können und nur die Möglichkeit haben, nicht vor die Tür zu gehen, um sich vor dem Gestank und den Giften zu schützen, sprechen SozialwissenschaftlerInnen in solchen Fällen von Umweltrassismus (environmental racism).

Als Hurricane Florence letzte Woche über die US-Ostküste hereinbrach und North Carolina besonders hart traf, war denn auch die größte Sorge, daß die Gülleseen über ihre Ufer treten und die darin enthaltenen Gifte ins Grundwasser gelangen. Das läßt sich ohnehin kaum vermeiden, denn in jedem US-Gliedstaat mit einer hohen Zahl von CAFOs kommt es laut der US-Umweltschutzbehörde EPA zu 20 bis 30 gefährlichen Kontaminierungen der Trinkwasserbestände im Jahr. Die Regierung North Carolinas hat bislang keine konkreten Zahlen bekanntgegeben, aber angesichts vieler bis an die Stalldächer überfluteter Schweinfarmen ist davon auszugehen, daß der Inhalt zahlreicher Güllelagunen mit den Wassermassen in die Landschaft getrieben wurde. Bei früheren Hurricanes haben diese Überflutungen zu massivem Fischsterben in den Flüssen und Seen der Region geführt, so giftig war die Gülle auch noch in ihrer durch Regenfluten verdünnten Form.

Hurricane Florence hatte auch zur Folge, daß 5500 Schweine in ihren Ställen ertrunken sind. Das ist die höchste Zahl seit 1999, als Hurricane Floyd zum Tod von 21.000 Schweinen führte, stellt aber angesichts der Tatsache, daß allein im größten Schlachthof North Carolinas Tar Heel 35.000 Schweine täglich geschlachtet und verarbeitet werden, eher eine Randnotiz dar. Selbst die Zahl von 3,4 Millionen dieses Mal in North Carolina ertrunkener Hühner hat wenig Aufsehen erregt, handelt es sich doch bei den hauptsächlich umgekommenen Brathähnchen um Vögel, die innerhalb von 40 Tagen Schlachtreife erlangt haben. Sechs bis sieben Monate Leben in drangvoller Enge bei schwer atembarer Luft auf Spaltenboden in einem künstlich beleuchteten Stall sind einem Mastschwein vergönnt, das unter anderen Bedingungen bis zu 20 Jahre alt werden kann.

Die Tierschutzorganisation Four Paws wirbt mit Bildern geretteter Hunde um Spenden für Hilfseinsätze für die von den Fluten bedrohten Tiere [2]. Von Schweinen ist nicht die Rede, und vermutlich würde den AktivistInnen, selbst wenn sie wollten, kein Zugang zu den CAFOs gewährt werden. Der Fleischkonzern Smithfield hat die Schweinefleischproduktion North Carolinas, die früher auf viele Höfe und in eigener Regie wirtschaftende Unternehmen verteilt war, weitgehend aufgekauft und in vertikaler Integration von der künstlichen Befruchtung bis zur Endauslieferung im Supermarkt - in der Industrie wird das gerne mit "from squeal to meal" (vom Quieken bis zur Mahlzeit) oder "from birth to bacon" (von der Geburt bis zum Schinken) umschrieben - unter einem Dach organisiert.

2013 wurde Smithfield Foods für geschätzte 4,7 Milliarden Dollar von der chinesischen Unternehmensgruppe WH gekauft. In deutschen Boulevardblättern, die sich immer wieder gerne über die Praxis des Konsums von Hundefleisch in China empören und den Tierschutz auf diese Weise mit kaum verhohlenem Rassismus aufladen, sind bislang nicht dadurch aufgefallen, sich über diese Form tierleidmaximierender Kapitalverwertung zu empören. Das wäre angesichts dessen, daß Wurstfabrikanten zu ihren angestammten Werbekunden gehören und das Verzehren einer deutschen Wurst, wie einschlägige Markennamen belegen, einem Nationalbekenntnis gleichkommt, dem eigenen Geschäft womöglich abträglich.


Fußnoten:

[1] https://www.mpg.de/9404032/sterberate-luftverschmutzung-todesfaelle

[2] https://four-paws.swiftprocessing.io/public/fourpaws/?form_id=526&utm_source=VIER%20PFOTEN%20-%20Stiftung%20für%20Tierschutz&utm_medium=email&utm_campaign=20-09-2018%20BREAKING%20Hurricane%20Florence&utm_content=Mailing_12812906

24. September 2018


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