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HERRSCHAFT/1658: Occupy-Camps stören den Frieden der kapitalistischen Eigentumsordnung (SB)




Die geplante Räumung mehrerer Camps der Occupy Bewegung - Frankfurt, Düsseldorf, Kiel - signalisiert, daß die Phase freundlicher Vereinnahmungsversuche vorbei ist. Ein knappes Jahr nach Beginn der nicht in der New Yorker Wall Street entstandenen, aber unter diesem Namen firmierenden sozialen Bewegung scheint die Geduld der Träger des Systems, gegen das sich die Proteste der Occupy-Bewegung im Kern richten, auch in Deutschland ein Ende zu haben. In den USA wurden die Camps schon im Frühjahr unter Einsatz von zum Teil höchst brutaler Polizeigewalt geräumt, doch das hat die Occupy-Aktivistinnen und -Aktivisten nicht daran gehindert, ihren Protest weiter auf die Straße zu tragen. Doch auch dabei werden sie mit Maßnahmen konfrontiert, zu denen der Wolf greift, wenn er trotz des angelegten Schafspelzes zur Kenntlichkeit entstellt wurde.

So griffen Mitte Juli in Los Angeles 150 Polizisten eine kleine Demonstration von 200 Occupy-Bewegten mit Gummigeschossen und Schlagstöcken an. Diese protestierten gegen die Verhaftungen, zu denen es gekommen war, weil sie sich darauf verlegt hatten, ihren Protest mit Kreide auf öffentlichen Fußwegen zum Ausdruck zu bringen. Der Einsatz von mit Gummi ummantelten Stahlgeschossen, mit denen Demonstranten schon schwere Verletzungen zugefügt wurden und die sogar tödliche Folgen haben können, ist nur ein Beispiel für die massive Repression, mit der die Occupy-Bewegung inzwischen in den USA bekämpft wird.

Die Verschärfung der Unterdrückung dieser sozialen Bewegung ist nicht nur dem abflauenden Interesse der Medien geschuldet, die Occupy Wall Street anfangs wie ein exotisches Phänomen urbaner Kultur zelebrierten. Sie hat vor allem damit zu tun, daß sich die Occupy-Camps zu Brennpunkten des sozialen Widerstands entwickelten, an denen normale Bürger, die den Druck ihres materiellen Elends nicht mehr still und leise hinnehmen wollten, auf Aktivistinnen und Aktivisten der radikalen Linken trafen. Dabei wurden erste Schritte in direkter Demokratie und Aktion gemacht, deren politisierende Wirkung auf eine Bevölkerung, die sich ansonsten bereitwillig mit massenmedialen Mitteln indoktrinieren läßt, gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. In den USA kann die Occupy-Bewegung als adäquate Antwort auf eine Krise des Kapitals gelten, die mit der Beteiligung von Occupy-Aktivistinnen und -Aktivisten an Arbeitskämpfen, an der Blockade des wichtigen Hafens von Oakland wie auch an Protesten gegen den gigantischen gefängnisindustriellen Komplex des Landes zusehends Konturen eines linken Projekts annahm.

Auch wenn die Occupy-Bewegung hierzulande niemals eine solche Breitenwirkung entfaltet hat, gewinnt sie an gesellschaftlicher Relevanz in dem Ausmaß, in dem sie sich vom Anprangern der Gier der Banker und der Macht der Konzerne zum tiefgreifenderen Widerstand gegen das System des Kapitalismus emanzipiert. Solange Occupy d'accord geht mit der bürgerlichen Empörung über den sogenannten Raubtierkapitalismus oder die Macht US-amerikanischer Heuschrecken, verbleibt sie im Rahmen einer regulativen Kritik, die am sozial antagonistischen Charakter kapitalistischer Verwertung nichts ändern will. Auch wenn die Bewegung nicht im ersten Schritt zu grundlegender Systemkritik in der Lage ist, so wirkt sie schon, wie das Frankfurter Beispiel zeigt, polarisierend, wenn sie Obdachlosen oder Roma nicht die Solidarität verweigert.

Der sozialrassistische Charakter der Kampagne, bei der sich die Springer-Presse des Vorwurfs der Verwahrlosung bediente, um die Bewohnerinnen und Bewohner des Frankfurter Camps zu diskreditieren, ist ein signifikantes Merkmal für die politische Wirksamkeit dieser Solidarität. Wer sonst als die sprachlosen Außenseiter, denen die Bourgeoisie negative Produktivität zur Last legt, sollte besser geeignet sein, von der bloßen Theorie zur Praxis sozialen Widerstands überzugehen? Daß ein Zusammenleben unter prekären Bedingungen Probleme aller Art mit sich bringt, ist ebenso naheliegend wie das nicht eben salonfähige Auftreten vom Wohlstandskonsum ausgeschlossener Marktsubjekte.

Woran sich der Ärger des saturierten Bürgertums entzündet, kann für die davon Betroffenen eine Lebensqualität aufweisen, die zu verwirklichen sie unter den normalen Umständen sozialer Ausgrenzung gar nicht mehr in der Lage wären. Zweifellos fühlt sich der Kapitaleigner beim Anblick der architektonischen Manifestationen blanker Kapitalmacht wohler als bei der Konfrontation mit einer Armut, die zur Stahl-Beton-Gigantomanie der Bankentürme in direktem Zusammenhang steht. Ein Zeltlager voller Menschen, auf die das Sarrazynische Ausschlußkriterium der Verweigerung einer ausschließlich in Geld zu bemessenden Produktivität zuzutreffen scheint, am Fuße des zentralen Garanten europäischer Kapitalmacht, der Europäischen Zentralbank, ist denn auch die Antithese all dessen, was in der EU zum Preis dessen gerettet werden soll, daß immer mehr Menschen am Hungertuch nagen.

Je offener der Klassenwiderspruch zutage tritt, desto mehr Interesse haben all diejenigen, die auf der Sonnenseite dieses Widerspruchs leben, daran, die bloße Sichtbarkeit dieses Antagonismusses aus der Welt zu schaffen. Die Anprangerung sozialer Delinquenz bietet sich als probates Mittel auch deshalb an, weil der tiefsitzende Rassismus dieser Eigentumsordnung im Kern sozial determiniert ist. Weisen die auf dem harten Boden der Wohlstandspyramide aufgeschlagenen Existenzen die Attribute sogenannter Verlierer auf, dann bieten sie sich als Adressaten aggressiver Ausgrenzung gerade auch denjenigen an, die selbst auf dem besten Wege sind, unter die Räder der herrschenden Verwertungsordnung zu geraten. Werden sie nicht ohnehin zum Opfer offener Verfolgung wie etwa Roma in Frankreich oder Migranten in Griechenland, dann fällt das Urteil der Sozialexperten so negativ aus, das kein Mensch, der auf das Ansehen bürgerlicher Wohlanständigkeit wert legt, mehr ihrer Entfernung aus dem Stadtbild widersprechen mag.

"Übrig geblieben sind die Gestrandeten, die nicht unbedingt aus politischen Motiven gekommen sind", behauptet etwa der sogenannte Protestforscher Dieter Rucht [1] und verschließt damit die Möglichkeit, daß sich Menschen aus ihrer desolaten Situation befreien auch ohne die Hilfe und Zuständigkeit seinesgleichen. Wenn die taz fragt, ob das das "Ende einer Bewegung" sei, "die vergangenen Herbst mit viel Euphorie begrüßt wurde", dann liegt die Antwort angesichts einer der Disqualifizierung ihrer Repräsentanten auf der Hand. Die grüne Landtagsabgeordnete Martina Feldmayer arbeitet nicht minder geschickt den Ressentiments der Camp-Gegner zu und schlägt eine Institutionalisierung des Protestes etwa in Form eines dauerhaften Informationsstandes an Stelle des von ihr als "temporär" bezeichnete Zeltlagers vor [2]. "Wir Grüne stehen als Vermittler zur Verfügung", so die Distanz um den Preis bourgeoiser Zugehörigkeit wahrende Sprachregelung der in einer Stadt mitregierenden Partei, die vor kurzem beim Verbot der mehrtägigen Blockupy-Proteste gezeigt hat, daß auf den Straßen des Geldes kein Platz für antikapitalistischen Protest ist.

Doch eben dort, in der Sichtbarkeit des öffentlichen Raumes, kann sozialer Widerstand erst seine ganze Wirkung entfalten. Wo der zentrale gesellschaftliche Konflikt in Spanien und Griechenland die Gestalt von Massendemonstrationen annimmt, sollen in dem Land, das als Führungsmacht der EU und Hauptprofiteur der Eurozone maßgeblich für die Verschärfung der sozialen Lage von Millionen EU-Bürgern verantwortlich ist, nicht einmal als Dauerdemonstration fungierende kleine Zeltlager erlaubt sein. Wehret den Anfängen - in offener Verkehrung dessen, was als Warnung vor der Entuferung der Kapitalmacht zu diktatorischer Unterdrückung von anwachsender Aktualität ist, werden die Keimzellen der Emanzipation vom bloßen Homo oeconomicus mit einer sozialrassistischen Propaganda überzogen, die bereits Ausdruck dieser Gefahr ist.

Fußnoten:

[1] http://taz.de/Occupy-Camp-soll-geraeumt-werden/!98362/

[2] http://www.fr-online.de/blockupy-frankfurt/gruene-landtagsabgeordnete-feldmayer--occupy-camp-ist-ein--temporaeres-projekt-,15402798,16747818.html