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RAUB/0866: Britische Arbeiter in nationalistische Bahnen gelenkt (SB)



New Labour kann stolz auf sich sein. Mit dem Schlachtruf "British jobs for British workers" demonstrierten letzte Woche Tausende britischer Arbeiter gegen die angebliche Bevorzugung ausländischer Bauunternehmen. Betroffen von ihrer Wut sind unter anderem italienische und portugiesische Arbeiter, die bei einer italienischen Firma angestellt sind, die im Rahmen einer Ausschreibung unter britischen und europäischen Bauunternehmen den Zuschlag dafür bekam, die Arbeiten an einer Erdölraffinerie im ostenglischen Lindsey mit eigenen Arbeitskräften zu bewerkstelligen. Zwar behaupten Gewerkschafter, daß die offiziell illegalen Streiks sich nicht gegen ausländische Arbeiter, sondern deren Arbeitgeber richteten, die britische Arbeiter angeblich diskriminieren.

Im Ergebnis stehen jedoch britische Arbeiter vor den Toren von diverser Energieunternehmen und verlangen dort, was ihnen Premierminister Gordon Brown 2007 nach seinem Amtsantritt versprach, nämlich "britische Jobs für britische Arbeiter" zu schaffen. Heute will er dies nur als Appell für eine bessere Ausbildung verstanden wissen und bezeichnet die wilden Streiks als nicht gerechtfertigt. Brown verteidigt damit die neoliberale Politik der EU, die grenzüberschreitende Freizügigkeit der Lohnarbeit in ihren Mitgliedstaaten unter Bedingungen zu gewähren, unter denen ausländische Unternehmen die Sozial- und Lohnstandards der Länder unterlaufen können, in denen sie Aufträge erhalten.

Britannien gehört aufgrund des besonders hohen Anteils, den die am Finanzmarkt erzielten spekulativen Gewinne an der Wirtschaftsleistung des Landes hatten, zu den von der Krise besonders schwer betroffenen EU-Staaten. Brown, der sein Land als Schatzkanzler noch vor zwei Jahren zu einem Vorbild an "Prosperität und Gerechtigkeit für britische Familien" erklärte, ist heute Verwalter eines Niedergangs, der inzwischen jeden zweiten Briten um seinen Job fürchten läßt. Dabei hatten die Briten bereits zum Zeitpunkt seiner Behauptung, das finanzkapitalistische Akkumulationsmodell habe den Zyklus von Boom und Krise überwunden, Schulden in Form von Hypotheken und Krediten in Höhe des gesamten Bruttoinlandsprodukts angehäuft. Heute beträgt die private Verschuldung 170 Prozent des Bruttoinlandprodukts, und ein Ende des Absturzes ist nicht abzusehen. Mit der Immobilienkrise, die diesen Schulden durch den rapiden Werteverfall der Häuser die Deckung entzog, einer stark von den Erträgen des Finanzmarkts abhängigen Dienstleistungsgesellschaft und einer nur bedingt leistungsfähigen Industrie und Landwirtschaft steht Britannien vor Problemen, die der Regierung Anlaß zu größter Sorge um die Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Friedens geben.

Vor diesem Hintergrund dürfte man in Downing Street No. 10 eher erleichtert darüber sein, daß sich die Wut der britischen Arbeiter nicht gegen die eigene Regierung richtet, sondern Züge einer Fremdenfeindlichkeit aufweist, die dem Kapital in wirtschaftlichen Krisen stets wertvolle Dienste leistet. Das Ausspielen von Standortvorteilen im Rahmen der EU-europäischen Arbeitspolitik bietet beste Voraussetzungen dafür, nicht den mehrwertabschöpfenden Nutznießer der Lohnarbeit, sondern den Konkurrenten um die knappen Arbeitsplätze zum Ziel von Arbeiterprotesten zu machen. Daß der Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital in nationalistische Bahnen gelenkt werden kann, ist allerdings auch dem Versäumnis der britischen Gewerkschaften, nicht genug Kritik an der sozialdemokratischen Regierungspartei geübt zu haben, zuzuschreiben.

Die britische Arbeiterschaft hat sich von der unter der Tory-Regierung Margaret Thatchers seit 1979 erfolgten Zerschlagung der Gewerkschaften nie erholt. Die Chance, mit der Machtübernahme durch die Labour Party 1997 zu alter Größe zurückzukehren, wurde verspielt, indem man dem damals von Tony Blair propagierten "Dritten Weg" zwischen Kapitalismus und Sozialismus nicht genügend Widerstand entgegensetzte. Das Ergebnis der Übernahme der neoliberalen Praktiken, mit denen die Conservative Party 18 Jahre lang den Ausverkauf der traditionell kampfstarken britischen Arbeiterklasse betrieben hatte, durch New Labour kann heute an einem auf den Staatsbankrott zusteuernden Land besichtigt werden, dessen Bevölkerung zusehends auf nationalchauvinistische Parolen hereinfällt, anstatt ihr Klasseninteresse als internationalistisches Anliegen zu begreifen.

3. Februar 2009