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HERRSCHAFT/1705: "Quantitative Lockerung" statt qualitativer Verbesserung (SB)




Eigentlich müßte doch alles ganz einfach sein. Wenn die Europäische Zentralbank (EZB) über 1100 Milliarden Euro lockermachen kann, um die drohende Deflation zu bekämpfen, dann müßte es doch am besten dort angelegt sein, wo es am dringendsten benötigt wird. Stände diese Summe denjenigen Menschen in der Eurozone anteilig zur Verfügung, die die größten Schwierigkeiten haben, sich zu ernähren und zu kleiden, Strom, Miete und andere Dinge des täglichen Lebens zu bezahlen, dann würde daraus eine bezahlbare Nachfrage resultieren, die einen ungeheuren Investitionsschub auslöste. Es wäre ein Umverteilungsprogramm von oben nach unten, das sogar die in der Bundesrepublik geschmähte Transferunion, in der weniger produktive Staaten der Eurozone an der Bonität des deutschen Kredits partizipieren und sich zu dessen Lasten refinanzieren können, in ihrer abschreckenden Wirkung auf die großen Geldbesitzer überträfe.

Auch eine allgemeine Erhöhung des Lohnniveaus in der Eurozone ließe die Inflation ansteigen, was angeblich der Zweck des heute von EZB-Chef Mario Draghi verkündeten Programms des Quantitative Easings (QE) ist. Doch Maßnahmen wie diese haben einen entscheidenden Nachteil. Sie schwächen die Herrschaft des Kapitals über die Arbeit, die im wesentlichen darin besteht, letztere immer billiger zu machen, um ersteres weiter anzuhäufen. Darüber hinaus machte die direkte Bemittelung notleidender Menschen deutlich, daß das von der Zentralbank in Verkehr gebrachte Geld nicht hält, was es verspricht. Da der Kredit der Staaten, die den sogenannten Währungshütern der EZB die Aufgabe übertragen haben, für Preisstabilität zu sorgen, und dafür als Anteilseigner bürgen, längst ein Mehrfaches der in der Eurozone produzierten Güter und bereitgestellten Dienstleistungen umfaßt, förderte eine solche unabhängig von Lohnarbeit verfügbar gemachte Nachfrage eine galoppierende Geldentwertung zu Tage.

Anders gesagt, die nominelle Kaufkraft des Euro kann nur dadurch erhalten werden, daß sie niemals vollständig in Anspruch genommen wird. Sollte das an der Börse und im Handel mit immateriellen Gütern wie Derivaten, Rechten, Lizenzen und Gebühren aller Art, im Kreditgewebe und auf dem Immobilienmarkt akkumulierte Kapital auf einmal in materiellen Gütern und Leistungen realisiert werden, implodierte der nominelle Geldwert im gleichen Augenblick durch inflationäre Entwertung. Der Kredit kann nur in Wert gehalten werden, wenn er durch den Unwert der Not gedeckt wird, der Millionen Menschen ausgesetzt sind, die vor Mangel an allem, was sie zum Leben brauchen, nicht ein noch aus wissen. Nur unter dieser Voraussetzung können sie und alle, die die Angst vor dem sozialen Absturz umtreibt, einem Arbeitsregime unterworfen werden, dessen Lohn stets nur einen Teil des Arbeitsergebnisses repräsentiert und zudem im Verhältnis zum gesellschaftlichen Gesamtprodukt immer weiter schrumpft.

Die Macht des Kredites, nach dem sich heute ganze Bevölkerungen strecken müssen und dessen Sachwalter Regierungen zumindest so lange vor sich hertreiben können, wie diese die Geschäftsordnung des neoliberalen Kapitalismus anerkennen, könnte mithin als die eines Papiertigers entlarvt werden, wenn er wirklich nur auf der Bestimmung seines ökonomischen Wertes beruhte. Daß dieser in den fiktiven Kaskaden spekulativer Kapitalakkumulation immer schwerer auszumachen ist, weil sich sein unterstelltes materielles Äquivalent zusehends rar macht, ohne daß dieses Mißverhältnis in das Krisenmanagement einbezogen wird, unterstreicht dessen Klassen- und Willkürcharakter. Spätestens seit dem Hervortreten der Krise des Kapitals vor acht Jahren droht der innere Widerspruch zwischen den expansiven Zielen der Produktion und der weit hinterherhinkenden Absetzbarkeit der dabei erzeugten Güter und Dienstleistungen aufzufliegen und die zentrale Legitimation des Kapitalismus, durch die besondere Begünstigung der Geldbesitzer die Mehrung des Wohlstandes aller Menschen zu bewirken, zu zerstören.

Um dies zu verhindern und den erreichten Stand der Herrschaftsicherung fortzuschreiben, wird dieser Kredit durch politisch motivierte Entscheidungen zur Rettung der Banken, zum Auflegen von Konjunkturprogrammen, zur Senkung des Leitzinses oder, wie im vorliegenden Falle, zur Ausweitung der Geldmenge gestützt. Indem die EZB als Agentur der am Euro teilhabenden Staaten gegenüber den Gläubigern die Bonität ihres Geldes garantiert, obwohl es längst nicht mehr durch reale menschliche Arbeit gedeckt ist, wie nicht zuletzt das endemische Problem der langfristig stagnierenden Nachfrage in der Eurozone belegt, sichert sie im Kern die Verfügungsgewalt von Staat und Kapital über die Arbeit der Menschen und die Ressourcen der Natur. Die von der Bundesregierung propagierte und nun angeblich durch leicht erhältliches Geld in ihrer Entwicklung gefährdete Wettbewerbsfähigkeit besteht dementsprechend daraus, die Menschen zu fast jedem Preis zu fast jeder Arbeit zwingen und die Privatisierung nationaler Ressourcen und der öffentlichen Daseinsvorsorge in den auf ihr Geheiß hin kreditierten Staaten verlangen zu können.

Von daher ist das Lamento der deutschen Kapital- und Funktionseliten über die durch die Bundesregierung zumindest tolerierte Entscheidung der EZB zur Quantitativen Lockerung so sehr an der geldwerten eigenen Vorteilsnahme orientiert, wie es nicht in Rechnung stellt, daß der vermeintlich hart erarbeitete Gewinn deutscher Banken und Unternehmen wesentlich auf dem nun einmal mehr vor einem baldigen Zusammenbruch gerettete Kreditsystem des Euro beruht. Bundesrepublik und EU werden sich auch in Zukunft in einem Krisenmodus befinden, der unabsehbare Risiken in sich birgt. Ohne die Bereitschaft, die eigene Verantwortung für die Aufrechterhaltung eines sozialen Gewaltverhältnisses anzuerkennen, das Not und Mangel nicht als vermeintlichen Kollateralschaden einer insgesamt produktiven Entwicklung in Kauf nimmt, sondern dem die Negation eines Lebens in Freiheit und Respekt vor den Interessen anderer Menschen und Lebewesen vorausgeht, droht jede Krisenlösung schlimmere Formen der Ausbeutung und Unterdrückung hervorzubringen.

22. Januar 2015


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