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RAUB/0962: Nothilfe für Pakistan ... was alles dagegen spricht (SB)



Die vergleichsweise geringe Spendenbereitschaft der Bundesbürger für die Flutopfer in Pakistan wird mit der Urlaubssaison und einer eher verhaltenen Berichterstattung über die Katastrophe erklärt. Doch es gibt noch einige andere Gründe dafür, daß sich nicht nur die Hilfsbereitschaft der Öffentlichkeit, sondern auch die der Bundesregierung in Grenzen hält. Zwei Millionen Euro aus privater Hand und 15 Millionen Euro an staatlicher Nothilfe für eine epochale Tragödie, von der 20 Millionen Menschen betroffen sind, muten eher wie das pflichtschuldige Anheften eines Feigenblatts denn wie eine entschiedene Rettungsmaßnahme an.

Die bereits durch notorische Armut, den Terrorkrieg der pakistanischen Armee im Swat-Tal und die Erdbebenkatastrophe vor zwei Jahren schwer mitgenommene Bevölkerung des Landes entspricht so ganz und gar nicht dem kulturellen Idealbild, an dem sich hierzulande Hilfsbereitschaft entzündet. Die Betroffenen sind mehrheitlich Muslime und gehören damit einer in Deutschland zumindest skeptisch beäugten, wenn nicht in offener Feindseligkeit abgelehnten Gruppe an. Sie gelten als Hort der pakistanischen Taliban, die mit den afghanischen Taliban, dem Feind der Bundeswehr, identifiziert werden.

Pakistan wird von den Regierungen der NATO-Staaten dafür verantwortlich gemacht, daß der Rückzugsraum der afghanischen Taliban nicht verschlossen und ihnen damit die Möglichkeit geboten werde, sich in für die NATO-Truppen unerreichbare Regionen zurückzuziehen und dort ihre Kampfkraft zu erneuern. Die Regierung in Islamabad wird darüberhinaus bezichtigt, die Taliban aufgrund ihrer eigenen geostrategischen Interessen in Afghanistan mehr oder minder direkt zu unterstützen. Die USA führen in Pakistan einen unerklärten Krieg, indem sie angebliche Taliban mit Lenkwaffen angreifen, die von Drohnen abgefeuert werden.

De facto ist das mit den USA verbündete Land also ein wackliger Kantonist, wenn nicht insgeheimer Feind der NATO-Staaten. Verschärft wird das Problem durch die Nuklearrüstung Pakistans, die das Land im Falle einer offenen Konfrontation mit der NATO zu einem akuteren Angriffsanlaß machte, als es der Iran je sein könnte. Dementsprechend gering fällt die Nothilfe aus, die die US-Regierung der Regierung in Islamabad gewährt, obwohl Ministerpräsident Jusuf Raza Gilani längst deutlich gemacht hat, daß seine Administration die humanitäre Katastrophe nicht aus eigener Kraft bewältigen kann. Im Verhältnis zu den Milliarden, die in die Kriegführung im sogenannten AfPak gesteckt werden, ist die zugesagte Nothilfe eine Petitesse, die nicht deutlicher machen könnte, worum es den Besatzungsmächten in Afghanistan im eigentlichen geht.

Doch es gibt noch einen weiteren ungenannt bleibenden Grund für die bislang bescheidene Unterstützung der Flutopfer. Die Regierung des drittgrößten Getreideexporteurs der Welt, Rußland, hat ein Exportverbot erlassen, um nach den Zerstörungen, die die weitflächigen Waldbrände in der Landwirtschaft angerichtet haben, die Ernährung der eigenen Bevölkerung zu sichern. Wie die drastischen Preisanstiege an den Getreidebörsen belegen, trifft diese Entwicklung auf eine ohnehin angespannte Lage am Weltgetreidemarkt. Selbst wenn die Hungernden in Pakistan mit Hilfe großzügiger Spenden zu essen erhielten, trägt dies zu weiteren Preissteigerungen bei. Immer mehr Menschen können sich schon jetzt nicht mehr das nötigste leisten, die Zahl der Hungernden nimmt mit der weiteren Verknappung der Weltgetreidevorräte um so mehr zu.

Am Beispiel Pakistan zeigt sich, daß das kapitalistische Krisenmanagement den Faktor Hunger längst als Aktivposten einkalkuliert hat. Da die angemessene Ernährung aller Menschen nur durch eine grundlegende Umstellung der gesellschaftlichen Produktionsweisen und Verwertungsprozesse zu erreichen wäre, wird der Mangel strategisch eingesetzt, um die Gesellschaften sozialdarwinistisch zuzurichten und etablierte Verfügungsstrukturen zu zementieren. So treibt der Hunger die stagnierende Kapitalakkumulation an und bietet neue Verwertungsoptionen, mit denen die Stellung der Erzeugerstaaten gestärkt wird. Zum andern wird er gegen Regierungen in Stellung gebracht, die sich nicht vollständig genug dem globalen Kommando unterwerfen.

Die Bevölkerung Pakistans wird humanitäre Hilfe nur dann in größerem Ausmaß erhalten, wenn ihre Regierung die verlangte Willfährigkeit an den Tag legt. Empörte Pressekommentare über die Strategie der pakistanischen Taliban, durch engagierten Einsatz für die Flutopfer Zustimmung in der Bevölkerung zu erzeugen, teilen mehr über die Urheber der Bezichtigung mit als über die vermeintlichen Ausbeuter menschlicher Not. Bei den Besatzern Afghanistans wird unter dem Titel, "Hearts and Minds" der Bevölkerung zu gewinnen, Aufstandsbekämpfung betrieben. Ein, im Unterschied zu den pakistanischen Taliban, natürlich völlig selbstloses Unterfangen.

15. August 2010