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HERRSCHAFT/1581: Münchner Sicherheitskonferenz - in Sorge um Sicherheit der Herrschenden (SB)



"Sicherheit" ist zu einer Chiffre für den absoluten Herrschaftsanspruch der NATO-Staaten nach außen und nach innen geworden. Der Widerspruch, daß mit dem Begriff "Sicherheit" vorherrschende Hegemonialinteressen durchgesetzt werden, die für andere auf ein wachsendes Ausmaß an Unsicherheit hinauslaufen können, wie die NATO-Kriege gegen Jugoslawien, Irak und Afghanistan zeigen, wird geflissentlich übersehen. Auch wenn die Rufe in der afghanischen Bevölkerung nach Abzug der von den USA angeführten Invasionstruppen immer lauter werden, da die Lage im Land so unsicher ist wie nie, war das für die Bundesregierung kein Grund für einen Kurswechsel. Erst vor kurzem hat sie das Afghanistan-Mandat der Bundeswehr verlängert.

Deutschlands Interessen werden auch am Hindukusch verteidigt. Dem früheren Bundespräsidenten Horst Köhler kommt das zweifelhafte Verdienst zu, diese Einstellung salonfähig gemacht zu haben. Das hat ihn persönlich sein Amt gekostet, aber dafür konnte er dem Establishment einen großen Gefallen tun: Es wird fortan nicht mehr hinter vorgehaltener Hand davon gesprochen, daß sich das deutsche Militär an Ressourcensicherungskriegen beteiligt.

Typisch für den machiavellischen Standpunkt des NATO-Pakts sind Themen, Inhalte und Erwartungen der alljährlich in der bayerischen Landeshauptstadt stattfindenden Sicherheitskonferenz. Sie wird in diesem Jahr zum 47. Mal durchgeführt und ist so hochkarätig besetzt wie selten. Von deutscher Seite werden Bundeskanzlerin Merkel und fünf Minister erwartet. Zudem stehen NATO-Generalsekretär Rasmussen, UN-Generalsekretär Ban, US-Außenministerin Clinton, der britische Premierminister Cameron, der afghanische Premierminister und der russische Vize-Premierminister Iwanow auf der Gästeliste. Der weißrussische Außenminister Martinow hingegen muß draußen bleiben. Er wurde wieder ausgeladen, weil der Leiter der privaten Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, ein Zeichen gegen die weißrussische Regierung setzen will, da sie angeblich die letzten Wahlen massiv gefälscht hat.

Am Samstag wird der US-Sondergesandte und frühere Botschafter in Ägypten, Frank Wisner, im Rahmen des kurzfristig eingeschobenen Programmpunkts "Was geschieht mit der arabischen Welt?" über seine Gespräche mit der ägyptischen Führung, respektive mit Vizepräsident Omar Suleiman berichten. Die USA und EU sind nämlich in großer Sorge, daß das ägyptische Regime stürzt, ohne daß sie ihre Finger mit im Spiel und einen ihnen gewogenen Nachfolger für Präsident Mubarak installiert haben. Darum verhandelt die US-Regierung bereits mit Suleiman und tut so, als wenn er jemand wäre, den die revoltierende Bevölkerung Ägyptens gern an der Spitze ihres Staates sähe. Krasser kann der Widerspruch zwischen dem Hegemonialinteresse der westlichen Staaten und ihrer örtlichen Statthalter auf der einen Seite und der für die Befreiung vom alten Regime demonstrierenden ägyptischen Bevölkerung nicht sein: Ausgerechnet der frühere Geheimdienstchef soll das Erbe Mubaraks antreten!

Deutschland, die USA und andere NATO-Staaten haben das Regime Ägyptens mit Waffen versorgt, denen Dutzende Demonstranten zum Opfer fielen. Das Wort "Sicherheit" wird augenscheinlich mit Blut geschrieben. Das läßt sich ohne weiteres auch auf die anderen Themen, zu denen auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesprochen wird, übertragen. So setzt sich Ischinger für die atomare Abrüstung ein. Er hält die taktischen Atomwaffen auf europäischem Boden für einen Anachronismus. Es wäre jedoch ein Irrtum anzunehmen, daß er eine vollständige Abrüstung von Atomwaffen in naher Zukunft anstrebt. Für ihn gefährden die taktischen Atomwaffen die Sicherheit, die strategischen Atomwaffen offensichtlich nicht.

Stabile Verhältnisse der internationalen Gemeinschaft sind für ihn nur denkbar, "wenn sie auch von einer umfassend definierten euro-atlantischen Sicherheitsgemeinschaft getragen wird". (www.securityconference.de/) - was wohl die Chinesen und andere BRICS-Staaten zu diesem Anspruch sagen? Sie dürften ein anderes Sicherheitsverständnis haben. Gleiches gilt allemal für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der für Samstag anberaumten Gegendemonstration in München. Sie fordern eine Abschaffung aller Atomwaffen und wollen dies aus ihren Erwägungen zur Sicherheit keineswegs bis auf den Sanktnimmerleinstag aufgeschoben sehen.

Ein weiteres Thema auf der Sicherheitskonferenz wird "Cyber-War" sein, angelehnt an die neue NATO-Doktrin für die nächsten zehn Jahre. Damit befassen sich die transatlantischen Bündnispartner keineswegs als Opfer oder Zuspätgekommene einer modernen Entwicklung, sondern als Aggressoren, welche das globale Netz kontrollieren wollen. Man sollte davon ausgehen, daß die NATO-Strategen die Kommunikationswege und -inhalte der aktuellen Aufstände in Ländern wie Tunesien und Ägypten sehr genau analysieren werden, um Maßnahmen zu entwickeln, wie das anarchische Moment der kaskadenartigen Verständigung über soziale Netzwerke von Aufständischen entweder zu verhindern oder zum Nutzen eigener Interessen zu manipulieren ist.

Wer im Mittelalter den eindringlichen Warnungen der Burgherren vor Räubern und Gesindel zum Trotz den Sicherheit verheißenden Festungsmauern den Rücken kehrte, mußte tatsächlich damit rechnen, von einem versteckt abgeschossenen Pfeil getroffen zu werden - allerdings von hinten. Die Sicherheit der Herrschenden, über die auf der Münchner Konferenz diskutiert wird, kann niemals die Sicherheit von Menschen sein, die angetreten sind, sich von jeglicher Herrschaft zu befreien.

4. Februar 2011