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HERRSCHAFT/1777: Die Linke - Kuckuck im Nest ... (SB)



Zum Jahresbeginn 2018 präsentiert sich die Linkspartei als eine von Richtungsstreit und erbitterten Grabenkämpfen um den Führungsanspruch zerrissenes Sammelsurium divergierender Interessen. Als gehe es ihr vor allem darum, dem allseits beklagten Verfall parteipolitischer Glaubwürdigkeit und Diskussionskultur die Krone aufzusetzen, ist die Rivalität unter dem Spitzenpersonal längst von inhaltlichen Kontroversen zu persönlicher Feindschaft eskaliert, liegt gar die Spaltung in der Luft. Vom traditionellen Armdrücken zwischen linkem und rechtem Flügel kann nicht mehr die Rede sein, hat doch letzterer das unerwünschte Relikt noch unausgerotteter Erinnerungen an den Traum von einer anderen Gesellschaft Zug um Zug bezwungen und entsorgt. Vom Realsozialismus ging's über den demokratischen Sozialismus zum Niemandsland ohne Sozialismus, wo das unterdessen welkende Pflänzchen fundamentaler Nichtakzeptanz der herrschenden Verhältnisse und ungebrochenen Widerstandsgeistes verdorrt zu sein scheint. Die Ausflucht, zumindest immer noch links der Sozialdemokratie zu stehen, ist ein recht dürftiges Argument, solange man bei deren Taumel nach rechts schlichtweg nachrutscht.

In einer Gemengelage konflikträchtiger Widersprüche in diversen relevanten Fragen zeichnet sich ein Machtkampf zweier Fraktionen des innerparteilichen Establishments ab, die um Anhängerschaft ringen. Dieses Doppelleben manifestierte sich am Wochenende, als die Linkspartei gleich zu zwei offensichtlich konkurrierenden Jahresauftaktveranstaltungen lud. Zunächst warben beim Empfang des Parteivorstandes am Freitagabend in Berlin die Co-Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger für eine ökosoziale Linkspartei. Es fehlten jedoch viele Bundestagsabgeordnete, und mit Dietmar Bartsch kam nur die eine Hälfte der Fraktionsspitze. Am Sonntagnachmittag rief dann die Fraktion nach der traditionellen Demonstration zur Erinnerung an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu ihrem Jahresauftakt unter dem nach jahrelangem Mißbrauch reichlich abgedroschenen Motto "Links, wo das Herz schlägt" ins Ostkino "Kosmos". [1]

Wie immer organisiert vom Lafontaine-Vertrauten Diether Dehm kamen dort neben dem Saarländer und den Fraktionsspitzen Wagenknecht und Bartsch auch Gregor Gysi und als Stargast aus Frankreich Jean-Luc Mélenchon zusammen, der bei der Präsidentenwahl mit seiner Bewegung "Aufsässiges Frankreich" fast 20 Prozent geholt hatte. Kipping und Riexinger fehlten, so daß die Linkspartei auch nach außen hin das Zerwürfnis zur Schau trug. Zuvor war es in einer Fraktionssitzung auch wegen Finanzierungsfragen zu einem heftigen Streit über das Ereignis gekommen, und Sabine Leidig, Mitglied des Fraktionsvorstandes, forderte in der taz, diese "einseitige Veranstaltung" gleich ganz abzusagen. [2]

Jüngster Stein des Anstoßes war die Offensive Oskar Lafontaines, der für eine linke "Sammlungsbewegung" geworben und sogar von einer linken "Volkspartei" gesprochen hatte. Er begründete dies mit dem Rechtsruck in Deutschland und Europa, den es zu bekämpfen gelte. Weil diese Aufgabe eine Herausforderung für alle Linken sei, dürfe sich das linke Lager nicht immer weiter zersplittern. Es müsse vielmehr Versuche geben, die Linke zusammenzuführen. Daher brauche man auch Leute aus der SPD und von den Grünen, die zur Zusammenarbeit bereit sind. Mache man weiter wie bisher, reichten die Prozentanteile von SPD und Linkspartei nicht aus, um die Rechte in Europa zu stoppen. Wagenknecht hatte diese Idee im Spiegelinterview mit den Worten unterstützt, natürlich wünsche sie sich eine starke linke Volkspartei. Eine linke Sammlungsbewegung könne aber nur funktionieren, wenn prominente Persönlichkeiten mitmachten: "Wir müssen das weiterdenken und dafür werben. Es muss ein Funke überspringen."

Nachdem Lafontaine und Wagenknecht in der Vergangenheit ihr Herz für den Ordoliberalismus eines Ludwig Erhard entdeckt hatten, fiel die Fraktionsvorsitzende in jüngere Zeit mit Äußerungen zur Flüchtlingspolitik auf, die in Ton und Inhalt an die rechtspopulistische Konkurrenz der AfD erinnerten. Die aktuelle Initiative bedient sich des Volksfrontkonzepts in modifizierter Form und fordert angesichts der Gefahr durch die erstarkende Rechte den Vorrang eines gemeinsamen Abwehrkampfs unter Zurückstellung linker Positionen. Anders läßt sich nicht erklären, wieso das postulierte Bündnis nebulös als Sammlungsbewegung oder gar als Volkspartei unter Einschluß von Teilen der Sozialdemokraten und Grünen angedacht wird. Wenn dabei von "prominenten Persönlichkeiten" die Rede ist und Mélenchon explizit als Vorbild genannt wird, feiert populistische Personifizierung einer Bewegungspolitik wie in Frankreich Urstände, von deren Erfolg Lafontaine und Wagenknecht offenbar träumen.

Jean-Luc Mélenchon hatte nach seinem Austritt bei den Sozialisten eine französische Linkspartei gegründet, um alsbald mit seiner ganz auf ihn ausgerichteten Bewegung "La france insoumise" (LFI) abermals seiner Wege zum Erfolg zu gehen. Der Verdacht, bei einer Entlehnung dieses Konzepts womöglich als Linkspartei durch eine Spaltung auf der Strecke zu bleiben, rief zwangsläufig harsche Kritik auf den Plan. Kajta Kipping hielt mit den Worten dagegen, daß es ihres Erachtens in Deutschland längst eine linke Sammlungsbewegung gebe, nämlich die Linkspartei. Solle es zu neuen linken Mehrheiten kommen, dann führe der Weg nur über eine Stärkung ebendieser Partei. Gregor Gysi beendete seine Rede im "Kosmos" mit einer Absage an Lafontaines Vorstoß: "Die Linke braucht vieles, aber keine neue Partei." Auch Bartsch, der sich so gern alle Türen offen hält, wurde an dieser Stelle eindeutig: "Wir brauchen auch keine Debatte um neue Parteien. Wir brauchen vor allem die Stärkung der Linken 2018." Und der stellvertretende Parteivorsitzende Axel Troost hatte in einem Beitrag geschrieben: Eine "nationalistische und auf rechts gewendete Linke à la Lafontaine braucht jedenfalls niemand". Diese hätte "als Abklatsch der AfD auch kaum eine Chance".

Was haben Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht vor? Man dürfe das Gegenüber nicht immer verdächtigen, das Schlimmste zu wollen, verteidigte sich Lafontaine beim Jahresauftakt. Und Wagenknecht wehrte sich gegen den "grotesken Vorwurf", sie wolle die Linken spalten. Sie verstehe nicht, daß einige den Unterschied zwischen Sammlungsbewegung und Parteispaltung nicht verstünden, sagte sie mit Blick auf Kritiker vom Kipping-Flügel: "Ich brauche keine Belehrungen!" Innerparteiliche Gegner fürchten dennoch, der frühere Linken-Chef plane eine Spaltung, um eine neue Gruppierung voll und ganz auf Wagenknecht zuzuschneiden. Möglicherweise stand bei der Initiative aber auch das Vorhaben Pate, mittels einer Drohkulisse den innerparteilichen Machtkampf endgültig zu eigenen Gunsten zu entscheiden.

Jedenfalls drängt sich einmal mehr der Verdacht auf, Oskar Lafontaine sei nie wirklich in der Linkspartei angekommen, sondern sehe sich nach wie vor als der bessere Sozialdemokrat, der es dem mißratenen Rest der SPD am Ende zeigen werde. Vielleicht gründet darauf seine Nähe zu Mélenchon, der im "Kosmos" ihre Freundschaft hervorhob. Mit Lafontaine verbinde ihn die Abkehr von dem "sozialdemokratischen Gift", nämlich neoliberalen Kompromissen. Wer nicht mehr an den Sozialdemokraten auszusetzen hat, als solche Schönheitsfehler, darf wohl mit dem Gewand des Reformators liebäugeln. Daß das der Linken nützt und die Rechte ausbremst darf allerdings bezweifelt werden.


Fußnoten:

[1] www.welt.de/politik/deutschland/article172473811/Linke-Wagenknecht-und-Lafontaine-werben-mit-Melenchon.html

[2] www.spiegel.de/politik/deutschland/linke-oskar-lafontaine-volkspartei-vorstoss-sorgt-fuer-unruhe-a-1187264.html

16. Januar 2018


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