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RAUB/1100: Sozialdemokratischer Tiefschlag - Steilvorlage für CETA (SB)



Sigmar Gabriel und seine Parteigenossen sind auch beim Umgang mit dem Freihandelsabkommen CETA der selbstgewählten historischen Aufgabe der Sozialdemokratie treu geblieben. Da der Widerstand gegen TTIP, CETA und TiSA hierzulande höhere Wellen als irgendwo sonst in Europa schlägt, bedurfte es eines geschmeidigen Krisenmanagements, um Teile des Protests einzubinden und zu neutralisieren. Nachdem die Verhandlungen und Vertragsinhalte aus dem klandestinen Hinterzimmer ins Licht öffentlicher Wahrnehmung und damit auch Opposition überführt worden sind, drohte der Protest aus Sicht der Protagonisten des Freihandels die kritischen Engstellen ausfindig zu machen, an denen das gesamte Projekt zu Fall gebracht werden könnte. Hätten die Delegierten auf dem kleinen Parteitag der SPD in Wolfsburg dem Parteivorsitzenden den Auftrag erteilt, CETA abzulehnen, wäre dies womöglich ein wirksamer Hebel gewesen, das Räderwerk der Durchsetzung ins Stocken zu bringen.

Gabriel holte die parteiinternen Skeptiker mit vorgeblichen Konzessionen ins Boot, das sie mit unverhohlener Erleichterung bestiegen, als sei die Last einer Pseudokritik von ihren Schultern gefallen. Er konnte ihnen das Blaue von Himmel herunter versprechen, weil die in Wolfsburg gefeierten rechtlich verbindlichen Klarstellungen ein Muster ohne Wert waren. Wie die inzwischen bekannt gewordene Vorlage der EU-Kommission für eine Zusatzerklärung zeigt, die von den Ständigen Vertretern der Mitgliedstaaten in Brüssel beraten wird, sind die mit einem gewaltigen Budenzauber in Szene gesetzten SPD-Forderungen darin schlichtweg nicht umsetzt.

Statt dessen liest sich der Entwurf wie eine weitere Werbebroschüre für CETA, was die Basis der Sozialdemokraten mit der Frage konfrontiert, welche Steilvorlage sie da gegeben haben. Statt Investor-Staats-Klagen abzuschaffen oder zumindest auf die Gleichbehandlung mit inländischen Unternehmen zurückzustutzen, wie dies SPD und DGB gefordert hatten, jongliert der Text mit dem Konzept einer "fairen und gerechten Behandlung", einem Einfallstor für Konzernklagen. Das von SPD und DGB ausdrücklich bekräftigte Vorsorgeprinzip kommt im Text überhaupt nicht vor. Beim Bruch von Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards ist keinerlei Sanktionsmechanismus vorgesehen. Zudem ist kein umfassender Schutz der Daseinsvorsorge, wie vom DGB mit einer präzisen Klausel vorgeschlagen und auch vom Deutschen Städtetag erst jüngst gefordert, enthalten. Und das im Text hochgelobte "Recht zu Regulieren" der Staaten gilt nur im Rahmen der Liberalisierungsvorschriften von CETA.

Sowenig die Beschlüsse des SPD-Konvents von Relevanz für die EU-Kommission waren, sowenig wirksam ist deren Vorlage für die Umsetzung von CETA. Wie der Staatsrechtler Martin Nettesheim im Auftrag der Landesregierung Baden-Württemberg feststellt, dienen derlei Klauseln nicht "als eigenständige Grundlage für die Herleitung von Freiräumen der Vertragsparteien". Interpretierende Erklärungen änderten nichts an der problematischen Substanz des Vertragswerks. Ins gleiche Horn stößt ein Rechtsgutachten des kanadischen Wirtschaftsjuristen Steven Shrybman, das er im Auftrag der Organisation Council of Canadians erstellt hat:

Das Dokument kann völkerrechtlich nicht im Ernst als "interpretierende Erklärung" angesehen werden aus dem einfachen Grund, dass es nicht einmal den Anschein erhebt, die CETA-Bestimmungen zum Investitionsschutz zu interpretieren. (...) Die Kommentare zum Investitionsschutz ähneln einer Presseerklärung, die die Vorzüge der CETA-Investitionsschutzregeln aus Sicht ihrer Autoren anpreist. [1]

Und selbst wenn es sich um eine "interpretierende Erklärung" handeln würde, könnte diese am Kern des Abkommens nichts ändern, da sie vor einem Schiedsgericht gegen die Rechtssubstanz des Abkommens keinen Bestand hätte. Ein Schiedsgericht könnte diese Erklärung akzeptieren oder verwerfen, schreibt Shrybman.

Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, daß eben dies der Zweck des gesamten Manövers war: Die Parteiführung der SPD hat unter Kollaboration des sogenannten linken Parteiflügels und der DGB-Führung die Suggestion in die Welt gesetzt, man könne CETA wesentlich entschärfen. Wenngleich wenige Kritiker der Freihandelsabkommen in ihrer Ablehnung standhaft blieben, ließ sich das Gros der parteiinternen Skeptiker bereitwillig von Gabriel über den Tisch ziehen. Parteiräson, Koalitionsdisziplin und nicht zuletzt die eigene Karriere schlagen offenbar leichterdings halbherzige Einwände aus dem Feld, sofern diese auf dem Boden grundsätzlicher Befürwortung des Freihandels sprießen.

Die EU-Kommission dachte nicht im Traum daran, solche Forderungen ernstzunehmen, sondern bediente sich ihrer, um daraus eine Botschaft zu fabrizieren, die CETA den bedenklich gestimmten Bürgerinnen und Bürgern noch einmal als vorbildlichen und wegweisenden Entwurf eines Freihandelsabkommens ans Herz legt. Untermalt von Gabriels Mantra, CETA sei gut und könne böse Abkommen wie TTIP und Konsorten heilen, hat die Niederlage von Wolfsburg, die nun in aller Deutlichkeit zutage tritt, einen möglichen Etappensieg in einen Tiefschlag für die Bewegung gegen die Freihandelsabkommen verwandelt, die jedoch aus dieser bitteren Lektion durchaus ihre Lehren ziehen könnte.


Fußnote:

[1] https://blog.campact.de/2016/10/pr-statt-zusatzprotokoll-was-das-geleakte-ceta-papier-verraet/

12. Oktober 2016


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