Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

RAUB/1001: US-Bevölkerungsmehrheit erwarten beispiellose Lasten (SB)



Republikaner und Demokraten rasen Seite an Seite auf den Abgrund zu, fest entschlossen, keinesfalls zuerst zu bremsen und damit dem andern den Sieg zu überlassen. Selbstredend haben sie nicht vor, sich in die Tiefe zu stürzen, doch ebenso gewiß ist, daß das angesichts dieses aberwitzigen Manövers durchaus passieren kann. Sie wissen ebensowenig wie irgend jemand sonst, auf welche Weise die endgültige Systemkrise kapitalistischer Verwertung abzuwenden sei, doch setzen sie um so mehr auf ihre einzig relevante Rezeptur, die Bastion der Profiteure dieser Raubordnung zu Lasten ihrer Opfer um jeden Preis zu verteidigen. Daß keiner von beiden nachgeben will, verdankt sich ihrer Absicht, der Mehrheit der US-amerikanischen Bevölkerung beispiellose Lasten aufzubürden, ohne dafür politisch zur Rechenschaft gezogen zu werden.

"Über ein Jahrhundert ist die amerikanische Wirtschaft gewachsen, und die Vereinigten Staaten haben wiederholt sowohl ihre Stärke und Widerstandsfähigkeit als auch ihre einzigartige Fähigkeit, sich anzupassen und neu zu erfinden, unter Beweis gestellt", unterstrich Außenministerin Hillary Clinton vor äußerst skeptischen Zuhörern im internationalen Finanzzentrum Hongkong. [1] Dort befürchten asiatische Investoren schon geraume Zeit, daß die US-Wirtschaft angesichts ihrer immensen Schuldenlast am Ende sei. Nach gängigen Maßstäben ist sie das allemal, geht es bei allen vorgeblichen Lösungsansätzen doch im Kern darum, in Zukunft noch mehr Schulden zu machen, die zwangsläufig nie beglichen werden können.

Läuft das Prinzip der Verschuldung darauf hinaus, ihre Opfer in immer tiefere und unabwendbare Abhängigkeit zu treiben, so daß sie sich jedweden auferlegten Zwangsmaßnahmen unterwerfen müssen, so gilt das nicht für die Führungsmacht USA. Ihre überlegene Waffengewalt bürgt für eine Ökonomie, die ihre Verschuldung auf Gläubiger übertragen kann, denen die Hände gebunden sind, ihre Forderungen geltend zu machen. Fällt der größte Räuber und damit der oberste Garant auf den Fortbestand des Systems, stürzen alle ins Verderben, lautete bislang die Gebrauchsanweisung dieser Maschinerie, die nach Überzeugung ihrer Apologeten für die Ewigkeit konstruiert war. Inzwischen greift die düstere Ahnung um sich, daß die Pleite der USA nicht mehr abzuwenden ist und die Folgen für die Weltwirtschaft katastrophal sind.

Bis zum 2. August bleiben demokratischen und republikanischen Sachwaltern derselben Verwertungsordnung nur noch wenige Tage Zeit, sich über die Reduzierung der Haushaltsdefizite zu einigen. Dies machen die Republikaner zur Vorbedingung für ihre Zustimmung zur Erhöhung der derzeitigen Schuldenobergrenze von 14,3 Billionen Dollar um weitere 2,5 Billionen Dollar für das am 30. September zu Ende gehende und das kommende Haushaltsjahr 2011/2012. US-Präsident Barack Obama hat sich in einer Rede an die Nation im Schuldenstreit an die Öffentlichkeit gewandt, um seine Gegenspieler in letzter Minute zur Räson zu bringen. "Wir sind an einem Stillstand angelangt", verkündete er zur besten Sendezeit, was die Dringlichkeit seiner Botschaft unterstrich. "Dies ist ein gefährliches Spiel, das wir nicht spielen dürfen." Trotz des beschwörenden Appells zeichnete sich auf republikanischer Seite kein Einlenken ab. Man werde dem Präsidenten und dessen Partei keinen Blankoscheck für exzessive Ausgaben ausstellen, erwiderte demonstrativ kühl der republikanische Präsident des Abgeordnetenhauses, John Boehner. [2]

Sollten sich die konkurrierenden Lager auf den Minimalkompromiß einer Anhebung der Schuldenobergrenze einigen, wäre das noch längst keine Garantie auf Schadensbegrenzung. Ratingagenturen wie Standard&Poor's fordern darüber hinaus konkrete Maßnahmen zum Schuldenabbau in Höhe von vier Billionen Dollar. Obama will ein Paket aus Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen in dieser Größenordnung schnüren, das die Republikaner jedoch vehement ablehnen. Der Präsident unterstützte einen neuen Gesetzentwurf des demokratischen Senatsführers, Harry Reid, der tiefe Einschnitte bei nationalen und militärischen Ausgaben vorsieht, diverse Sozialausgaben kürzen und einige Steuerlücken für Spitzenverdiener schließen soll. Als Zugeständnis an die Republikaner verzichtet er auf eine Anhebung der Steuern für Jahreseinkommen von mehr als einer Viertelmillion Dollar, wie sie die Demokraten ursprünglich geplant hatten. Als Geste an die demokratische Basis sollen Teile der Sozialversicherung und der Krankenversicherungen für Alte und Bedürftige im bisherigen Rahmen beibehalten werden. [3]

Obgleich die Steuererhöhung für wohlhabende US-Bürger so gut wie vom Tisch und die drastische Kürzung der Sozialausgaben de facto beschlossene Sache ist, sperren sich die Republikaner. Sie wollen das Haushaltsproblem nicht für die nächsten zwei Jahre lösen, sondern setzen auf eine Übergangslösung, die in sechs Monaten und damit mitten im Präsidentschaftswahlkampf weitere Verhandlungen über die nächste Anhebung der Schuldendecke und Sparmaßnahmen vorsieht. Gegenwärtig sieht es so aus, aus wolle die republikanische Parteiführung lieber mit Vollgas in den Abgrund rasen, als auf den erhofften parteipolitischen Vorteil zu verzichten.

Während der erste Staatsbankrott der US-Geschichte noch aussteht, haben Demokraten und Republikaner doch bereits einen Kompromißrahmen abgesteckt, der Sparmaßnahmen beispiellosen Ausmaßes vorsieht. Verteilt über zehn Jahre soll eine Billion Dollar durch Kürzungen im Bildungswesen, beim Umweltschutz, im Wohnungsbau, beim Transport und in anderen Bereichen der Infrastruktur eingespart werden. Zudem will man Sozialleistungen um 300 Milliarden, Medicare um 250 Milliarden, Subventionen um 243 Milliarden und Medicaid um 100 Milliarden kürzen. [4] Dies wurde in Verhandlungen zwischen führenden Vertretern beider Lager ausgearbeitet, dann aber zugunsten der jüngsten Forderungen von republikanischer Seite zurückgestellt. Jede künftige Übereinkunft wird folglich noch über dieses extreme Sparpaket hinausgehen, was insbesondere dann gilt, sollte es zu Neuverhandlungen in sechs Monaten kommen.

Wenngleich sich die beiden großen US-Parteien in einigen Positionen unterscheiden, zeigt doch die aktuelle Kontroverse in aller Deutlichkeit ihr symbiotisches Verhältnis im wechselweisen Beitrag zur Herrschaftssicherung. Die Obama-Regierung wird von der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus ausgebremst, die sich wiederum dem Druck der Tea-Party-Bewegung beugt, während die Ratingagenturen das Damoklesschwert plazieren. Geht auch die Wirtschaftsweise, wie man sie zu kennen und auszusteuern glaubte, vor die Hunde, so bleibt doch ein Prinzip konstant: Es sollen wie immer jene den Gürtel enger schnallen, die darin die meiste Übung haben.

Fußnoten:

[1] http://www.jungewelt.de/2011/07-26/038.php

[2] http://www.stern.de/politik/ausland/stillstand-im-us-schuldenstreit-obama-wendet-sich-an-sein-volk-1710023.html

[3] http://www.taz.de/Weiter-keine-Einigung-im-US-Haushaltsstreit/!75142/

[4] http://www.wsws.org/articles/2011/jul2011/budg-j25.shtml

26. Juli 2011