Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

HERRSCHAFT/1659: Führungsduo der Linken macht der SPD Avancen (SB)



"Es liegt an der SPD, ob 2013 eine linke Mehrheit in Deutschland regieren kann", sagte Katja Kipping, die gemeinsam mit Bernd Riexinger im Zuge ihrer Sommerreisen die Landesverbände besucht, dem Hamburger Abendblatt. [1] Was denn an Sozialdemokraten links sein soll, fragt man sich angesichts dieser recht überraschenden Avancen des Führungsduos der Partei Die Linke an die Adresse der SPD, die einen weiteren Rutsch in Richtung der bürgerlichen Mitte befürchten lassen. Wenn die um ihr politisches Überleben oberhalb der Fünfprozentmarke kämpfende Linkspartei nicht etwa Fundamentalopposition im Sinn hat, sondern im Gegenteil von einer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene träumt, könnte die Realisierung dieses ambitionierten Vorhabens allenfalls zum Preis eines Kniefalls zu haben sein, mit dem sich Die Linke selbst überflüssig machte.

Das politische Establishment hat seit Jahren nichts unversucht gelassen, die Linkspartei zu diskreditieren, zu spalten und in die Bedeutungslosigkeit abzudrängen. Warum sollten sich die Sozialdemokraten, deren historischen Beitrag zu einer geschmeidigeren Herrschaftssicherung Die Linke konterkariert, ausgerechnet jetzt versöhnungsbereit zeigen, da letztere weniger denn je aus einer Position der Stärke eine Koalition zum Thema macht? Nachdem Oskar Lafontaine auf dem Göttinger Parteitag auf eine Kandidatur für den Chefposten der Linken verzichtet hatte, streute der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel genüßlich Salz in die Wunden der politischen Konkurrenz. Anfang Juni schloß er ein Bündnis mit der Linken mit den Worten aus, bei dieser handele es sich um eine "zerrissene, zutiefst gespaltene Partei". "Auf Bundesebene sind und bleiben die Linken für die SPD keine Option." [2]

Wenn die neue Führung der Linken auf ein entkrampftes Verhältnis zur SPD setzt und unverdrossen für eine rot-rot-grüne Koalition nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr wirbt, argumentiert sie mit einem fiktiven Politikwechsel. Man müsse "gewisse Feindseligkeiten" überwinden und würde sich "auch nicht verweigern, mit den Architekten der Agenda 2010, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück, zusammenzuarbeiten, wenn es gemeinsame politische Ziele gäbe". Wie Bernd Riexinger betonte, gebe es "Schnittstellen" zwischen der Linken und SPD und Grünen: "Wer mit uns bereit ist, zum Beispiel einen guten Mindestlohn und eine armutsfeste Rente statt einer Rente mit 67 zu machen, kann mit uns regieren." Daß das nicht reicht, ist natürlich auch Kipping klar, die die Latte unverzichtbarer Übereinkünfte höher hängt: Die Linke stehe für ein Bündnis zur Verfügung, sofern Waffenexporte verboten, ein Mindestlohn eingeführt und die Hartz-IV-Sanktionen abgeschafft würden. Was eine Reichensteuer betrifft, nannte sie als Modell die Pläne des französischen Präsidenten François Hollande für eine fünfprozentige Besteuerung von Millionenvermögen sowie einen Spitzensteuersatz von 75 Prozent auf Millioneneinkommen. Wenngleich die SPD-Führung jüngst auf den Zug jener Initiative, die die Reichen stärker zur Kasse bitten will, aus wahltaktischen Gründen aufgesprungen ist, wird sie sich zweifellos als Bremser erweisen, sobald inhaltliche Forderungen konkretisiert werden.

Ob der SPD-Kanzlerkandidat Gabriel, Steinmeier oder Steinbrück heißen wird - keiner von ihnen ist bereit, mit Oskar Lafontaine zusammenzuarbeiten. So sehr ihm die Sozialdemokraten Verrat vorwerfen, weil er ihre Kriegs- und Ausplünderungspolitik nicht mehr mitgetragen hat, so wichtig ist er nach wie vor für die Linke. Kipping wünscht sich denn auch, "dass Personen wie Oskar Lafontaine und Gregor Gysi weiter ganz stark das Gesicht der Partei prägen". Auch Riexinger deutet eine Rückkehr Lafontaines in den Bundestag an: "Die saarländischen Genossen haben sicher nichts dagegen, wenn Oskar Lafontaine für den Bundestag kandidiert. Die Entscheidung darüber trifft er selbst. Wir sind über jede Unterstützung Lafontaines dankbar." Das rote Tuch für die Sozialdemokraten soll demnach nicht eingeholt werden, was deren Kompromißbereitschaft nicht eben zuträglich sein dürfte.

Da die Vorsitzenden der Linkspartei bei aller signalisierten Versöhnungsbereitschaft immerhin auf Positionen beharren, die die SPD keinesfalls teilen wird, bleibt im Grunde nur noch die Frage offen, ob Kipping und Riexinger aus der Not der ohnehin zu erwartenden Ausgrenzung im Bundestagswahlkampf eine Tugend zu machen hoffen, indem sie mit Blick auf die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit in die Offensive gehen. Die bisherige Strategie von Sozialdemokraten und Grünen, die Linke abseits zu halten, werde "nicht funktionieren", argumentieren sie angesichts jüngster Umfrageergebnisse, denen zufolge sich für SPD und Grüne partout keine eigenständige Mehrheit im Bundestag abzeichnen will. Also fordert Riexinger die Sozialdemokraten auf, sich zu entscheiden, ob sie die Vizekanzlerschaft anstreben oder ein Reformbündnis schmieden wollen. Offenbar spekuliert er darauf, daß wenigstens Teile des linken SPD-Flügels einer rot-rot-grünen Koalition im Notfall den Vorzug vor einer Großen Koalition geben würden. Mit der Linkspartei selbst meinen es die Umfragen allerdings gar nicht gut. Die 11,9 Prozent aus dem Jahr 2009 sind gegenwärtig illusorisch, zumal Die Linke Anfang August bereits zum sechsten Mal in diesem Jahr auf ihr Rekordtief von sechs Prozent gefallen ist. "Wenn wir mit einer Sieben in den Umfragen ins Wahljahr gehen, dann ist 2013 vieles möglich", zeigte sich Riexinger dennoch optimistisch, den Abwärtstrend gestoppt zu haben.

"Wir sind wieder in der Lage, Themen zu setzen", erklärte er in Hamburg. Die Beschäftigung der Partei mit sich selbst habe nicht dabei geholfen, ihre Inhalte in den Vordergrund zu stellen. Erfahrungsgemäß gebe es in der Partei "80 Prozent an Gemeinsamkeiten, 20 Prozent an Unterschieden", und nach zwei Monaten neuer Führung sei zu spüren, daß die Arbeit bereits Früchte trage und die Linke wieder zusammenwachse. Ob sogar eine "Aufbruchsstimmung in der Partei" um sich greift, die Kipping ausgemacht haben will, sei dahingestellt - fest steht nur, daß angesichts wachsender sozialer Verelendung, imperialistischer Kriege unter deutscher Beteiligung und europäischem Vormachtstreben der Bundesregierung kein Mangel an Themen herrscht, bei denen sich die Linkspartei eigenständig positionieren könnte. Die grundsätzliche Frage, ob man sich im Rahmen bestehender Verhältnisse einem "Politikwechsel" verschreibt oder im Gegenteil streitbar darauf beharrt, systemischer Ausbeutung und Unterdrückung den Kampf anzusagen, ist allenfalls vertagt und mit wahltaktischen Manövern gewiß nicht aus der Welt zu schaffen.

Fußnoten:

[1] http://www.abendblatt.de/politik/deutschland/article2360947/Linkspartei-sucht-ihren-Frieden-mit-der-SPD.html

[2] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/linken-spitze-wirbt-fuer-rot-rot-gruenes-buendnis-a-848427.html

6. August 2012