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RAUB/0946: Mit Hannelore Kraft die neue Dienerklasse schaffen (SB)



Der SPD-Spitzenkandidatin in Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft, wird von ihren Fürsprechern zugutegehalten, mit der Schaffung von gemeinnützigen Tätigkeiten für Langzeitarbeitslose etwas für deren Würde zu tun. Der von ihr ins Auge gefaßte Dienst am Gemeinwohl, bei dem sich Menschen für "einen symbolischen Aufschlag auf die Regelsätze" nützlich machen sollen, verhilft niemandem dazu, sich als vollwertiges Mitglied dieser Gesellschaft zu empfinden. Als kostengünstige Alternative zur Schaffung normaler, mit Tariflohn bezahlter, sozial abgesicherter Arbeitsplätze wird er viel mehr als kostensenkender Standortfaktor in die Konkurrenz um Investivkapital eingespeist und ist dementsprechend darauf abonniert, sich zu einem regelrechten Arbeitsdienst zu entwickeln.

Das von der SPD-Politikerin vertretene Menschenbild, laut dem der von objektivem Mangel an Erwerbsarbeit betroffene Arbeitslose öffentlicher Maßnahmen bedarf, um mit Hilfe der sinnstiftenden Perspektive, sein Leben als Faktotum der Gemeinde zu fristen, nicht minder symbolisch wie sein Lohn in die Arbeitsgesellschaft integriert zu werden, frönt der reaktionären Anthropologie, daß dem Menschen geholfen werden muß, weil er von sich aus mit seinem Leben nichts anfangen kann. Der ausschließlich fremdverfügte Charakter des herrschenden Arbeitsbegriffs steht der Frage danach, inwiefern Arbeit dem Menschen überhaupt Lebenssinn verschaffen kann, wirksam im Weg.

Wieso sollten Menschen nicht die Freiheit genießen, sich in eigener Regie mit Tätigkeiten zu beschäftigen, deren Nutzen nicht ohne weiteres marktwirtschaftlich verwertbar ist, und dennoch ein angemessen finanziertes Leben zu führen? Neben möglichen Hilfestellungen für Mitmenschen, an denen niemals Mangel herrscht, sind Formen der kollektiven wie individuellen Selbstorganisation denkbar, die etwa das Studium bestimmter Wissensgebiete, den Erwerb handwerklicher Fähigkeiten oder die Beteiligung am demokratischen Diskurs betreffen könnten. Unter solchen ungeregelten, nicht rechenschaftspflichtigen Bedingungen tätig zu werden setzt Freiwilligkeit in einer Weise voraus, mit der die Befreiung aus der Unmündigkeit überhaupt erst denkbar wird.

Bei der dauerhaften organisierten Einbindung von Erwerbslosen in kommunale oder karitative Projekte hingegen ist es nur eine Frage des stets geschürten Sozialneids, bis Formen der Nötigung und des Zwangs eingesetzt werden, um diese mit genügend Arbeitskräften auszustatten. Das staatlich verfügte Schneeschippen eines Westerwelle und das staatlich empfohlene Schneeschippen einer Kraft unterscheidet sich lediglich in der Geschwindigkeit, mit der der Marsch in die sozialdarwinistische Gesellschaft an sein Ziel gelangt. Im Ergebnis würde auch mit Krafts Vorschlag ein noch unter dem Niedriglohnsektor und den befristeten Ein-Euro-Jobs liegender Bereich der gesellschaftlichen Produktivität geschaffen, der zur weiteren Vernichtung von Lohnarbeit beiträgt. Im Grunde genommen wird mit einer solchen Maßnahme der Notstand veschleiert, daß der Kapitalismus zur Reproduktion der per Lohnarbeit verwerteten Menschen nicht in der Lage ist, die kapitalistische Arbeitsgesellschaft also zusehends in einen kleinen Kern ausschließlicher Eigentümer, einen engen Kreis hochproduktiver Funktionseliten, einen stetig schrumpfenden Ring konventioneller Lohnabhängiger und einen stetig breiter werdenden Saum von Arbeitsverpflichteten zerfällt.

Dem in der Peripherie mehr schlecht als recht überlebenden Subproletariat wird kein würdevolles Leben ermöglicht, indem man es von Tätigkeiten aussperrt, deren Anforderungen an Wissen und Kompetenz auch einen entsprechenden Einfluß auf gesellschaftliche Verhältnisse freisetzen. Mit der von Kraft eingeschlagenen Marschrichtung wird statt dessen die neue Dienerklasse institutionalisiert, die sich in Form "freiwilliger" Beschäftigungen wie einkommensloser Praktika und informeller Dienstleistungen aller Art längst etabliert hat.

Als Ergebnis des von dem FDP-Chef verbreiteten Sozialrassismus ist der Vorstoß der NRW-Politikerin nichts als ein unredlicher, weil das konstitutive ökonomische Gewaltverhältnis leugnender Versuch, auf den Zug in die unumkehrbare Formierung einer Herren-und-Sklaven-Ordnung aufzuspringen. Anstatt Grundsatzkritik zu üben und über neue, nicht unter dem Diktat eines sozialfaschistischen Arbeitsethos stehender Formen gesellschaftlicher Reproduktion nachzudenken, wird Krisenmanagement zu Lasten der Schwachen betrieben. Während die Verluste des Finanzkapitals mit Milliardensummen sozialisiert werden, wird der Nachteil des Lohnabhängigen, nicht zu den Kapitaleignern zu gehören, als Verhängnis zementiert. Die "Perspektiven", die Kraft Langzeitarbeitslosen verschaffen möchte, sollen vergessen machen, daß sie allen Grund hätten, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und sich zu einer gesellschaftlichen Produktivkraft zusammenzuschließen, die ihre Interessen im ganz basisdemokratischen Sinne ganz unten artikuliert.

10. März 2010