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HERRSCHAFT/1601: Wider jede Emanzipation ... Freiwilligendienst, mit Zwang gepanzert (SB)



Der neue Bundesfreiwilligendienst, der ab Juli an die Stelle des dann aufgrund des Endes der Wehrpflicht auslaufenden Zivilersatzdienstes tritt, hat noch nicht begonnen, da wird bereits über den Einsatz von Hartz-IV-Empfängern in seinem Rahmen debattiert. Die CDU-Bundestagsabgeordneten Carsten Linnemann und Peter Tauber haben den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages beauftragt, in dieser Sache tätig zu werden und die Möglichkeiten für eine Zwangsverpflichtung von Erwerbslosen in gemeinnützigen und karitativen Tätigkeiten auszuloten. Die beiden Unionspolitiker geben sich überzeugt davon, daß es sich dabei um eine Maßnahme zur Qualifizierung und Anerkennung der Betroffenen handelt.

Wenn diesen so viel Schönes beschert wird, warum dann überhaupt Zwang ausüben? Man könnte es den Empfängern des Arbeitslosengelds II überlassen, bei vorhandener Neigung etwa zur Arbeit in der Altenpflege ihre Nichtvermittelbarkeit produktiv zu nutzen, anstatt den Nachweis über den häufig aussichtslosen Versuch führen zu müssen, wieder in den ersten Arbeitsmarkt zurückzukehren. Welche Möglichkeiten für eine gesellschaftliche Entwicklung hin zu mehr mitmenschlicher Solidarität und bürgerlichem Engagement eröffneten sich, wenn der Zwangscharakter der Arbeitsverwaltung nach Hartz in einen Freiraum für tatsächlich sinnvolle, an allen Ecken und Enden anfallende Tätigkeiten verwandelt würde. Die notorische Ausgrenzung ökonomisch nichtverwertbarer Arbeit aus den Bilanzen des BIP hingegen führt zu einer Degradierung unersetzlicher Tätigkeiten zu selbstredend in Eigenregie zu erbringenden Leistungen, die das darin steckende Potential menschlichen Fortschritts mit Füßen tritt.

Der große Haken, von dem Erwerbslose nicht gelassen werden sollen, besteht in der Unterordnung ihrer Arbeits- und Lebenspraxis unter ein Verwertungsdiktat, das die Reproduktion der Gesellschaft ökonomisch bestimmbar machen soll. Eine Arbeit, die keinen Warencharakter hat, weil sie nicht über den Verkauf der eigenen Lebensenergie und Lebenszeit an das mehrwertabschöpfende Regime der Kapitalakkumulation organisiert wird, soll in den Bilanzen der Arbeitsgesellschaft nicht existieren, weil sie die strukturellen Voraussetzungen der Beherrschbarkeit des Homo oeconomicus beschädigte. Wo der Erwerbszwang nicht verabsolutiert wird, wuchert das rebellische Element selbstbestimmter, nicht mehr betriebswirtschaftlich regulierter, sondern das Prinzip kollektiven und kommunalen Nutzens stärkender Arbeit. Was nicht in Cent und Euro bemeßbar ist, erregt Interesse an der qualitativen Bestimmung dessen, was man sonst unter möglicherweise widrigen, die eigenen Wünsche und Hoffnungen vergewaltigenden Bedingungen tut, weil es dem Kapital gleichgültig ist, wie es sich verwertet. Wo Fragen daran, wie der Mensch seine soziale und natürliche Umwelt formt, virulent werden, tritt der fremdbestimmte Charakter des kapitalistischen Verwertungszwangs vollends in seinem Gewaltcharakter hervor.

Eben das soll unter allen Umständen vermieden werden, lassen sich die Menschen doch desto weniger auf den Leisten der von ihnen verlangten Anpassungsbereitschaft und Fähigkeitsbewirtschaftung spannen, je mehr sie den Duft der Freiheit wittern, sich nicht nach marktwirtschaftlichen Prinzipien verkaufen zu müssen. Das von den CDU-Politikern in Aussicht gestellte Erlernen neuer Fähigkeiten ist im übrigen wesentliches Anliegen jedes Menschen, wenn es ihm nicht durch autoritäre Unterwerfung und konkurrenzgestützten Leistungsdruck genommen wurde. Die Unterstellung, schöpferische Potentiale ließen sich nur durch Marktkonkurrenz entwickeln, wäre auch dann, wenn sie zuträfe, was nicht der Fall ist, Ausdruck einer Herrenmenschenideologie. Die Wissenschaftler, Bürokraten und Politiker, die das Gemeinwesen mit Zwang bewirtschaften, stellen sich als Sachwalter dieser Gewalt ad hoc über den anderen, indem sie für ihn entscheiden, was richtig und was falsch sei.

Einen Freiwilligendienst mit Zwang aufzumunitionieren bringt diese Subordination auf den Punkt der Forderung, sie unter allen Umständen - und insbesondere frei von jeglicher Frage nach dem emanzipatorischen Potential der betreffenden Maßnahme - durchzusetzen. Im Kern geht es weniger darum, arbeitsfähige Empfänger von Sozialtransfers auf irgendeine Weise in die Erwirtschaftung des gesamtgesellschaftlichen Produkts einzuspeisen. Es geht um die Totalität einer Herrschaftsicherung, die gerade durch die Freisetzung immenser sozialer Potentiale, die für bezahlbare Produktion und Reproduktion nicht mehr erforderlich sind, bedroht wird.

Man stelle sich vor, Millionen Erwerbslose täten sich zusammen und bildeten selbstorganisierte Foren, Gruppen, Arbeitskreise, in denen sie ihr von fremder Seite aufgeherrschtes, als solches nur zu erleidendes Schicksal in das Privileg verwandelten, sich gemeinsam über ihre Situation klar zu werden, Probleme kapitalistischer Vergesellschaftung und menschlicher Existenz zu diskutieren, Möglichkeiten der sozialen Emanzipation und des demokratischen Widerstands zu entwickeln. Man stelle sich vor, all diese überflüssig gemachten Menschen erhielten eine Stimme, entdeckten Möglichkeiten der persönlichen wie kollektiven Entwicklung, die um so vieles reichhaltiger und vielfältiger als die apparative und instrumentelle Paßform des Lohndiktats, die um so vieles lebens- und liebenswerter als die allen sozialen Kontakt vergiftende Konkurrenz sind. Man stelle sich vor, derartig mit basisdemokratischer Streitbarkeit bemittelte Menschen mischten sich schließlich aktiv, ohne die als Beratung getarnte Bevormundung durch eigens dazu eingesetzte Experten und Sozialtechnokraten, ins gesellschaftliche Geschehen ein. Dann doch lieber die Fortschreibung eines Zwangs, der sie gar nicht erst auf solch dumme Gedanken kommen läßt.

19. April 2011