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RAUB/1152: Klimawandel - drastische Mahnungen ... (SB)



Wie weit der Verfall einer Weltordnung vorangeschritten ist, die Handlungsfähigkeit zugunsten des Wohles der Menschheit zumindest beansprucht, zeigt der dringende Appell des UN-Generalsekretärs António Guterres, der voranschreitenden Zerstörung der Lebensgrundlagen entschieden entgegenzutreten. Bis 2020 müsse die Welt entschlossen handeln, erklärte er am Sitz der Vereinten Nationen in New York zu Wochenbeginn, sonst sei der Klimawandel nicht mehr aufzuhalten.

Guterres teilt den Menschen nichts Neues mit, und auch seine Mahnung, den Klimavertrag von Paris ernstzunehmen, faßt lediglich in Worte, was alle Welt weiß. Der drastische Tenor seiner Stellungnahme gibt allerdings die Befürchtung zu erkennen, daß seine dringend gemachte Botschaft ungehört verhallt. Die Welt nähere sich dem Abgrund und sei existenziell bedroht. Wenn die Menschheit nicht den Verbrauch fossiler Brennstoffe einstelle, dann sei der Klimawandel mit besagter finaler Konsequenz nicht mehr abzuwenden.

Gut gebrüllt, Löwe, aber auch der König der Wüste ist inzwischen einsam. Keiner will mehr auf ihn hören, sind die Tiere doch weitergezogen, weil auf dem verdorrten Boden keine Nahrung mehr wächst, oder gleich ganz ausgestorben, wie es unter absichtsvoller Offenlassung der Gründe des Verschwindens uralter, noch vor dem Auftreten der Menschen den Planeten besiedelnder Arten heißt. Guterres richtete seine Worte an VertreterInnen der Politik, der Wirtschaft und Wissenschaft, als seien diese die richtigen AdressatInnen zum Fassen radikalen Mutes, ohne den die galoppierende Entwicklung nicht mehr einzuholen, geschweige denn zu überholen ist.

Vielleicht liegt das Problem darin, daß sich der führende Repräsentant einer weltpolitischen Organisation, deren Bedeutung mit der Restauration nationalstaatlicher Selbstbehauptungsstrategien und der neue Staatenkriege einkalkulierenden innerimperialistischen Konkurrenz schwindet wie der Schnee im Treibhausklima eines an seiner eigenen Produktivität verendenden Planeten. Guterres kennt nichts anderes als Stellvertreterpolitik, schließlich agiert er praktisch auf der Metaebene mehr oder minder demokratisch von den Bevölkerungen abgegebener und nach oben delegierter Regierungsverantwortung.

Vielleicht wäre es an der Zeit, angesichts der systematischen Verschleppung des 2015 in großer Übereinkunft erklärten Ergreifens wirksamer Maßnahmen gegen den Klimawandel, angesichts der offenkundigen Ignoranz, mit der fast jede Regierung den Interessen nationaler Macht- und Geldeliten den Zuschlag gibt, obgleich gerade diesen schmerzhafte Zugeständnisse an den Klimaschutz abzuringen wären, andere Akteure zu ermächtigen als jene Top-Down-Instanzen, die sich nicht rühren, weil sie persönliche Nachteile erleiden könnten. An ein kollektives Subjekt wie "die Menschheit" zu appellieren ist in Anbetracht der großen Interessensdivergenzen und Klassenantagonismen zwischen den sie formierenden Menschen ein bewährtes Manöver, gerade so viel zu tun, daß einem später nicht vorgeworfen werden kann, im Angesichte unumkehrbarer Katastrophen wie alle anderen geschwiegen zu haben, zugleich aber alle konkrete Veränderung zu torpedieren.

In Deutschland verhindert die Staatsmacht zur Zeit, daß der Rest eines alten Waldes gegen seine Abholzung zugunsten des Braunkohletagebaus, eines der größten Emittenten von Treibhausgasen in Europa, von radikalökologischen AktivistInnen verteidigt wird. Seit sechs Jahren halten sie der Legalität der Kohleverstromung die Legitimität der Verteidigung des Waldes entgegen, ganz ohne daraus persönlichen Gewinn zu ziehen. Im Gegenteil, sie werden dafür kriminalisiert und erleiden womöglich dauerhafte Nachteile, was die Ernsthaftigkeit ihres Eintretens gegen die Fortdauer herrschender Gewaltverhältnisse nicht besser belegen könnte.

Die Polizei- und Sicherheitskräfte, die ihnen zu Leibe rücken, tun dies als Mitglieder einer Lohnabhängigenklasse, die sich für Interessen verkauft, die nicht die ihren sein müssen, wenn etwa eine tödliche Form der Energieerzeugung durchgesetzt wird, die eines Tages auch ihnen die Luft zum Atmen nimmt. Die SöldnerInnen der transnationalen Geld- und Eigentümerklasse bereiten der großen Maschine, die bereits verendetes Leben aus dem Boden reißt, um mit seinem Brand weiteres Leben zu zerstören, den Weg und befinden sich damit in großer Übereinstimmung einer Gesellschaft, deren Wohlstand ohne die Ressourcen der Länder des Globalen Südens nicht annähernd so groß sein könnte, wie die vermeintlich unabänderliche Normalität des Weiter so suggeriert. Keinesfalls tragen hier nur die exponierten Akteure Verantwortung. Am Ertrag ihres extraktivistischen Geschäftes teilhaben wollen schließlich fast alle.

An wen also wendet sich der UN-Generalsekretär mit seinem in der Sache zweifellos begründeten Appell? Er richtet ihn an die administrative Verfügungsgewalt, in deren Namen gerade der Rest des Hambacher Waldes geräumt wird, um den Kettensägen, Harvestern und Kohlebaggern freie Bahn zu geben. Wie kommt Guterres darauf, daß deren SachwalterInnen seine Worte auch nur vernehmen, geschweige den zu ihrer Sache machten? Für diese Annahme gibt es keinen Grund.

Der portugiesische Politiker hat nicht anders als die staatlichen Exekutivorgane, die den Hambacher Wald räumen, einen Auftrag zu erfüllen, der einer das Leben seiner Person und seiner Familie sichernden Anstellung geschuldet ist. Ob er seine Arbeit mit mehr oder weniger Engagement und Überzeugungskraft verrichtet, ist keine an den Inhalt seiner Botschaft geknüpfte Frage, sondern liegt im öffentlichen Profil seiner globaladministrativen Position begründet. Wie die von ihm angesprochenen PolitikerInnen und WissenschaftlerInnen ist Guterres Sachwalter einer globalen Funktionselite, die in dieser privilegierten Form nicht existierte, wenn von denjenigen Staaten und Regierungen, die er anspricht, nicht die Mittel zu ihrem Erhalt freigesetzt würden. Für die Stichhaltigkeit der Vermutung, daß aus der impliziten Korrumpierung aller fundamentalen Entscheidungen, die deren UrheberInnen selbst in Mitleidenschaft ziehen können, eine notwendigerweise grenzüberschreitende Handlungsfähigkeit erwüchse, gibt es nicht den geringsten Anlaß. Was bleibt, sind Menschen, die sich von einem idealisierten Kollektivsubjekt namens "Menschheit" nicht in die Irre billiger Ausreden führen und von einer paternalistischen Stellvertreterpolitik nicht bevormunden lassen, um das Erforderliche zu tun.

13. September 2018


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