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HERRSCHAFT/1899: USA - Benachteiligung nichtweißer Amerikaner ist geblieben ... (SB)



Der Glaube daran, ein Machtwechsel im Weißen Haus würde die Wunde des Rassismus in den USA heilen, ist Teil des Problems. Die Bewältigung sozialer Ungleicheit geht mit seiner Überwindung Hand in Hand, und doch wird so getan, als reichten einige blumige Worte und die Durchsetzung von Quotenregelungen oder Programmen wie Affirmative Action dazu aus, den blutigen Fleck von der weißen Weste der freien Marktwirtschaft zu entfernen. So wenig deren Freiheit darin besteht, nicht an eine rigide Eigentumsordnung gebunden zu sein, die die große Mehrheit der Menschen von den Vorzügen der Kapitalakkumulation fernhält, so sehr sorgt das historische Vermächtnis der Sklaverei bis heute dafür, daß Schwarze in den unteren Einkommensschichten überproportional vertreten sind, während sie an der Spitze unternehmerischer Kapitalmacht nur sehr selten erblickt werden.

Aus der 400jährigen Geschichte der nordamerikanischen Sklaverei, die 1865 offiziell endete, sind Formen struktureller Benachteiligung hervorgegangen, die sich bis heute in der massiven sozialen Benachteiligung schwarzer Menschen ausdrücken. Während der Sachverhalt in zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen und statistischen Erhebungen zweifelsfrei nachgewiesen und umfassend dokumentiert ist, läßt die Aufhebung rassistisch bestimmter Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse nicht nur zu wünschen übrig. Die mit der Durchsetzung neoliberaler Vergesellschaftung immer weiter auseinanderklaffenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse in den USA führen dazu, daß Armut und Not unter nichtweißen Gruppen der Bevölkerung weiter zunehmen, was gleichbedeutend mit politischer Entrechtung und Ausgrenzung ist.

Eine Partei wie die der Demokraten, deren Führungsebene sich aus den Geld- und Funktionseliten des Landes rekrutiert, ist denkbar ungeeignet dazu, die dunkle Seite der von ihr beanspruchten Zuständigkeit für das Problem des Rassismus zugunsten seiner unumkehrbaren Überwindung ins Licht selbstkritischer Emanzipation zu ziehen. So macht sie zwar Angebote zur Besserstellung ethnischer Minderheiten, hält zugleich jedoch am Primat des staatlichen Gewaltmonopols und seiner kriegerischen Durchsetzung in aller Welt wie im eigenen Land als Bedingung eigener Hegemonie fest. Auf diese Weise bleibt die Befriedung der US-amerikanischen Klassengesellschaft stets unvollständig.

Der Widerspruch zwischen Gewaltanwendung und Partizipationsanspruch, dynamisiert und verschärft durch das Krisenmanagement der neoliberalen Austeritätspolitik, die den vielgerühmten pursuit of happiness als aus Mangel und Zwang geborenen Kampf der Marktsubjekte untereinander erkennen läßt, ist aus sich selbst heraus nicht aufzulösen. Es bedürfte der Aufhebung der privatwirtschaftlichen Eigentumsordnung zugunsten einer materiellen Gleichheit, die die Menschen von der Notwendigkeit befreite, scheinbare Feinde zu produzieren, die sie an Stelle des sie bedingenden Kapitalverhältnisses für ihre Misere verantwortlich machen können.

Weil die Partei der Demokraten im Duopol US-amerikanischer Regierungsbildung als erste Adresse für die symbolpolitische Bekämpfung des Rassismus gilt, macht sie sich politisch unverzichtbar. Wenn die ausgegrenzten und überflüssig gemachten Menschen, die unter der schwarzen Bevölkerung weit überrepräsentiert sind, merkten, daß sie mit Versprechungen auf gesellschaftliche Teilhabe und empathischen Anerkennungsritualen nicht zuletzt nationalistischer Art systematisch in die Irre andauernder materieller Entbehrungen und repressiver Gängelung geführt werden, dann erhielten die sozialen Spannungen eine klare politische Richtung und stiegen schnell auf ein vorrevolutionäres Niveau an.

Die Partei der Demokraten ist, wer auch immer aus ihren Reihen als PräsidentschaftskandidatIn aufgestellt wird, ein ausführendes Organ weißer patriarchaler Suprematie auf der Höhe eines digitalen, mit allen Finessen des social engineerings und Konsensmangements versehenen digitalen Kapitalismus, dessen Suggestivkraft es den dadurch verfügbar gemachten Menschen nicht gerade leicht macht, das ganze Ausmaß ihrer Fremdbestimmung zu durchschauen. Als vermeintlich kleineres Übel verweist sie ihre Wählerschaft auf den Platz einer politischen Genügsamkeit, die sich nie über das Stadium erwartungsvollen Hoffens auf das Herunterfallen jener Krümel hinausentwickelt hat, die als Überschuß kapitalistischer Reichtumsproduktion seit 40 Jahren in Aussicht gestellt werden und dennoch niemals auf wirklich nahrhafte Weise Gestalt annehmen.

Dementsprechend kann eine antirassistische Politik ohne antikapitalistische Fundamentalkritik nicht viel mehr leisten als Wundpflaster zu verteilen, die die Schmerzen des Problems systematischer Benachteiligung zwar lindern, den Krankheitsherd aber nie beseitigen können. Ganze Berufstände im Bereich sozialmedizinischer, sozialpsychologischer, juristischer und strafrechtlicher Regulation leben vom virulenten Charakter des Rassismus, der in den USA ein monströses Strafvollzugssystem hervorgebracht hat, das von keinem anderen Interesse getrieben wird, als die gesellschaftlichen Wunden zu vergrößern, um stets über genügend Gründe zur eigenen Daseinsberechtigung zu verfügen.

Wer Antirassismus auf einen Normenkatalog und ein Verhaltenskorsett reduziert, anstatt die systemischen Gründen des Hasses und der Gewalt zu untersuchen, die sich an Hautfarbe, Geschlecht und sozialem Status entzünden, läuft Gefahr, das Geschäft derjenigen zu verrichten, die Ausgrenzung und Abweichung produzieren, weil es gesellschaftlich honoriert wird. Ohne die integrative Widerspruchsregulation der kapitalistischen Kontrollgesellschaft, die Anpassung und Unterwerfung belohnt, weil gesellschaftlicher Frieden zur Fortsetzung von Ausbeutung und Unterdrückung unabdingbar ist, zu durchschauen und zu überwinden, bleibt es bei Diversitätspolitiken, die sicherlich besser als gar nichts sind, aber die Chance, das prinzipielle Vergleichen von Menschen nach Wertkategorien vollends zu überwinden, eher verkleinern.

Der mit den geläufigen Verkehrsformen und Regulationspraktiken erwirtschaftete gesellschaftliche Frieden wurde mit der Ermordung von George Floyd kurzfristig aufgekündigt. Zu offenkundig ist die Fratze herrschender Gewaltverhältnisse sichtbar geworden, als daß der Ruf nach der strafrechtlichen Verfolgung der Täter für eine allgemeine Beschwichtigung ausgereicht hätte. Den über diesen Anlaß weit hinausgewachsenen Protesten mag es noch an radikaler politischer Orientierung mangeln, das dabei freigesetzte Potential an grundsätzlicher Kritik und entschiedenem Widerstand jedoch ist erheblich.

5. Juni 2020


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