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HERRSCHAFT/1591: Guttenbergs Rücktritt - Widerspruchsregulation im Ermächtigungsstaat (SB)



Den Rücktritt Karl-Theodor zu Guttenbergs vom Amt des sogenannten Verteidigungsministers mag seinen politischen Konkurrenten Genugtuung verschaffen. Wer die Bundesrepublik als kriegführenden Staat kritisiert, der weiß sehr genau, daß damit nichts gewonnen ist, sind die hauptsächlichen Gegner in Politik und Parlament doch in Sachen Kriegführung weitgehend einer Meinung mit ihm. Zu fragen ist daher nach den Motiven und Triebkräften, die zu einem erbitterten Kampf innerhalb der bürgerlichen Eliten um seinen Verbleib im respektive Abgang aus dem Amt des Kriegsministers geführt haben. Sie geben Aufschluß darüber, mit welchen Kräften AntimilitaristInnen konfrontiert sind, wenn sie nicht nur das Aushängeschild der deutschen Kriegführung kippen, sondern ihr grundsätzlich den Kampf ansagen wollen.

Der andauernde Streit um das Ansehen seiner Person, ihre Inszenierung als ein Opfer politischer Mißgunst und nicht eigenen Karrierestrebens, die wild ins Kraut schießenden Entschuldigungen seines Regelbruchs als Fehler, als läßliche Sünde vor dem Hintergrund einer positiven Bilanz seiner Amtsführung oder Produkt schlechten Krisenmanagements, die mit dem Rücktritt begonnene Kampagne zu seiner politischen Rehabilitation und die in diesem Disput geltend gemachten moralischen Werte belegen, daß mit Guttenberg ein protypischer Sachwalter jener gesellschaftlichen Modernisierung beschädigt wurde, die das bürgerliche Lager selbst einem grundlegenden Wandel unterzieht. Die Bemühungen des akademischen Establishments, Guttenberg als schwarzes Schaf inmitten einer Herde honoriger Wissenschaftler zu markieren, dienen der Verteidigung eines Standes, der seine Privilegien im Dienst der Herrschenden erwirtschaftet, während radikale AbweichlerInnen ausgegrenzt werden. Da die akademisch initiierten Funktionseliten selbst unter dem wachsenden Druck des Primats der sogenannten Wissensgesellschaft stehen, ihre Verwendbarkeit für Staat und Kapital unter Beweis zu stellen, ist die Bereitschaft, die Rituale und Insignien ihres Anteils an der Klassenherrschaft gegen Emporkömmlinge und Blender zu verteidigen, um so ausgeprägter.

Die Kritik daran, daß Forschung und Lehre immer unverhohlener in die Pflicht genommen werden, im exekutiven wie ökonomischen Sinne taugliche Attribute der Anpassungs- und Leistungsbereitschaft zu produzieren, verkommt gegenüber der öffentlichen Empörung über die Manipulationen eines Repräsentanten eben dieses Verwertungsdiktats zur sprichwörtlichen Fußnote. Guttenbergs Rolle als Kriegsminister war so sakrosankt, wie es die Ausrichtung einer Wisssensproduktion ist, die nicht der Befreiung des Menschen von den Fesseln seiner biologischen und kognitiven Determination dient, sondern seine Ketten mit dem Glanz "eigenverantwortlicher" Unterwerfung unter angeblich unüberwindliche Verhältnisse überzieht. Der kapitalistische Wissenschaftsbetrieb hat die Aufklärung der Herrschaft des Menschen über den Menschen längst in die selbstevidente Eindimensionalität neoliberaler Geschichtslosigkeit verwandelt. Was einst als offene Frage zur Überwindung jeglicher Versklavung artikuliert und nach vorne gebracht wurde, ist in systemtheoretischer Prozeßlogik und poststrukturalistischer Entsubjektivierung rückstandslos aufgegangen. Was der heutige Wissenschaftsbetrieb an sozialer Konditionierung und funktionaler Intelligenz maximiert, hat er an emanzipatorischer Ausrichtung und Mut zur Grenzüberschreitung eingebüßt.

Kurz gesagt, die Aufregung über den Plagiator kann grundlegende Wissenschaftskritik nicht ersetzen und macht sie durch die Annahme, es bedürfe lediglich der Einhaltung der Regeln, um den Fortschritt menschlicher Erkenntnis zu sichern, noch unzugänglicher. Daß Guttenberg sich mit positiver Resonanz in der Bevölkerung als ein auf dem Prachtboulevard nationaler Größe von mißgünstigen Neidern bis an die Grenze totaler Erschöpfung gehetztes Wild darstellt, schreit nach Revanche für diesen Opfergang. Die in seiner Rücktrittsrede wiederholte Behauptung, diese Hatz sei auf dem Rücken in Afghanistan gefallener Soldaten erfolgt, nimmt Anleihe an einer Dolchstoßlegende, derer sich Kriegstreiber bedienen, wenn sie eine Niederlage selbst zum Preis des Bürgerkriegs in einen Sieg verwandeln wollen. Dabei ist der äußere Feind synonym mit dem politischen Gegner im Innern, wurde am Hindukusch doch ebensosehr Guttenbergs Plagiat verteidigt, wie der dort angeblich abzuwehrende Terrorismus Vorwand für die fortwährende Aufrüstung der Republik zum Sicherheitsstaat ist.

Gerungen wird in diesem Konflikt auch um die Parameter einer im Wandel begriffenen Staatskonzeption, der die Teilhaberschaft des bürgerlichen Subjekts am bestandssichernden Ertrag des Gemeinwesens in Frage stellt. So erschließt sich in der überparteilichen Einigkeit, mit der die Transformation der Bundeswehr von der Landesverteidigung gewidmeten Streitkräften zur "Einsatzarmee" betrieben wird, der scheinbare Widerspruch, daß die von AntimilitaristInnen seit jeher verlangte Abschaffung der Wehrpflicht von einem Protagonisten imperialistischer Kriegführung vollzogen wurde. Der insbesondere von Sozialdemokraten vertretene Anspruch, die Bundeswehr als Ausdruck des staatlichen Gewaltmonopols demokratisch zu verankern, wird durch ihre Professionalisierung zugunsten der Erschließung neuer Ermächtigungspotentiale gekontert. Die "Einsatzarmee" wird fit gemacht für Kriege, die dem erweiterten Sicherheitsbegriff gemäß auch im eigenen Land stattfinden können, was mit Wehrpflichtigen nicht so reibungslos vonstatten geht wie mit Söldnern. Was aus einer herrschaftskritischen Position so oder so abzulehnen ist, erweist sich aus staatskonformer Sicht als prekäre Entuferung administrativer Gewalt im Sinne des permanenten Ausnahmezustands und kalten Staatsstreichs.

Wenn die Bundeskanzlerin den Gegnern Guttenbergs mit großem Aplomb entgegenschmettert, die Unionsparteien müßten sich von niemandem erklären lassen, was "Anstand und Ehre" bedeuten, dann reklamiert sie Definitionshoheit über bürgerliche Werte, die sie sie im gleichen Atemzug verrät. Die fast programmatische, also nicht nur nachträglich zur Schadensbegrenzung harmonisierte, sondern offensiv als handlungsleitende Maxime durchgesetzte Unvereinbarkeit von moralischem Schein und politischem Sein ist das zentrale Merkmal der Modernisierung, für die Guttenberg an prominenter Stelle steht. An Beispielen wie der unbeschadet erfolgten 180-Grad-Kehre in der Beurteilung des Kundus-Massakers oder der Verharmlosung einer plagiierten Dissertation bei gleichzeitiger Verfechtung strikter Urheberrechte zwecks Sicherung der immateriellen Wertschöpfung zeigt sich, daß der paßförmigen Flexibilität exekutiver Gewalt auch minimale Anforderungen an die Übereinstimmung von demokratischem Anspruch und staatlichem Handeln geopfert werden sollen. Die als Sachzwang materialisierte Unhinterfragbarkeit kapitalistischer Vergesellschaftung bestimmt die politische Willensbildung äquivalent zur Fremdbestimmung der Erwerbsarbeit im Dienste der Mehrwertabschöpfung. Verlangt wird totale Verfügbarkeit auch der Eliten, und wer die Adaption fremder Kräfte und Wirkungen am erfolgreichsten als Ertrag nationalen Nutzens ausweist, wird zur Lichtgestalt ihrer Legitimation.

So scheitern die vielen Deutungsversuche der Affäre Guttenberg in Politik und Medien an den Voraussetzungen der eigenen Vergesellschaftung, an der Unterwerfung unter das Diktat des stets zu Lasten anderer gehenden Überlebens- und Überbietungskampfes. Die bürgerlichen Eliten wollen nicht wahrhaben, daß sie selbst die Träger einer Widerspruchsregulation sind, die am Beispiel Guttenbergs in zwar extremer, aber eben nicht qualitativ zu den vertrauten Praktiken der Bestands- und Herrschaftsicherung unterschiedlicher Form in Erscheinung tritt. Indem sie einen Exponenten ihres eigenen Anspruchs auf geordnete Klassenherrschaft zur Strecke bringen, versichern sie sich eines Zugriffs auf moralische Sinnstiftung, der ihnen in der Atomisierung zum verwertungstauglichen Partikel, in der Zertrümmerung ihres Strebens nach Selbstbestimmung längst abhanden gekommen ist. Ausgetragen wird dieser systemimmanent unaufhebbare Widerspruch am größten gemeinsamen Nenner, der Feindschaft zu dem in seinen ideologischen und moralischen Prinzipien authentischen Widerstand gegen die Herrschaft von Staat und Kapital.

2. März 2011