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HERRSCHAFT/1539: Antikommunismus tut not ... mit Gauck die Linkspartei ausgrenzen (SB)



Die Nominierung eines "Bürgerrechtlers", der diesen demokratischen Auftrag ausschließlich auf den "Unrechtstaat" DDR angewendet wissen will, als Gegenkandidat zu Christian Wulff für die Wahl des Bundespräsidenten durch SPD und Grüne dient nicht nur dem Fischen nach Stimmen in den Reihen ostdeutscher Unionspolitiker. Das bewährte antikommunistische Schlachtroß Joachim Gauck aufzustellen ist vor allem als Kampfansage an die Partei Die Linke und die Positionen, die sie vertritt, zu verstehen. Schließlich wäre es nach der von Sozialdemokraten und Grünen beklagten Aufstellung eines Kandidaten des Regierungslagers anstelle einer Person, die nach dem Rücktritt Horst Köhlers im breiten Konsens aller Parteien hätte gewählt werden können, durchaus möglich gewesen, sich gegen die liberalkonservative Hegemonie zu positionieren. Gerade in Anbetracht der anstehenden sozialen Verschärfungen hätte mit einer Person des öffentlichen Lebens, die nicht für die Fortsetzung der Umverteilung von unten nach oben steht, ein Zeichen für die wachsende Schar verarmter Bundesbürger gesetzt werden können.

Indem SPD und Grüne mit dem ersten Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) einen Bürger dieses untergegangenen Staates auswählten, dessen Name zum Synonym für eine Gesinnungsnorm wurde, die deutlich machte, daß von Wiedervereinigung keine Rede sein konnte, hat sie das zuletzt bei der NRW-Wahl hochgespielte Thema des Verhältnisses der Partei Die Linke zur DDR erneut auf die Agenda gesetzt. Mit den vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zusammengetragenen Geheimdienstinformationen hat die Gauck-Behörde nicht nur Aufklärung, sondern auch Politik betrieben. Die von der BRD-Regierung in Auftrag gegebene Delegitimierung der DDR und der gleichfalls programmatisch vollzogene Elitenwechsel in den Führungsetagen der neuen Bundesländer hätte ohne die Aufdeckung der Verstrickung ehemaliger DDR-Bürger in den Repressionsapparat ihres Staates nicht so erfolgreich vollzogen werden können. Die Auswertung und Verwendung von Geheimdienstinformationen zur Diskreditierung politischer und behördlicher Funktionsträger wurde ausschließlich mit den Hinterlassenschaften der DDR vollzogen - eine entsprechende Aufarbeitung der repressiven Aktivitäten der BRD-Dienste unterblieb, indem man sich die ideologische Dichotomie von "Rechtsstaat" versus "Unrechtstaat" zunutze machte.

Der 2004 verstorbene Journalist und ehemalige Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der DDR rechnete 1998 in seinem Buch "Kein einig Vaterland. Texte von 1991 bis 1998" mit der einseitigen Diffamierung der DDR unter besonderem Verweis auf die Gauckbehörde ab. Bei der Vorstellung des Buches bezeichnete er es im Deutschlandfunk (01.02.1999) als "schweren Fehler", daß man, anstatt sich gegenseitig zu berichten, wie man sich in den 40 Jahren der Teilung im jeweiligen Deutschland eingerichtet hatte, nur "aus den Akten" las. Indem die Gauck-Behörde nicht nur die Definitionsmacht über die Aufarbeitung der DDR-Geschichte innehatte, sondern auch das Schicksal vieler ostdeutscher Bürger mit dem in ihren Akten gespeicherten Wissen negativ beeinflußte, kam ihr eine Schlüsselstellung in einem Prozeß der Einigung zu, der alles andere als das produzierte.

Günther Gaus nannte die Fallstricke der sogenannten Aufarbeitung schon 1992 in einer Rede im Dresdner Schauspielhaus beim Namen:

"Anpassen will ich mich immerhin dem deutschen Gruß unserer Tage. Also beuge ich meinen Kopf, mache meinen Diener vor den Hüten im Lande. Ich buchstabiere, was auf die Hutbänder gedruckt ist. Ich spreche willig nach: Ja, in der DDR fehlte es an Rechtssicherheit, ja, es gab bösartige Drangsalierungen, ja, Frauen und Männer, die als Andersdenkende auffällig geworden waren, wurden auf vielerlei Weise verfolgt, ja, auch den Menschen, die sich nicht auffällig machten, blieb manches versagt, worauf sie in der politischen Zivilisation unserer Zeit einen verbrieften Anspruch haben, ja, ja, ja."

Völlig unter den Tisch des Gesinnungsdiktats fiel, wie Gaus in seinem Buch ausführte, daß die soziale Zusammensetzung der DDR-Bevölkerung aufgrund des Abwanderns großer Teile der Ober- und Mittelschicht in den Westen anfangs von einzigartiger sozialer Homogenität war. Im Unterschied zu den östlichen Nachbarn, die ihre entmachtete Oberschicht zum größten Teil im Land behielten, erwuchs die Bevölkerung der DDR tatsächlich zu einem Großteil aus Arbeiter- und Bauernfamilien. In der Bundesrepublik geht es nun darum, eine soziale Polarisierung zu verwalten, deren Spannbreite längst nicht erschöpft ist, wie etwa die jüngsten Vorschläge zur Senkung der Hartz IV-Bezüge ahnen lassen.

Auch wenn die DDR seit 20 Jahren nicht mehr existiert, wird ihre Dämonisierung als Lackmustest nicht etwa demokratischer Gesinnung, die keine Entmündigung eigener Urteilsbildung verträgt, sondern bereitwilliger Unterwerfung unter die herrschende Staatsdoktrin eingesetzt. Der Grund dafür liegt nicht in den Annalen deutscher Geschichte, sondern den Legitimationsnöten einer sozialdarwinistisch organisierten Gesellschaft, deren Insassen immer weniger einsehen, daß sie für die Geschäftsrisiken einer kleinen Klasse von Kapitaleignern aufkommen sollen.

Günter Gaus, jeglicher sozialistischer und kommunistischer Ambitionen unverdächtig, führte das in der BRD propagierte DDR-Bild auf einen totalitären Antikommunismus zurück, der heute unverzichtbarer als noch zu den Hochzeiten des Kalten Kriegs erscheint. Indem SPD und Grüne Joachim Gauck für das höchste Amt im Staate aufbieten, demonstrieren sie ihre Bereitschaft zur Durchsetzung sozialer Grausamkeiten, die den Gedanken nahelegen, daß man mit der DDR etwas Unwiderbringliches verloren haben könnte, das es wert gewesen wäre, in die sogenannte Wiedervereinigung mit einzubringen. Auch wenn ihr Kandidat, wie zu erwarten, nicht Bundespräsident wird, ist ihre Positionierung frei von jedem Versuch, politisch etwas anderes als die liberalkonservative Regierungsmehrheit erreichen zu wollen.

4. Juni 2010