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RAUB/1131: Waldkollateralbeute ... (SB)



Es hat der Orang-Utan-Frau Sandra wenig genützt, daß ein argentinisches Gericht ihr im Dezember 2014 den Status eines Rechtssubjektes zuerkannte. Bis heute muß sie, obwohl das Gericht ihre Freilassung und Überführung in ein Schutzgebiet angeordnet hat, im Zoo von Buenos Aires ausharren. Dieser soll zwar in einen Öko-Park verwandelt werden, doch für die am 14. Februar 1986 im Zoo von Rostock geborene Sandra ist aus ihrer rechtlichen Aufwertung von einer Sache zu einer Person lediglich herausgekommen, daß sie nicht mehr nach Belieben begafft werden darf [1]. Das vor vier Jahren weltweit diskutierte Urteil mag das Los von Primaten in den sogenannten Tierparks westlicher Staaten erleichtern, für die in Sumatra und Borneo seit jeher lebenden Orang-Utans hat sich nichts am Zustand ihrer Verfolgung und Ermordung geändert.

Mehr als 100.000 "Waldmenschen", so die Übersetzung des malaiischen Wortes Orang-Utan, wurden zwischen 1999 und 2015 allein auf Borneo umgebracht. Zum Teil starben sie bei der Abholzung des Waldes, in dem sie leben, zum Teil wurden sie von Jägern erschossen [2]. Der ihnen zugewiesene Schutzstatus einer bedrohten Art hat praktisch keine Auswirkungen darauf, daß sie als Freiwild gelten. Die ForscherInnen, die die Zahl der getöteten Hominiden ermittelten, waren selbst überrascht von der großen Zahl an Orang-Utans, die direkt erschossen wurden und nicht durch Brandrodungen umkamen.

Die Zahl von, großzügig geschätzt, noch bis zu auf 100.000 auf Sumatra wie Borneo lebenden Orang-Utans wird, so die Prognose der ForscherInnen, in den nächsten 35 Jahren um weitere 45.300 aufgrund der fortschreitenden Abholzung ihrer Lebensumgebungen abnehmen. Verschwinden die Wälder, in denen sie in regelrechten Baumhäusern aus zusammengebundenen Ästen und Zweigen wohnen und von deren Früchten sie sich ernähren, dann verschwinden auch die für ihre Sanftheit und Empathie berühmten Waldmenschen. Der an ihnen verübte Genozid ist nicht nur der industriellen Verarbeitung von Palmöl in Nahrungsmitteln geschuldet, sondern auch der Verwendung des Fettes der Ölpalmen für die Produktion von Biosprit und Kosmetika. Für diesen Raubzug sind mithin nicht nur die Regierungen in Indonesien und Malaysia verantwortlich, sondern alle Industrien und KonsumentInnen von Palmölprodukten weltweit.

Da Orang-Utans als hominide Primaten unterhalb der Schwelle bleiben, die angeblich Mensch und Tier voneinander scheidet, taugt ihre massenhafte Vernichtung lediglich für eine Kurznachricht. Politische Maßnahmen von einer Wirksamkeit, mit der die sogenannten Sicherheitsinteressen von Staaten und die Eigentumsinteressen von Unternehmen durchgesetzt werden, wurden und werden nicht ergriffen. Die Waldmenschen erfüllen in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung keinen anderen Zweck als die herrschenden Kräfte bei der Ausübung ihrer Geschäfte zu stören. Die Zerstörung der tropischen Urwälder ist denn auch kein bloßes Nebenprodukt des kontrollierten Anbaus von Palmölplantagen, sondern Ausdruck einer Ordnung, der nichts mehr zuwider ist als der unkontrollierte und unberechenbare Wildwuchs noch nicht kolonisierten und domestizierten Lebens.

Was als rationale Gestaltung und Bewirtschaftung der Natur propagiert wird, kann eigenständig lebende Primaten offensichtlich nur im Zoo oder tot ertragen. In beiden Fällen wird den davon betroffenen Individuen genommen, was sie als soziale Wesen und kollektiv organisierte Gemeinschaften überhaupt ausmacht. Die umfassende Forschung und Literatur zu der Frage, wo genau der Unterschied zwischen Mensch und Tier verläuft und inwiefern sogenannte Menschenaffen eine Art Zwischenstufe darstellen, dient nicht zuletzt der Legitimation ihrer straflosen Ausbeutung und Ermordung. Trennen und Unterscheiden zum Zwecke einer Distanzierung, die den Verbrauch des solchermaßen vogelfrei gegebenen Lebewesens rechtfertigt, ist weit mehr als ein neutrales Instrument wissenschaftlicher Erkenntnis. Der Objektivierung des anderen zum Gegenstand der Forschung liegt eine Ratio zugrunde, die in der beanspruchten Unberührbarkeit des Menschen und ihrer permanenten Widerlegung im kapitalistischen Alltag keinen Zweifel an ihrer zweckkonformen Funktionslogik läßt.

Wie der Mensch seinesgleichen auf eine Weise unterdrückt und verwertet, die sich durch einen Rechtsanspruch weder legitimieren noch aus der Welt schaffen läßt, darf am Tier ausgelebt werden, was mit dem Prädikat des "Unmenschlichen" in die Zone finsterer Grausamkeit verbannt wird. In letzter Konsequenz ist jede Definition, mit der ein Lebewesen als schutzwürdig privilegiert oder dem Verbrauch überantwortet wird, den Interessen unterworfen, die ihre UrheberInnen leiten. Es stellt sich mithin die Frage, inwiefern das Postulat der Rechte überhaupt ein geeignetes Mittel ist, dem anschwellenden Blutfluß Einhalt zu gebieten. Oder, mit Eyal Weizman [3] gesprochen, der starke Zweifel daran hegt, ob Orang-Utans überhaupt die Grenze zur Spezies Mensch überschreiten wollen: Geht es, anstatt Orang-Utans Menschenrechte zu gewähren, nicht eher darum, den Menschen Orang-Utan-Rechte zuzugestehen?


Fußnoten:

[1] http://www.zeit.de/2017/29/tierschutz-zoo-buenos-aires-schliessung/komplettansicht

[2] http://www.cell.com/current-biology/fulltext/S0960-9822(18)30086-1

[3] Eyal Weizman: Are They Human?
http://www.e-flux.com/architecture/superhumanity/68645/are-they-human/

19. Februar 2018


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