Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


HERRSCHAFT/1779: Frauen - Emanzipation im Rückwärtsgang ... (SB)



MeToo in allen sozialen Netzwerken, auf allen medialen Kanälen, in aller Munde, und das auch unter Frauen durchaus kontrovers. Wo die einen froh sind, endlich öffentlich Position beziehen zu können, ohne sich dadurch angreifbar oder gar zum Gespött wegen angeblicher Überempfindlichkeit zu machen, monieren andere eine angeblich undifferenzierte Verallgemeinerung von bloßer Anmache und brutaler Vergewaltigung. Es entstehe ein Klima der Denunziation, in dem vermeintliche Täter ohne juristische Überprüfung vorverurteilt und Karrieren vernichtet würden, was letztlich in einer unfreien Gesellschaft resultiere, so der liberale Einwand gegen die Kampagne von sexistischen Übergriffen und sexueller Gewalt betroffener Frauen.

Aus dem Blick gerät ein geschlechterspezifisches Gewaltverhältnis, das mit Klagen über den "hysterischen" Charakter der Kampagne fortschreibt, was im ersten Schritt bekämpft werden soll. Wenn etwa die Publizistin Thea Dorn im November 2017 in einem Streitgespräch [1] anhand des Beispiels, "daß eine Frau, die mal eine ungewollte männliche Hand am Oberschenkel oder im Ausschnitt hatte, sich genauso auf dem Opfermarktplatz tummelt, wie eine Frau, die tatsächlich Opfer brutaler sexueller Gewalt geworden ist", eine "Verhöhnung der echten Opfer" geltend macht, dann disqualifiziert sie derartige Übergriffe allein im Vergleich zu schlimmeren Formen männlicher Gewalt. Die Skala körperlicher Gewaltanwendung ist jedoch nach oben offen und birgt damit weitere Möglichkeiten der Legitimation angeblich auszuhaltender Aggressionen.

So verwirft Dorn denn auch den von der Journalistin Laura Himmelreich in der Talkshow "Anne Will" vorgeschlagenen Imperativ, die Beseitigung von Sexismus bedeute, alles zu beseitigen, was in der Gesellschaft zu Machtungleichheit führt, als "hochgradig gefährlich und tendenziell totalitär". Niemand könne in der Welt noch irgend etwas durchsetzen, "wenn es keine Machtungleichheiten mehr gibt", statt dessen gehe es lediglich darum, "Macht sinnvoll einzuhegen", das sei "das aufklärerische, liberale, zivile Projekt". Übergriffen wie das sogenannte Grapschen und Fummeln müsse sich eine erwachsene Frau aus eigener Kraft erwehren können, "wie will sie denn sonst durch die Welt kommen?"

Aus der Position einer erfolgreichen Schriftstellerin läßt sich anders argumentieren als in einer von ökonomischen und anderen Zwangsverhältnissen umstellten Situation. Der blinde Fleck liberaler Ideologie, laut der jeder Mensch seines eigenen Glückes Schmied ist, macht nicht umsonst mit dem Begriff "totalitär" gegen die Überlegung immun, daß bei der Überwindung sozialer Gewaltverhältnisse grundlegende Fragen an die jeweilige Form der Vergesellschaftung gestellt werden müssen. Dementsprechend verkürzt auf ein spezifisches Symptom patriarchaler Herrschaft wird die MeToo-Debatte geführt. Klassengesellschaftliche Widersprüche und imperialistische Kriegführung mit in den Blick zu nehmen macht schnell klar, daß es bei der Frage, was Frauen hinnehmen und ab wann sie nach dem Schutz von Polizei und Justiz rufen sollten, um die Sicherung des eigenen, aus patriarchaler Dominanz erwirtschafteten Vorteils geht.

Es ist eben nicht damit getan, erfolgreiche Frauen wie Hillary Clinton, Angela Merkel oder Christine Lagarde als Vorbilder eines Feminismus zu feiern, der seinen Platz in einer maskulin dominierten Welt sucht und findet. Wenn Ursula von der Leyen deutsche SoldatInnen in den Irak schickt und fordert, direkten Einfluß auf die Regierung in Bagdad zu nehmen, dann knüpft sie an eine Kriegführung an, unter der Frauen und Kinder am meisten zu leiden hatten und haben. So hat der auch hierzulande als Befreiungsakt gefeierte Sturz des Despoten Saddam Hussein durch die US-geführte Kriegsallianz zu einer erheblichen Einschränkung der relativen Freiheit geführt, die Frauen unter seinem säkularen Regime in Anspruch nehmen konnten. Wenn sie heute nurmehr im Schleier auf die Straße gehen können und auch dann Gefahr laufen, männlichen Übergriffen ausgesetzt zu sein, dann ist das nur eine Folge der sozialen Katastrophe, die der Eroberung des Iraks schon durch das Wirtschaftsembargo der Vereinten Nationen initiierte. Die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright nahm den mangelbedingten Tod Hunderttausender Kinder erklärtermaßen in Kauf, um einen Regimewechsel im Irak zu bewirken, der dem Imperialismus EU-europäischer Couleur erneuter Anlaß zur Intervention ist.

Hierzulande kaum beachtet wird die Aushungerung des Jemens durch eine von Saudi-Arabien geführte Kriegskoalition, die von der Bundesrepublik mit Waffenlieferungen unterstützt wird. "Zehntausende Zivilisten sind vom Hungertod und von Krankheiten bedroht, fast eine Million Menschen ist mit der Cholera infiziert, ein Drittel davon Kinder", schreibt die ehemalige Bundesministerin und EKD-Funktionärin Irmgard Schwaetzer [2]. Ihrem Appell, dieses Mal nicht wie bei dem von deutschen Kolonialtruppen an den Herero und Nama begangenem Genozid 1904 und dem ebenfalls mit deutscher Unterstützung vollzogenen Genozid an den Armeniern 1915 zu verfahren, sondern die längst angerichtete humanitäre Katastrophe zu verhindern, kann der deutsche Militarismus, der sich bis hinein in die Grünen des familien- und gendergerechten Kampfeinsatzes von Frauen rühmt, schon deshalb nur mit weiterem Blutvergießen entsprechen, weil er das Geschäft mit den Aggressoren flankiert.

So sind Politikerinnen verantwortlich für administrative Formen der Gewaltausübung, deren Folgen weit schlimmer sein können als die häusliche Gewalt in Ehen, über die wiederum ganz anders diskutiert wird, als wenn Männer arabischer Herkunft im öffentlichen Raum übergriffig werden. Dementsprechend ist das Patriarchat nicht identisch mit der Biologie der Geschlechterverhältnisse, auch wenn es eine von Männern historisch begründete und bis heute in Anspruch genommene Form der Herrschaft darstellt. Die aus physischer Durchsetzungskraft resultierende Dominanz von Männern bis hinunter auf die Ebene alltäglicher Bewegung im Raum, bei der Frauen weit häufiger Männern auszuweichen haben als umgekehrt, bleibt erhalten. Die Machtpositionen von Männern, so in der MeToo-Debatte, als Ursache für die sexuelle Ausbeutung und Unterwerfung von Frauen geltend zu machen geht darüber nur insofern hinaus, als patriarchale Verfügungsgewalt dem jeweiligen Stand gesellschaftlicher Produktionsverhältnisse entspricht. Der Zwang sexueller Nötigung wird strukturell begünstigt, bleibt aber ganz und gar gegenständlicher Natur.

Halt gemacht wird jedoch vor der grundsätzlichen Infragestellung integraler, auf den ersten Blick unsichtbarer Herrschaftsformen wie der privatwirtschaftlichen Eigentumsordnung und des staatlichen Gewaltmonopols. Daran kann der Anspruch, Machtungleichheiten aller Art zu beseitigen, nur scheitern. Ohne die geschlechterhierarchische Arbeitsteilung und ihre Funktion, die Mehrwertrate des Kapitals durch den Kauf besonders billiger Lohnarbeit und die Einspeisung kostenlos erbrachter Leistungen in deren Reproduktion zu sichern, kritisch in den Blick zu nehmen, bleibt die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit hinter ihren gesellschaftsverändernden Möglichkeiten zurück. Indem große Bereiche der sozialen Reproduktion und die besondere Belastung von Frauen durch wie selbstverständlich von ihnen zu erbringende Leistungen in Haus und Familie ausgeblendet werden, wird nach Geschlechtergerechtigkeit innerhalb einer patriarchalen Ordnung gerufen, ohne die die Krise des Kapitalismus noch untragbarer würde.

In der medialen Öffentlichkeit wird weit erregter über den geringen Anteil von Frauen in den Vorständen führender Unternehmen diskutiert als über ihre überdurchschnittliche Repräsentation in den Berufen sogenannter Sorge- oder Care-Arbeit. Vom Pflegenotstand sind in besonderer Weise Frauen betroffen, von denen zum einen menschliche Zuwendung gegenüber den PatientInnen erwartet wird, während sie zugleich durch den Rationalisierungsdruck in der sogenannten Gesundheitswirtschaft überfordert werden. Wie dort werden als "weiblich" konnotierte Dienstleistungen affektiver Art vor allem in notorisch unterbezahlten Servicebereichen erwartet und zugleich an Normen einer physischen Attraktivität geknüpft, die die Körper von Frauen über den Warencharakter jeder Lohnarbeit hinaus einer sich männlichen Bedürfnissen andienenden Verdinglichung aussetzt. Dringen Frauen als Schauspielerin, Model oder PR-Dame in höher bezahlte Berufsgruppen vor, die an spezifische "weibliche" Attribute geknüpft sind, dann werden sie dort erst recht einer massiven Bewertung ihrer Physis mit der Konsequenz unterworfen, ihre Karriere weit früher als Männer in den jeweiligen Berufen beenden zu müssen.

Mit einem Feminismus, der sich die Attribute patriarchaler Herrschaft zu eigen macht, indem auf gleichen Zugang zu gesellschaftlichen Machtpositionen gepocht wird, ohne deren herrschaftliche Konstitution in Frage zu stellen, sind geschlechterhierarische, heterosexistische und rassistische Unterdrückungsverhältnisse nicht zu beseitigen. Nicht umsonst spricht sich die in eingetragener Lebenspartnerschaft mit einer Frau lebende Co-Fraktionsvorsitzende der AfD, Alice Weidel, gegen jegliche Relativierung der Ehe zwischen Mann und Frau aus, gefährde dies doch eine "tragende Säule unserer Gesellschaft" [3]. Die von ihr verworfene Ehe für alle, die der Rechtsausleger der CDU, Jens Spahn, mit seinem Lebenspartner eingegangen ist, wiederum vollzieht die Integration einer zuvor diskriminierten Minderheit in ein gesellschaftliches Zwangsinstitut. So erfreulich dieser weitere Schritt der Liberalisierung im einzelnen Fall sein mag, schützt er Schwule und Lesben nicht davor, nun erst recht mit den Wölfen zu heulen und sozialchauvinistischer Verachtung wie kulturalistischer Aggression zu frönen.

Zentral für den gesellschaftlichen Rollback, der die in harten Kämpfen erreichte Entkriminalisierung von Abtreibungen in Frage stellt und Frauen wieder auf die Aufzucht von Kindern und das Verrichten kostenloser Hausarbeit festlegen will, ist die restaurative Naturalisierung des Geschlechterverhältnisses. Die durch die Differenzierung von biologischem und sozialem Geschlecht erleichterte Dechiffrierung patriarchaler Gewalt in scheinbar widersprüchlichen Konstellationen wie des Führens imperialistischer Kriege im Namen der Frauenbefreiung oder des Propagierens von antimuslimischem Rassismus im Kampf gegen homophobe Ideologien soll nach Kräften rückgängig gemacht werden. "Genderwahn" soll durch die Streichung entsprechender Forschungsprogramme bekämpft und Abtreibungen durch die Kriminalisierung der sie vornehmenden ÄrztInnen unterbunden werden. Reaktionären Geschlechterstereotypien und Geschichtsbildern wird auf breiter Linie Vorschub geleistet, und das nicht nur auf den Wahlkampfplakaten rechter Parteien, sondern im neuen Heldenmythos der Bundeswehr und den Dokudramas des Fernsehens.

Der internationale Frauenkampftag am 8. März wird nicht umsonst in zeitgemäß restaurativer Manier als "internationaler Frauentag" seiner sozialistischen Herkunft entledigt. Am 8. März 1917 verließen die Arbeiterinnen Petrograds unter roten Fahnen die großen Textilfabriken der Stadt und schlossen sich mit den Ehefrauen von Soldaten und Bäuerinnen zu einer Großdemonstration von 400.000 Frauen zusammen. Ihr Protest gegen Krieg, Hunger und Ausbeutung hatte maßgeblichen Anteil am Ausbruch der Februarrevolution, die der Oktoberrevolution im gleichen Jahr vorausging. In der dadurch entstandenen Sowjetunion wurden die damals weitreichendsten Frauenrechte etabliert - Frauenwahlrecht, Recht auf Abtreibung, freie Wahl des Studiums usw.

Die Überwindung sozialer und klassengesellschaftlicher Widersprüche bleibt zentral für den Kampf gegen ein Patriarchat, das auch allen Menschen Gewalt antut, die sich der Einfügung in das Raster geschlechtlicher Bipolarität widersetzen. Eine Ausdifferenzierung wie im Akronym LGBTIQ wäre nicht erforderlich, wenn die Imperative maskuliner Dominanz nicht systematisch reproduziert und hartnäckig verteidigt würden. Errungenschaften wie die neugeschaffene Möglichkeit, sich bei Verwaltungsakten als drittes Geschlecht auszuweisen und im Endeffekt jeder biologischen Zuordnung zu entziehen, müssen sich bei der Aufhebung geschlechtlich bestimmter Gewaltverhältnisse noch bewähren. Diese werden nicht durch einen formaljuristischen Akt negiert, sondern bedürfen, weil sie wie Kapitalismus und Rassismus aus der Materialität gesellschaftlicher Existenz erwachsen, des aktiven Streites.


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunkkultur.de/sein-und-streit-die-ganze-sendung-metoo-kalorien-und.2162.de.html?dram:article_id=400963

[2] http://chrismon.evangelisch.de/jemen

[3] http://www.deutschlandfunk.de/afd-spitzenkandidatin-alice-weidel-wir-schaffen-anreize.868.de.html?dram:article_id=393255

7. März 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang