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RAUB/1033: Einbahnstraße Organspende? - Steter Tropfen soll den Stein instinktsicheren Vorbehalts höhlen (SB)




Wenn regelmäßig rund 75 Prozent der Bundesbürger in Umfragen ihre generelle Bereitschaft zur Organspende bekunden, jedoch der tatsächlich im Spenderausweis dokumentierte Willen bei etwa 25 Prozent stagniert, sehen die Protagonisten der Transplantation dringenden Handlungsbedarf. Ungeachtet aller Werbekampagnen hält sich in der Bevölkerung ein hartnäckiger Vorbehalt, dem instinktiv verorteten Widersinn Glauben zu schenken, wonach der Mensch tot sei, dem lebende Organe entnommen werden. Diese Mauer der Verweigerung unter Abbruch der seit Jahren geführten Kontroverse um das Hirntodkonzept zu durchstoßen, hat der Bundestag heute das Gesetz zur Entscheidungslösung verabschiedet. Worum es dabei geht, macht Paragraph 1 Absatz 1 des Entwurfs unmißverständlich klar:

Ziel des Gesetzes ist es, die Bereitschaft zur Organspende in Deutschland zu fördern. Hierzu soll jede Bürgerin und jeder Bürger regelmäßig im Leben in die Lage versetzt werden, sich mit der Frage seiner eigenen Spendebereitschaft ernsthaft zu befassen und aufgefordert werden, die jeweilige Erklärung auch zu dokumentieren. Um eine informierte und unabhängige Entscheidung jedes Einzelnen zu ermöglichen, sieht dieses Gesetz eine breite Aufklärung der Bevölkerung zu den Möglichkeiten der Organ- und Gewebespende vor. [1]

Wo der Gesetzgeber explizit auf den Plan tritt, die Organernte zu befördern, kann von der später formulierten "ergebnisoffenen Information" der Aufklärung ebensowenig die Rede sein wie von der angeblichen Freiwilligkeit der Entscheidung. Wollte man tatsächlich von einer selbstbestimmten Entscheidung auf Grundlage fundierter Kenntnis sprechen, müßte man dem Bürger das Pro und Contra der Organspende umfassend vor Augen führen. Das aber ist gerade nicht vorgesehen, liefe man dabei doch Gefahr, die systematisch verschwiegenen, ausgegrenzten und diskreditierten Argumente der Gegner einer breiten Öffentlichkeit zu Gehör zu bringen. Hielt man die von den Befürwortern favorisierte Widerspruchslösung hierzulande für zu brisant und daher nicht durchsetzbar, so hofft man nun, anstelle der Brechstange mit stetem Tropfen den Stein doch noch zu höhlen.

Daß dieser Antrag in seinem Kern von allen Fraktionen mitgetragen wurde, wirft ein düsteres Licht auf den Stand der bioethischen Diskussion in der Bundesrepublik. Wenn unter Verweis auf entsprechende Studien behauptet wird, daß gut informierte Menschen eher bereit seien, einen Organspendeausweis auszufüllen, bezichtigt man erhebliche Teile der Bevölkerung als zu unwissend und vorurteilsbehaftet, um die Problematik angemessen zu erfassen. Sich ernsthaft mit der eigenen Spendebereitschaft zu beschäftigen, wie dies nun mit Nachdruck vorangetrieben werden soll, läuft auf einen mit selektiv ausgewählten Argumenten erhöhten Druck hinaus, alle verbliebenen Zweifel zu entsorgen.

"Wir wollen den Menschen tatsächlich etwas mehr auf die Pelle rücken, indem wir fragen und nachfragen", erklärte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. "Es gibt kein unverbrüchliches Recht, in Ruhe gelassen zu werden." Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) schlug mit den Worten, man habe den Eindruck gehabt, "dass wir nicht häufig genug und intensiv genug an die Menschen herangegangen sind, um sie aufzufordern und zu motivieren, Organe zu spenden", in dieselbe Kerbe. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) sprach von einem starken Signal und kündigte "eine große Öffentlichkeitskampagne" an, "um die Menschen besser aufzuklären." (...) "Wir werden nicht lockerlassen, und werden regelmäßig immer wieder informieren." Da wollen natürlich auch die Grünen nichts abseits stehen, für die Elisabeth Scharfenberg drohte: "Das Thema wird in die Gesellschaft und die Familien getragen." [2]

Wohin der Hase laufen soll, bestätigt auch der Umstand, daß die in den letzten Monaten von Medien und Organisationen deutlich geäußerte Kritik an der Infrastruktur der Organentnahme und Organverteilung in dem Gesetz keinerlei Niederschlag gefunden hat. Es stärkt im Gegenteil die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), die als zentrale Koordinationsstelle alle Organspenden in Deutschland organisiert und dabei keinerlei Kontrolle unterliegt. Eine Untersuchungskommission konnte die Ende letzten Jahres erhobenen Vorwürfe, in denen von undurchsichtigen Geschäftspraktiken, einem Klima der Angst unter den Mitarbeitern und rechtlich fragwürdigen Praktiken bei der Organentnahme die Rede war, nicht vollständig entkräften. Dennoch bleiben Koordinierung, Richtlinienkompetenz und Verteilung von Spenderorganen weiterhin in Händen privater Stiftungen (DSO und Eurotransplant in Holland) sowie des eingetragenen Vereins Bundesärztekammer, womit eine öffentliche Aufgabe von gesellschaftlichen Partialinteressen okkupiert wird, die sich der demokratischen Kontrolle entziehen. [3]

Höchst problematisch ist außerdem, daß die Entscheidung auf der umstrittenen elektronischen Gesundheitskarte (eCard) festgehalten werden soll und damit der Datenschutz ausgehebelt wird. Insbesondere Krankenkassen könnten sich so unmittelbar über die Entscheidung ihrer Versicherten informieren. Abgeordnete aus der Linksfraktion brachten einen Änderungsantrag ein, diesen Teil des Gesetzentwurfs komplett zu streichen. Aus der Grünen-Fraktion, die insgesamt die eCard befürwortet, versuchte man zumindest zu verhindern, daß die Krankenkassen Zugriff auf die Daten zur Organspende bekommen. Beide Änderungswünsche scheiterten jedoch. Daß die Kritikfähigkeit hinsichtlich der Organspende in den Reihen der im Bundestag vertretenen Parteien zwar sporadisch vorhanden, aber insgesamt erschreckend dünn gesät ist, unterstrich am Ende die Abstimmung über den gemeinsam erarbeiteten Gruppenantrag, die ohne Fraktionszwang verlief: Bei der Linken gab es einige Gegenstimmen und Enthaltungen, auch bei Grünen und FDP war die Zustimmung nicht durchgängig.

Vollends haarsträubend wird die Gesetzesreform, wo sie mit einer Forschungsklausel den Datenschutz komplett aufhebt: So dürfen Ärzte künftig Daten von Spendern und Empfängern zu kommerziellen Forschungszwecken sogar an Pharmafirmen freigeben, wofür eine Zustimmung der Betroffenen nicht zwingend erforderlich ist. Paragraph 14 Absatz 2a TPG sieht vor, daß Daten, die im Rahmen der Organ- und Spendecharakterisierung und -übertragung beim Organ- oder Gewebespender erhoben worden sind, an Dritte übermittelt und von diesen verwendet werden dürfen, wenn unter anderem "... das öffentliche Interesse an der Durchführung des Forschungsvorhabens die schützenswerten Interessen der betroffenen Person überwiegt und der Forschungszweck nicht auf andere Weise zu erreichen ist." [4]

Wie die Bundesregierung in einer Stellungnahme erklärte, könne auch ein Forschungsvorhaben der pharmazeutischen Industrie im öffentlichen Interesse sein. Ein kommerzielles Interesse schließe das öffentliche Interesse nicht aus. Indessen kann die Weitergabe der Spenderdaten an Dritte dazu führen, daß diese unter Umständen selbst keiner beruflichen Schweigepflicht unterliegen und ein strafprozessuales Beschlagnahmeverbot dort nicht greift. Völlig offen bleibt zudem, wer die vorgesehene Interessenabwägung vornimmt und wer diese überprüft. [4] Berücksichtigt man, daß es sich um hochsensible Daten handelt, die Auskunft über Infektionen wie HIV und Hepatitis oder über Tumoren geben und daher in höchstem Maße geschützt werden sollten, muß man geradezu von einem gezielt herbeigeführten Dammbruch im Datenschutz zu sprechen.

Rudolf Henke, der erste Vorsitzende des Marburger Bundes, also der Vereinigung der Krankenhausärzte, begrüßte in einem Gespräch mit dem Deutschlandradio das verabschiedete Transplantationsgesetz als Entlastung der Hinterbliebenen:

Ich glaube, das Wichtigste, was erreicht wird, ist zunächst mal, dass es viel mehr Information im Leben gibt, darüber, dass diese Entscheidung beim Eintritt des Todes notwendig wird, und wenn ich die Entscheidung selbst zu meinen Lebzeiten treffe, dann bürde ich sie nicht den Angehörigen auf. (...) Deswegen wenn das jeder selbst tut, dann nimmt er eine große Last von seinen Angehörigen. [5]

Wie Henkes Argumentation zu entnehmen ist, schleicht sich die Forderung, daß die Entscheidung ohnehin getroffen werden müsse und daher am besten zu Lebzeiten erfolge, gleichsam auf leisen Sohlen in die Debatte, um den Platz unumkehrbar zu besetzen. Dabei kann von einer diesbezüglichen Erfordernis aus Sicht eines sterbenden Menschen oder seiner Angehörigen keine Rede sein. Vielmehr ist es doch die Transplantationsmedizin, die sie bedrängt, einer Organentnahme zuzustimmen.

Subtiler, aber penetranter Druck in der öffentlichen Darstellung ist offensichtlich das Gebot der Stunde, wenn der Ärztefunktionär in diesem Zusammenhang auch den Transplantationsbeauftragten lobt, der künftig in allen Kliniken mit Intensivstationen präsent sein soll:

Also der bringt, glaube ich, eine größere Gelassenheit im Umgang mit der Aufgabe. (...) Und jetzt wird in jedem Krankenhaus dafür gesorgt, es gibt jemanden, der auch die Zeitreserven dafür eingeräumt bekommt, diesen Prozess so zu organisieren, dass er seine Kollegen mit darauf vorbereiten kann, dass er sich selbst um die organisatorischen Abläufe kümmern kann. Ich glaube, dass doch eine zu große Zahl von Krankenhäusern sich bisher hinter der Schwierigkeit der Aufgabe auch versteckt hat, und deswegen die ja schon existierende Pflicht, an der Organspende mitzuwirken, aus dem ursprünglichen Transplantationsgesetz nicht ausreichend erfüllt hat. (...) Hier erwarte ich mir von den Transplantationsbeauftragten einfach, dass sie (...) vielleicht auch ein besseres Gespür haben dafür, wie kann ein Krankenhaus seine Mitwirkung am Organspendeprozess verbessern.

Wie sein Name schon sagt, ist der Transplantationsbeauftragte mitnichten ein unabhängiger und gleichsam objektiver Berater, als den ihn die Angehörigen schwerkranker Patienten womöglich sehen. Geschult, einfühlsam mit ihnen zu sprechen, dient er dem Zweck, den "Organspendeprozeß" zu optimieren. Der "Stellenwert der Nächstenliebe", den Henke bemüht, oder Steinmeiers "Ja zu Mitmenschlichkeit und Solidarität" bedienen die Einbahnstraße zur Organspende, die zu durchlaufen zum moralischen Imperativ der Bundesbürger erklärt wird.

Fußnoten:

[1] http://faz-community.faz.net/blogs/biopolitik/archive/2012/03/12/der-gesetzentwurf-ist-da-glaeserne-schwerstkranke-datenschutz-und-organentnahme.aspx

[2] http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1318890

[3] http://www.jungewelt.de/2012/05-24/042.php

[4] http://www.datenschutzbeauftragter-info.de/reform-des-transplantationsgesetzes-datenweitergabe-soll-erleichtert-werden/

[5] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1766648/

25. Mai 2012