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HERRSCHAFT/1550: "Ethnische Registrierung" ... Extremismusforscher schonen Geert Wilders (SB)



Es ist einigermaßen verharmlosend, den niederländischen Politiker Geert Wilders als "Islamkritiker" zu bezeichnen. Unter diesem Titel firmiert der Gründer und Vorsitzende der Partei für die Freiheit (PVV), die bei den Parlamentswahlen am 9. Juni mit 15,5 Prozent der Wählerstimmen drittstärkste Partei hinter den Rechtsliberalen (VVD) und Sozialdemokraten (PvdA) wurde, in der Berichterstattung der großen deutschen Zeitungen. Der demagogische Charakter der PVV entzündet sich zwar an dem nicht nur in den Niederlanden um sich greifenden Antiislamismus, doch beschränkt sich die rassistische Feindseligkeit der Partei bei weitem nicht auf Muslime.

Spektakuläre Forderungen wie ein Verbot des Koran und ein fünfjähriger Einwanderungsstopp für Muslime resultieren aus der Ansicht Wilders', der Islam sei keine Religion, sondern eine politische, faschistische Ideologie. Da keine Religion davon frei ist, in ihrer gesellschaftlichen Funktion nach Dominanz zu streben, sondern die Befestigung und Legitimation weltlicher Herrschaft geradezu Wesensmerkmal institutionalisierter sakraler Systeme ist, zeugt dieser Vorwurf kaum von der Kritikfähigkeit des Niederländers. Wilders legt sich keineswegs mit herrschenden Kräften an, wie auch die Bereitschaft der VVD und der christdemokratische CDA belegt, sich bei der Regierungsbildung von der PVV unterstützen zu lassen. Kritik als Ausdruck emanzipatorischen Interesses ist bei ihm nicht anzutreffen, viel mehr zeugt das Programm seiner Partei von der Strategie, Wählerzuspruch auf der Basis potentiell mehrheitsfähiger Forderungen neokonservativer und sozialrassistischer Art zu generieren.

Das gilt für die migrantenfeindliche Einwanderungspolitik ebenso wie für die Forderungen, das Budget für die Entwicklungshilfe zu kürzen, das Militär effizienter zu machen, neue Kernkraftwerke zu bauen, die Geschwindigkeitsbeschränkung im Autoverkehr zu erhöhen, härtere Haftstrafen zu verhängen oder Bootcamps für straffällige Jugendliche einzurichten. Wo immer sich Nationalchauvinismus und Sozialneid mobilisieren lassen, ist Wilders mit von der Partie. Die bewährte Stoßrichtung des sozialdarwinistischen Reflexes richtet sich nicht nur gegen Muslime, wie die Forderung im Wahlprogramm der PVV nach "ethnischer Registrierung" aller in den Niederlanden lebenden Menschen belegt. Die Forderung nach administrativer Einteilung der Bevölkerung gemäß individueller Herkunft und Hautfarbe ist selbst für die rechtsradikalen Parteien der EU ungewöhnlich, macht sich die PVV doch dadurch, daß sie offen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz der europäischen Wertegemeinschaft verstößt, angreifbar.

Um so bezeichnender ist es, wie schwer sich die Politikwissenschaft mit der Einstufung dieses Politikers tut. So haben niederländische Extremismusforscher vom Politikinstitut IVA der Universität Tilburg seiner Partei zwar attestiert, einige rechtsradikale Positionen zu vertreten, sie aber insgesamt als "neorechtsradikal" bezeichnet. Sie hänge einer "nationaldemokratischen" Ideologie an, die aber über keine rechtsextremen Wurzeln nach Art der Neonazis verfüge. Zu diesem Urteil gelangten die Wissenschaftler insbesondere aufgrund der entschieden proisraelischen Haltung der PVV und ihres Vorsitzenden. Die Tageszeitung de Volkskrant hatte zu dieser im Auftrag des Innenministeriums angefertigten Studie berichtet, daß die Forscher aufgrund der politischen Empfindlichkeit des Themas unter Druck gestanden hätten [1].

Ob "neorechtsradikal", "rechtspopulistisch" oder "islamkritisch", die professionellen Politikanalysten scheinen einiges dafür zu tun, Wilders einen Persilschein auszustellen, der ihn regierungsfähig macht. Wenn eine Partei, die die "ethnische Registrierung" der Bevölkerung verlangt, nicht als rechtsextrem gilt, weil ihr Vorsitzender im Nahostkonflikt etwa die gleiche Parteilichkeit aufweist wie die Regierungen der EU und USA, dann bestätigt das einmal mehr den instrumentellen Charakter des Extremismusbegriffs. Es geht nicht mehr darum, den Anfängen zu wehren, sondern Legitimation für neokonservative Politik zu erwirtschaften. Indem die Normen der Extremismusforschung im empirischen Abgleich realpolitischer Verhältnisse immer weiter nach rechtsaußen verschoben werden, wird der sozialrassistische und militaristische Charakter herrschender Interessen mit dem Deckmäntelchen einer zwar unerfreulichen, aber integren Ideologie versehen.

Fußnote :

[1] http://standuptohate.blogspot.com/2010_01_24_archive.html