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HERRSCHAFT/1804: Frankreich - warum nicht mehr ... (SB)



Zweifellos haben die sogenannten Gelbwesten mehr Gründe, auf die Straße zu gehen und gegen Präsident Emmanuel Macron zu demonstrieren, als die angekündigte Erhöhung der Kraftstoffsteuer um 10 Prozent. Die bisherige Bilanz seiner Amtszeit läßt eine scharfe Umverteilung von unten nach oben erkennen, so daß die sozialen Forderungen der Gilets Jaunes nach mehr sozialen Vergünstigungen allemal berechtigt sind. Bei der Initialzündung der Proteste handelte es sich um eine grünkapitalistische Maßnahme, wie sie im Buche der marktwirtschaftlichen Regulation des Klimawandels steht.

Den Verbrauch fossiler Energie teurer zu machen, um die zusätzlich eingenommenen Mittel in den ökologischen Umbau der Gesellschaft zu stecken und zugleich eine Verringerung des mit Diesel und Benzin betriebenen Autoverkehrs zu erreichen, betrifft, wie jede andere Verbrauchssteuer, alle KonsumentInnen unterschiedslos. Was die wohlhabenden Eliten kaum bemerken, trägt bei einkommensarmen Menschen zum existenzbedrohenden Stress bei, der zugleich von steigenden Mieten und der Verteuerung essentieller Lebensmittel ausgeht. Die höhere Besteuerung fossiler Treib- und Brennstoffe wie die Einpreisung externalisierter Kosten bei der Produktion von Energie und Nahrungsmitteln hat eben nicht, wie unterstellt, die bloße Umerziehung zur Anschaffung von E-Mobilen oder zum Verbrauch weniger CO2-intensiver Lebensmittel zur Folge, sondern erzeugt systematisch Mangel bei denjenigen, die am wenigsten dazu in der Lage sind, ihre Lebensweise ohne Einbußen an persönlicher Freiheit und körperlicher Gesundheit umzustellen.

Insofern reflektieren die Proteste der Gelbwesten den durch die neoliberale Politik Macrons vertieften Klassenwiderspruch. Dieser wird jedoch mit der bloßen Forderung nach einer geringeren finanziellen Belastung der Lohnabhängigenklasse nur unzureichend artikuliert. Schließlich sind gerade Menschen, die in billigen, häufig an verkehrsreichen Straßen oder in der Nähe von Industrieanlagen gelegenen Wohnungen leben, überproportional den physisch schädigenden Folgen fossiler Mobilität ausgesetzt. Deren Verminderung etwa durch die Einrichtung kostenloser Fortbewegungsmittel des Öffentlichen Personennahverkehrs und eine generelle Einschränkung des motorisierten Individualverkehrs zu erreichen käme auch ihnen zugute. Das wiederum verlangte grundlegende Eingriffe in die privatwirtschaftliche Eigentumsstruktur in Richtung auf einen Ökosozialismus, mit dem der erforderliche Umbau zur postfossilen Gesellschaft auf eine sozial weit gerechtere Weise erreicht werden könnte, als es bei den marktwirtschaftlichen Lenkungseffekten des Grünen Kapitalismus der Fall ist.

Derartige Forderungen richteten sich auch gegen die versuchte Vereinnahmung der Bewegung der Gelbwesten durch die parlamentarische Rechte, die bislang am meisten davon profitiert, daß Macrons Ansehen auch unter seinen WählerInnen stark gelitten hat. Die Rechnung einer sozial gerechteren Umverteilung aufzustellen, ohne nach dem Wirt des gesellschaftlichen Reichtums zu fragen, ist ein Aktivposten neurechter Parteien und Bewegungen überall auf der Welt. Daß dieser nicht nur von der Mehrwertabschöpfung unter den Lohnabhängigen im eigenen Land zehrt, sondern seine Renditeziele mit der imperialistischen Bewirtschaftung insbesondere des Produktivitätsgefälles zum Globalen Süden verwirklicht, wird bei der Fokussierung sozialer Forderungen auf den nationalen Reichtumsbestand ausgeblendet.

Volkswirtschaftliche Erträge als gegeben vorauszusetzen oder gar durch die offene Zustimmung zu neokolonialistischen Ausbeutungs- und Unterdrückungspraktiken zu sichern ist der Kern jedes rechten Anspruchs auf eine dementsprechend als nationalsozial ausgewiesene Umverteilung. Der französische Staat ist keineswegs bereit, die lange Tradition des europäischen Kolonialismus zugunsten einer globalen und kosmopolitischen Transformation aufzugeben, ohne die das in Paris 2015 vollmundig erklärte Menschheitsziel der Begrenzung des Klimawandels auf deutlich weniger als 2 Grad gegenüber vorindustriellem Niveau nicht zu erreichen ist. Darin sind sich Emmanuel Macron und Marine Le Pen einig. Auch seine Administration verfolgt eine chauvinistische Agenda, die sich von der rechten Konkurrenz nur dadurch unterscheidet, daß sie eher auf einen europäischen denn einen französischen Imperialismus abonniert ist.

Das plötzliche Hervortreten der neuen Bewegung der Gilets Jaunes, die bereits von der Neuen Rechten in der Bundesrepublik kopiert wird, ist symptomatisch für die Verkürzung gesellschaftlicher Entwicklungsziele auf einen Produktivismus, der die Bewältigung der Naturzerstörung und des Klimawandels mit symbolpolitischen Forderungen nach Effizienzsteigerung und Verbrauchsreduktion unterläuft, während er realpolitisch den Sachzwängen kapitalistischer Vergesellschaftung entspricht. Wenn etwa die im Rheinischen Braunkohlerevier vor dem Haus der Klimaaktivistin Antje Grothus protestierenden Kohlekumpel Plakate mit der an sie gerichteten Aufschrift "Arbeitnehmerfeind Nr. 1" tragen, dann braucht man sich über den hohen Anteil von AfD-AnhängerInnen in den Gewerkschaften nicht zu wundern. Rangieren selbst Gesundheit und Zukunft der eigenen Familie hinter den Unternehmenszielen einer Klimawandel und Naturzerstörung forcierenden Industrie, dann ist die Anbiederung der SPD in NRW an das vergilbte Klassenbewußtsein einer solchen Arbeiterschaft nur noch peinlich. Sich in der Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft einem nationalen Raubkollektiv anzuschließen, anstatt den Kapitalismus als solchen zu bekämpfen und die anstehenden Probleme in den Griff weltweiter Solidarität zu nehmen, zeichnet neurechte Bewegungen von Brasilien über Italien und Frankreich bis nach Deutschland aus, um von der Häme eines Präsidenten Trump über jegliches Eintreten für den Schutz der Natur ganz zu schweigen.

Insofern ist das Aufbegehren der Gelbwesten Symptom eines Klassenkampfes, der nicht wirklich im Sinne des eigenen Lebensinteresses in Anspruch genommen wird, sondern in der regressiven Dialektik gesellschaftlicher Gewinner und Verlierer zum Spielball ganz anderer Interessen gerät. Eine emanzipatorische Gegenposition kommt unter den Bedingungen spätkapitalistischer Zerstörungsgewalt nicht ohne Solidarität mit allen Lebewesen wie der Bekämpfung rassistischer und sexistischer Ressentiments aus. So sympathisch jedes soziale Aufstehen gegen Ausbeutung und Unterdrückung ist, so reaktionär kann es mit Feindbildern nationalistischer, antifeministischer und antikommunistischer Art aufgeladen werden. Unbescheidene Forderungen zu stellen, anstatt sich mit den vom Tisch der Reichen herunterfallenden Brosamen zu begnügen, wie es die neoliberale Doktrin von der Profitabilität eines durch die Befreiung des Kapitals stimulierten Wirtschaftswachstums suggeriert, könnte das Gebot der Stunde für die Gelbwesten wie jedes anderen Menschen sein, der dem fiskalischen Regime und der marktwirtschaftlichen Logik des grünen Kapitalismus unterworfen wird.

29. November 2018


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