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RAUB/1092: Wer solche Freunde hat ... Gabriel zieht CETA-Kritiker über den Tisch (SB)



Am Samstag haben mehr als 300.000 Menschen in sieben deutschen Städten den Widerstand gegen TTIP und CETA auf der Straße zum Ausdruck gebracht. Ein eindrucksvolleres Votum der Basis hätten sich die Gegner der Freihandelsabkommen in den Reihen der SPD vor dem heutigen Parteikonvent in Wolfsburg nicht wünschen können, um CETA auszubremsen. Daß es der Parteiführung um Sigmar Gabriel gelungen ist, die innerparteilichen Kritikerinnen und Kritiker über den Tisch zu ziehen, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Interessenlage all jener Fraktionen nicht nur der Sozialdemokratie, die TTIP und CETA nicht grundsätzlich ablehnen, sondern in einer angeblich verbesserten Form mit auf den Weg bringen wollen. Für die breite Bewegung gegen die Freihandelsabkommen stellt sich in aller Dringlichkeit die Frage nach der Belastbarkeit und Zuverlässigkeit des Bündnisses.

Erinnern wir uns: Vor Jahresfrist stritt schon einmal ein Parteikonvent der SPD über TTIP, dessen Ablehnung möglicherweise zum Scheitern des Freihandelsabkommens geführt und zudem wohl die große Koalition verhindert hätte. Um diese Gefahr abzuwenden, brachte Sigmar Gabriel unter Kollaboration des Deutschen Gewerkschaftsbunds den als Kompromiß getarnten Türöffner durch, die Verhandlungen nicht zu beenden, sondern die Zustimmung an bestimmte Bedingungen zu knüpfen.

Nach demselben Muster hat Gabriel diesmal die Verhinderung von CETA aus dem Feld geschlagen, indem er nicht nur den Sozialdemokraten vorgaukelt, das Freihandelsabkommen mit Kanada sei so beispielhaft wie TTIP obsolet. Beides ist schlichtweg falsch. Weder unterscheidet sich CETA grundsätzlich von TTIP, noch ist letzteres vom Tisch. Der strategische Winkelzug sieht vielmehr vor, CETA als Eisbrecher durchzudrücken, worauf TTIP später sehr viel leichter folgen kann. Mit dem klaren Votum des sogenannten kleinen Parteitags der SPD zum Thema CETA im Rücken hat Gabriel grünes Licht für eine Zustimmung im EU-Handelsministerrat, der am Donnerstag und Freitag in Bratislava tagt.

Um den Gegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen, ging Gabriel unmittelbar vor dem Konvent auf die Kritiker zu, worauf der SPD-Vorstand Vorschlägen zustimmte, die mit der Parteilinken ausgehandelt wurden. Der Änderungsantrag der SPD-Spitze wurde zwischen dem Chef der Parlamentarischen Linken, Matthias Miersch, und dem Vorsitzenden des Handelsausschusses im Europaparlament, Bernd Lange, erarbeitet. Der Bundestagsabgeordnete Miersch gehört zu den prominentesten Kritikern von CETA in der SPD, zeigte sich aber stets offen für einen möglichen Kompromiß, der nun aus seiner Sicht erreicht ist. Miersch und Lange verständigten sich auch mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten und SPD-Landeschefs Stephan Weil. Schließlich brachten mehrere Bezirke den Änderungsantrag ein, der dann von der Antragskommission unmittelbar vor Beginn des Konvents übernommen wurde.

Wie es aus Kreisen der SPD-Linken anerkennend hieß, habe sich Gabriel "wirklich deutlich bewegt". Das durch den Änderungsantrag ergänzte Papier sei "mehr, als wir erwartet hätten". Man sei sehr zufrieden mit dem nun vorliegenden Gesamtantrag. Im Verlauf der Debatte in Wolfsburg warb Miersch, genau wie der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Rainer Hofmann, für die Annahme des Antrags. Auch SPD-Vize Ralf Stegner, einer der einflußreichsten Vertreter der Parteilinken, warb energisch um Zustimmung.

SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel, ebenfalls ein prominenter Vertreter der Parteilinken, ging noch einen Schritt weiter: Er lobte den Kompromiß und griff Organisationen wie Campact oder Greenpeace scharf an, die sich klar gegen CETA positioniert haben. Für diese Gruppen seien "solche Kampagnen wie gegen CETA ein Geschäftsmodell", sagte Schäfer-Gümbel laut Teilnehmern. [1] Miersch brachte mit schlichten Worten seine Prioritäten auf den Punkt, als er erklärte, daß Demokratie nicht heiße, ja oder nein zu sagen, so wie Grüne oder Union das bei CETA täten. So einfach sei die Welt nicht, und das wolle die SPD deutlich machen. Am Ende hätten alle in der Partei den Willen, "dass wir gemeinsam einen Weg beschreiten", gab Miersch ohne Wenn und Aber der Parteidisziplin den Zuschlag. [2]

Im Ringen um die Freihandelsabkommen steht nichts weniger auf dem Spiel, als die Gestaltungsmacht beim künftigen Welthandel. Werden TTIP und CETA durchgesetzt, schafft dies nahezu unumkehrbare Zugriffsmöglichkeiten auf die Bevölkerungen der Mitgliedsländer und ein innovatives Regime fortgesetzter Ausplünderung schwächerer Staaten in der globalen Konkurrenz. Da Sigmar Gabriel nun die eigene Partei zur Räson gebracht und die Sozialdemokraten auf die angeblichen Segnungen des Freihandels eingeschworen hat, könnte dies der Durchbruch des ambitionierten Vorhabens sein, die handelspolitischen Großmachtambitionen der EU unter deutscher Führung zu beflügeln.


Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/spd-ceta-kompromiss-sigmar-gabriel-geht-auf-kritiker-zu-a-1112936.html

[2] http://www.zeit.de/wirtschaft/2016-09/spd-konvent-ceta-wolfsburg-sigmar-gabriel

19. September 2016


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