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HERRSCHAFT/1859: Kapitalismus grün - einmal Räuber, immer Räuber ... (SB)



Beim Klimawandel geht es im Kern um Streit. Es ist ein Streit, der sich um die Frage dreht, wie Menschen miteinander und mit dem Planeten leben. Dieser Streit basiert auf Jahrhunderten von Gewalt und Ausbeutung bis zum heutigen Tage, für Privilegierte häufig unsichtbar, verwoben in die ökonomischen, sozialen und politischen Systeme. Wir können entweder unser eigenes Unbehagen zum Anlaß nehmen, um die Strukturen der Gewalt zu konfrontieren, die uns zu diesem Wendepunkt in der menschlichen Geschichte geführt haben, oder wir können uns mit angenehmen Erzählungen beschwichtigen und den diesem System inhärenten Widersprüchen gestatten, uns weit über den Punkt des Zusammenbruches hinauszukatapultieren.
Luke Orsborne - Climate and War [1]

Auf die Grünen ist in militärischer Hinsicht Verlaß, das macht die im Aufwind befindliche Partei allemal regierungsfähig. Jürgen Trittins Eintreten für den Erhalt einer NATO, die "gut für symmetrische Abschreckung gegen Osten" [2] sei, bei gleichzeitigem Aufbau einer EU-eigenen Außenpolitik und einer dementsprechend von den USA unabhängigen militärischen Schlagkraft, kann von UnionspolitikerInnen kaum widersprochen werden. Indem er sich auf die eurozentrische Rhetorik eines Emmanuel Macron beruft, spuckt er zwar den eingefleischten TransatlantikerInnen in die Suppe, befindet sich damit aber in großer, deutschhegemonialer Gesellschaft. Die von ihm verlangte Steigerung "europäischer Stärke" vor dem Hintergrund einer von Deutschland und Frankreich definierten Interessenpolitik zeigt, daß Klimaschutz ohne kriegsbereite Waffengewalt zumindest dann nicht zu haben ist, wenn er, wie von der Grünen-Kovorsitzenden Annalena Baerbock verlangt, mit der "Wucht" geregelter Märkte vorangetrieben werden soll.

Die hohe Attraktivität dieser lodengrünen Programmatik erklärt sich nicht nur dadurch, daß sie im Parteienensemble bis vielleicht auf die AfD in jede Richtung anschlußfähig ist. Sie verheißt im Großen und Ganzen die Fortsetzung eines grün moderierten Wachstumskurses, dessen weltmarkttaugliche Wettbewerbsfähigkeit durch die Klimakrise sogar noch gesteigert wird. Indem die technologische Innovationsfähigkeit deutscher Industrien zum Markenzeichen nationaler Exportwirtschaft erklärt und die Reduzierung von Treibhausgasen durch CO2-Steuer und Emissionshandel als neues Geschäftsmodell der Finanzwirtschaft propagiert wird, nimmt ein zeitgemäßes, vermeintlich krisenresistentes und ökologisches Akkumulationsregime Gestalt an. So sinnvoll einzelne Elemente grüner Technologien für sich genommen sein mögen, so sehr sorgt ihre Anwendung unter marktwirtschaftlichen Bedingungen dafür, daß die nach innen klassengesellschaftlich und nach außen imperialistisch ausgerichtete Staatsräson Deutschlands fortgeschrieben und sogar optimiert wird.

Wenn nicht danach gefragt wird, ob es ökologisch nicht am sinnvollsten wäre, zur Befriedigung von Bedürfnissen zu produzieren, die keinerlei klassengesellschaftlicher Bevorteilung oder Benachteilung unterworfen sind, wenn die aus der überproportionalen Inanspruchnahme der Atmosphäre durch die industriell hochentwickelten Staaten erwachsende Verantwortung nicht zum Anlaß einer sozialökologischen Angleichung weltweiten Verbrauches im Sinne einer globalen Postwachstumsgesellschaft genommen wird, dann wird sich auch nichts an der nur einseitig durchlässigen Festungsmentalität einer EU ändern, die sich gegen flüchtende Menschen abschottet, während die eigenen Ansprüche auf die Ausbeutung natürlicher und humaner Ressourcen, auf Reisetätigkeit und militärische Intervention in aller Welt uneingeschränkt fortbestehen.

Um der expansiven Verwertungslogik eines grünen Kapitalismus gerecht zu werden, sind die EU-europäischen Kernstaaten auf Nachschub an mineralischen und agrarischen Rohstoffen in einem Ausmaß angewiesen, das auch unter ökologischem Vorzeichen die in der EU selbst zur Verfügung stehenden Ressourcen weit übersteigt. Eine solche EU hält an der Ausbeutung billiger Arbeitskraft im Rahmen der globalisierten Arbeitsteilung ebenso fest wie am Export hochsubventionierter Agrarerzeugnisse, die einheimische Märkte in den Zielländern zerschlagen, von Industrieprodukten, die die eigene Reichtumsproduktion durch die Zementierung vorhandener Produktivitätsabstände sichern, und der Gewinnabschöpfung durch immaterielle Rechte wie etwa bei der Lizensierung von Saatgut und Pestiziden. Naturschutz nach Maßgabe einer grünen Bourgeoisie ist von Klassenprivilegien nicht zu trennen, das gilt für die Erwirtschaftung von Emissions- und Biodiversitätszertifikaten, die für den ökologischen Ausgleich von Flugreisen erforderlich sind, ohne Berücksichtigung der Interessen der Menschen, die in den dabei in Wert gesetzten Wäldern leben, genauso so wie bei der einkommensabhängigen Parzellierung von Wohnmöglichkeiten, wo die individuelle Zahlungsfähigkeit über das Ausmaß der in Kauf zu nehmenden Umweltbelastungen entscheidet, oder die Vermarktung hochwertiger Biolebensmittel, die sich prekär entlohnte Menschen nicht leisten können.

Wäre es anders, dann brauchte eine ökologischen und emanzipatorischen Zielen verpflichtete Partei nicht das Pulver der Gewehre trocken zu halten, mit dem die globale Verteilungsordnung gesichert und der soziale Widerstand im eigenen Land unten gehalten wird. Die von Baerbock auf dem Parteitag der Grünen getroffene Aussage, daß eine grüne Bundesregierung in höherem Ausmaße zu regulativen Eingriffen in die individuellen Mobilitäts- und Verbrauchspraktiken griffe, schließt neue Formen von Luxuskonsum nicht aus. Wo grüne Marktwirtschaft draufsteht, wird das Umschiffen ökologisch bedingter Verbote durch höhere Preise oder das Ausweichen in andere Länder zum neuen Verkaufsargument. Die Verheißungen sozialer Umverteilung, mit denen die Grünen werben, um den Eindruck zu erwecken, in einer nach ihren Maßgaben organisierten Gesellschaft ginge es nicht nur ökologischer, sondern auch sozial gerechter zu, werden mit den gleichen haushaltspolitischen Vorbehalten kollidieren, die seit jeher für die Abwehr eines bedingungslosen Grundeinkommens, von dem sich tatsächlich gut leben ließe, geltend gemacht werden.

Ohne die Anerkennung des grundlegenden Problems einer kapitalistischen Vergesellschaftung, die am Anfang der industriellen Entwicklung Europas und der dadurch entfachten Klassenkämpfe stand, um in der finalen Phase dieses auf Ausbeutung von Arbeit und Natur basierenden Entwicklungsweges einen sozialen Krieg ungeahnten Ausmaßes zu riskieren, läßt sich die notwendige Umwälzung der herrschenden Verhältnisse nicht auf einvernehmliche und gewaltlose Art und Weise erreichen. So emanzipatorisch die Politik der Grünen erscheinen mag, so repressiv wird ihr Vollzug durchgesetzt werden müssen, wenn die elementaren Fragen zu Macht und Herrschaft, zu Kapitalismus und Patriarchat nicht auf zukunftsoffene Weise gestellt werden. Die sich abzeichnende Allianz mit sozialreaktionären und nationalchauvinistischen Parteien jedenfalls eröffnet keine andere Perspektive als diejenige, die immergleiche Misere fortzuschreiben.


Fußnoten:

[1] in eigener Übersetzung entnommen aus
http://www.wrongkindofgreen.org/2019/11/06/climate-and-war-bill-mckibbens-deadly-miscalculation/

[2] https://www.deutschlandfunk.de/gruenen-politiker-trittin-nato-ist-gepraegt-von-tiefen.694.de.html?dram:article_id=463927

22. November 2019


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