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HERRSCHAFT/1841: AfD - die getarnte Rechte ... (SB)



Ich habe keine rechtsextreme Biografie. Sie könnten mir unterstellen, dass ich Bezüge habe.
Andreas Kalbitz (Landesvorsitzender der AfD in Brandenburg) [1]

Daß der Brandenburger AfD-Landesvorsitzende Andreas Kalbitz an der Entstehung von zwei Filmen über Adolf Hitler und die Wehrmacht beteiligt war, die nach Einschätzung des Historikers Thomas Weber von der Universität Aberdeen "den Eindruck einer geschickten Hitler-Verherrlichung" machen, ist weder erstaunlich noch der gravierendste Grund, diesen Politiker am äußersten rechten Rand seiner Partei zu verorten. Wenngleich es also weit wichtigere und gegenwartsbezogen relevantere Argumente gibt, die von Kalbitz ausgehende Gefahr zu unterstreichen, könnte die nun zutage geförderte Historie doch zumindest dazu beitragen, dem Brandenburger Parteivorsitzenden die ihm gebührende kritische Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zuteil werden zu lassen. Verglichen mit seinem Bruder im Geiste Björn Höcke in Thüringen, der auf brachiale Schlaglichter setzt, ist er bislang medial eher unterbelichtet, was sich mit Blick auf die Landtagswahlen im Herbst und darüber hinaus als fatal erweisen könnte.

Die Warnung, der ehemalige Fallschirmjäger und Protagonist des völkisch-nationalen Flügels der AfD sei womöglich noch einflußreicher und wirksamer als Höcke, wurde auch schon von Mainstreammedien ausgegeben, hat aber bislang nicht dazu geführt, die Umfragewerte seiner Partei in Brandenburg absacken zu lassen. Die anstehenden Urnengänge in diesem Bundesland wie auch in Sachsen und Thüringen drohen in einen Aufstieg der AfD zu münden, der in der Folge in Kreisen der talfahrenden CDU dem Kalkül Vorschub leisten könnte, um der Regierungsbeteiligung willen die vorgebliche Unvereinbarkeit mit der Rechtspartei zu entsorgen. Insbesondere in Sachsen war die CDU zeitweise so weit nach rechts gerückt, daß die Frage im Raum stand, warum sich ein beträchtlicher Teil ihrer Repräsentanten und Mitglieder nicht gleich der AfD anschließt.

Was nun die aktuelle Aufregung um Kalbitz angeht, hat sein 2006 verstorbener Schwiegervater Stuart Russell, ein ehemaliger britischer Soldat, mehrere Bücher über den Ersten und Zweiten Weltkrieg geschrieben, darunter "Himmlers Burg. Zentrum der SS" oder "Frontsoldat Hitler. Der Freiwillige des Ersten Weltkriegs", die von rechten Versandhäusern vertrieben werden. Weber zufolge macht der Hitler-Film "den Eindruck einer geschickten Hitler-Verherrlichung". "Augenscheinlich unkritisch übernommen" werde "die Geschichte, die die NS-Propaganda und Hitler selbst über seine Zeit im Ersten Weltkrieg zu erzählen versuchten". Nur vordergründig relativiert werde dies durch eingeschobene Teile eines Interviews mit dem renommierten Historiker Ian Kershaw. Das wirke im Film, "als versuchten die Autoren davon abzulenken, dass sie die Kernaussagen der NS-Propaganda über Hitler gegen die historische Zunft verteidigen".

"Mir scheint der Film zu suggerieren, dass Hitlers Antisemitismus auf tatsächlich existierende 'kapitalistische Bestrebungen' und eine 'finanzielle Macht' der Juden als Ursprung aller Miseren in der Welt zurückzuführen sei. Das Gleiche gilt nach meiner Einschätzung für die im Film zu hörende Aussage, dass der Erste Weltkrieg Resultat einer 'evil alliance' von Juden und Marxisten sei", erklärt Weber weiter.

Ein zweiter Film, für den Kalbitz das Drehbuch geschrieben haben soll, befaßt sich mit der 1. Gebirgsdivision, die im Zweiten Weltkrieg am Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion beteiligt war. "Von Garmisch in den Kaukasus. Die Geschichte der 1. Gebirgsdivision 1941-1942" vermittle den Eindruck, als habe es sich bei dem Vorrücken der Division um eine Heldentat gehandelt. Die Division war ab Frühjahr 1943 vor allem in Griechenland an schweren Kriegsverbrechen beteiligt, was in dem Film verschwiegen werde. Darin kommt der Militärhistoriker Heinz Magenheimer mit der These zu Wort, die Sowjetunion habe einen Angriff auf Deutschland geplant, dem Hitler nur zuvorgekommen sei. Dem deutschen Angriff habe mittelfristig gesehen ein präventiver Aspekt zugrunde gelegen. Im Werbetext des Weltbild-Versands heißt es, die Gebirgsjäger hätten "militärisch wie auch alpinistisch Maßstäbe fast übermenschlicher Leidensfähigkeit" gesetzt.

Wie äußert sich Andreas Kalbitz selbst dazu? Er räumt seine Beteiligung unumwunden ein und erklärt, er habe diese beiden Filme zusammen mit seinem Schwiegervater erstellt, der sich "als Brite mit deutschen Texten schwer getan" habe. Deshalb habe er ihm "gerne dabei geholfen, die Scripts zu überarbeiten". "Er war mit Sicherheit kein Rechtsradikaler oder gar Extremist." Was den Film über die "Edelweißdivision" betrifft, sei dieser als Zweiteiler gedacht gewesen, allerdings sei der zweite Teil nie produziert worden. Da die Kriegsverbrechen der Division erst 1943 begangen worden seien, tauchten sie in der Darstellung der Jahre 1941 und 1942 nicht auf, so Kalbitz. Im übrigen habe die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien dem Streifen eine Freigabe ab 16 Jahren erteilt, und der Weltbild-Versand vertreibe ihn noch immer. In Wahrheit gehe es bei dem Bericht über die Filme "doch nur darum, Schlagzeilen zu produzieren, in denen 'Hitler' und 'Kalbitz' in einem Satz genannt werden können", erklärt Kalbitz und spricht von "hilflosem medialen Nazi-Bashing". [2]

Nach demselben Muster wiegelt er seine Vergangenheit im rechtsextremen Umfeld ab, die man problemlos im Internet recherchieren kann, sofern man sich dafür interessiert. Der Münchner war 1993 für ein Jahr Mitglied bei den Republikanern, worüber er heute sagt: "In zwölf Monaten macht man nicht viel." Er war an der Entstehung des "Witikobriefs" beteiligt, in dem er über den angeblichen "Ethnozid am deutschen Volk" spricht. Das sei, so Kalbitz, eine "eventuell etwas unüberlegte Sprachwahl" gewesen, "die sicher meinem Alter geschuldet war". Und was ist mit seiner Teilnahme an einem Zeltlager der neonazistischen und 2009 verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ)? "Wenn ich es irgendwie für sinnvoll erachtet hätte, dann hätte es mich weiterhin interessiert. Hat es aber nicht", sagt er dazu. Zudem führte er den rechtsextremen Verein "Kultur- und Zeitgeschichte, Archiv der Zeit", den der frühere SS-Hauptsturmführer und NPD-Funktionär Waldemar Schütz in den 1980er Jahren mitbegründet hatte. Nachdem dies 2015 bekannt wurde, legte Kalbitz den Vereinsvorsitz nieder. Medien, die all das aufwärmten, gehe es nur darum, die "Extremismuskeule" zu schwingen, so Kalbitz.

Dazu erklärt Sebastian Walter, Spitzenkandidat der Linken bei der Landtagswahl, Kalbitz mache genau das, was die sogenannte Alternative für Deutschland auf ihren Wahlplakaten in Brandenburg ankündige: "Sie, also auch Andreas Kalbitz selbst, möchte Geschichte schreiben." Das schließe "die Verklärung, Verharmlosung und das Beschönigen Adolf Hitlers und seines Wirkens mit ein", so Walter. "Ein Nazi bleibt ein Nazi - da hilft kein Etikettenschwindel." Kalbitz' Versuch, eine bürgerliche Fassade zu wahren, sei gescheitert.

Wenngleich man den Vorwurf des Etikettenschwindels durchaus unterschreiben kann, dürfte die Annahme, Kalbitz sei mit seiner Fassade gescheitert, allzu optimistisch sein. Der Spitzenkandidat seiner Partei für die Landtagswahl in Brandenburg am 1. September ist ein machtbewußter Stratege, der sich weder damit begnügt, ausschließlich in rechten Kreisen aufzutrumpfen, noch diesen um des politischen Erfolges willen entsagt. Er marschiert bei rechtsextremen Aufmärschen in der ersten Reihe mit und ergeht sich auf dem Kyffhäuser-Treffen des national-völkischen "Flügels" innerhalb der AfD in apokalyptischen Drohungen: "Wir sind die Totengräber der fauligen Reste dieser 68er-Zersetzung!". Und: "Wir sind die Götterdämmerung dieses globalisierten Multikulturalismus!" Oder: "Wir kriegen den Flieger voll mit den Claudia Roths und Cem Özdemirs!"

Andererseits ist ihm bewußt, daß das dezidiert rechte Klientel eine beschränkte Marge nicht überschreitet, dessen Grenze bei Wahlen längst erreicht ist. Soll der politische Flügel der rechten Bewegung weiter wachsen, muß er im bürgerlichen Lager wildern und auch für dieses wählbar sein. Wie Kalbitz Anfang letzten Jahres bei einem Vortrag im Institut des neurechten Verlegers Götz Kubitschek dargelegt hat, enthalte er sich verbaler Provokationen, die kurzfristig Aufmerksamkeit erheischen, sondern übe sich in Beharrlichkeit und Geduld, da er sich auf einem politischen "Langstreckenlauf" sehe. Er kann bei Bedarf durchaus Kreide fressen und hat ungeachtet seiner völkischen Vita viel von der Neuen Rechten übernommen, die alten NS-Ballast abgeworfen und sich eine zeitgemäß gebürstete identitäre Ausrichtung zugelegt hat.

Zum Schafspelz gehört auch, die Beobachtung durch den Verfassungsschutz einzudämmen, indem man ihm keine unnötige Munition liefert. Der Inlandsgeheimdienst hat den "Flügel" im Januar zum Verdachtsfall erhoben und erwähnt Kalbitz an 54 Stellen des Gutachtens namentlich. So wird unter anderem eine Rede von 2017 zitiert, in der er mit seinem langfristigen Ziel nicht hinter dem Berg hält: "Die AfD ist die letzte evolutionäre Chance für dieses Land. Danach kommt nur noch 'Helm auf!'" Das Wahlprogramm der AfD in Brandenburg liest sich jedenfalls so, als hätten die Autoren den prüfenden Blick der Verfassungsschützer im Nacken gespürt. Offensichtlich Skandalöses findet sich darin nicht.

Wie Kalbitz realistisch einräumt, will im Moment niemand mit der AfD koalieren. "Aber der Ton wird sich ändern. Die Union erodiert an der Basis. Ich spreche häufig mit Unternehmern, die auch CDU-Mitglieder und sehr aufgeschlossen sind." Es sei nur eine Frage der Zeit, wann die AfD in Deutschland mitregiere. "Brandenburg wird mutmaßlich nicht der Eisbrecher sein, Sachsen könnte es sein." In Thüringen sei Björn Höcke "für manche vielleicht noch zu sehr eine Reizfigur - für mich nicht." Die Kontroverse um seine eigene Person verkauft Kalbitz so: "Ich glaube, ich werde zu einer Reizfigur gemacht. Wenn man meinen Wikipedia-Eintrag liest, denkt man, der Raum riecht nach Schwefel, wenn ich reinkomme." Er sei jedoch überzeugt, daß es die Menschen im Land nicht interessiere, was er vor 25 Jahren geschrieben habe, sondern "warum der Bus nach 18 Uhr nicht mehr fährt". [3]

Kalbitz fährt also eine durchaus profilierte Strategie, indem er seine politische Vergangenheit nicht etwa leugnet, sondern eloquent als Jugendsünden verharmlost. Das enthebt ihn weitgehend der Gefahr, durch "Enthüllungen" enttarnt zu werden, wie er auch einer Skandalisierung wenig Angriffsfläche bietet. Sein janusköpfiges Kalkül, der extremen Rechten real verbunden zu bleiben und zugleich ein moderat-forsches Profil vorzuhalten, um ein bürgerliches Publikum zu gewinnen, ist bislang aufgegangen. Um ihm die Flügel vor einem Höhenflug womöglich doch noch zu stutzen, wird der Verweis auf seine eher marginalen Abstecher in altbacken-rechte Filmproduktionen nicht ausreichen. Er geht nicht fehl in der Annahme, daß die Vergangenheit den weit überwiegenden Teil der geschichtsvergessenen Wählerschaft kaum interessiert. Will man die von ihm ausgehende Gefahr hinlänglich ausloten, gilt es herauszuarbeiten, in welch hohem Maße er die Verbindung von völkischem Marschtritt und neurechter Ideologie in Personalunion verkörpert.


Fußnoten:

[1] www.spiegel.de/politik/deutschland/andreas-kalbitz-afd-arbeitete-an-filmen-ueber-hitler-und-die-wehrmacht-mit-a-1280086.html

[2] www.maz-online.de/Brandenburg/Neue-Vorwuerfe-gegen-Andreas-Kalbitz-AfD-Spitzenkandidat-soll-an-verklaerendem-Hitler-Film-beteiligt-gewesen-sein

[3] www.maz-online.de/Brandenburg/AfD-Chef-Kalbitz-will-in-Brandenburg-zehn-Direktmandate-holen-bei-der-Landtagswahl

2. August 2019


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