Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

HERRSCHAFT/1534: Am Stasi-Stigma soll die Demokratie vergehen ... (SB)



Wenn die politische Willensbildung in NRW an dem angeblich ungeklärten Verhältnis der Partei Die Linke zur DDR scheitern sollte, dann wäre sie dazu zu beglückwünschen, sich nicht auf eine inquisitorische Maßregelung eingelassen zu haben, die am demokratischen Charakter der Bundesrepublik zweifeln lassen könnte. Warum soll sich eine Partei, deren Mitglieder mehrheitlich dem politischen Milieu eines Staates entstammen, der erklärtermaßen nicht erobert wurde, sondern im Rahmen einer friedlichen Wiedervereinigung dem Grundgesetz beigetreten ist, nicht ein Verhältnis zu diesem Staat unterhalten, das nicht von seiner dogmatischen Verurteilung bestimmt ist?

Die Antwort ist so einfach wie entlarvend. Die DDR wurde der BRD mit allen Mitteln politischer Kunst einverleibt und führt nun das Schattendasein einer Erblast, die nicht etwa deshalb unbewältigt ist, weil man über die Vergehen ihrer Führung und den repressiven Charakter ihres politischen Systems nicht genügend aufgeklärt hätte. Was im Umgang mit dem NS-Regime jahrzehntelang verschleppt wurde und in eine Gleichsetzung von Nazismus und Kommunismus mündete, die die totalitarismustheoretische Staatsapologie mit selbstevidenter Gültigkeit heiligt, haben BRD-Eliten in der Absicht, das politische System der DDR zu delegitimieren und seine Funktionseliten von einflußreichen Positionen fernzuhalten, als symbolpolitisches Drama endlich einmal gelingender Vergangenheitsbewältigung inszeniert. Nicht vergessen, sondern unterschlagen wurde dabei die unheilige Rolle, die die BRD in ungebrochener Fortsetzung des antibolschewistischen Kampfs bei dem Versuch spielte, die potentielle Systemalternative zu beseitigen.

Die explizite Forderung grüner und sozialdemokratischer Politiker in NRW, die Verhandlungspartner der PDL dürften Stasi und Verfassungsschutz nicht miteinander vergleichen, ist nur äußeres Symptom einer Ungleichbehandlung, ohne die es keiner doktrinären Glaubenssätze bedürfte. Keinesfalls will man sich auf dem Fuß einer Staatsaffirmation erwischen lassen, die den Kurs der eigenen Aktien, mit denen man in gewinnverheißende Herrschaftsinteressen investiert hat, einbrechen lassen könnte. Daß diese im Falle der BRD kapitalistischer Art sind und auf vielerlei Weise Folgen zeitigen, die mit den grundrechtlichen Ansprüchen und humanistischen Idealen eigener politische Herkunft nicht vereinbar sind, gehört zu den Lebenslügen sozialdemokratischer und grüner Parteikarrieren. Das Niedermachen der DDR bietet sich das als probates Mittel an, sich der Prüfung eigener politischer Praxis gar nicht erst zu stellen, sondern alle daran aufscheinenden Widersprüche an das realsozialistische Böse zu verweisen.

Die besondere Dämonisierung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) wird folgerichtig außerhalb des Kontextes staatsautoritärer Praxis von Staaten gestellt, deren Geheimdienste man ungestraft mit dem Verfassungsschutz vergleichen darf. Daß diese keineswegs frei von grausamen und inhumanen Methoden, von bürgerrechts- und verfassungsfeindlichen Praktiken sind, braucht nicht eigens ausgeführt zu werden. Der am Beispiel der Stasi vollzogene Unterschied in der Bewertung ist jedoch so total wie der aus demokratischer Sicht in jedem Fall kritikwürdige Charakter geheimer Staatsorgane selektiv.

Nichts geringeres als die Freiheit demokratischer Betätigung steht zur Disposition, wenn ein Inlandgeheimdienst, der eine in ihren Grundsätzen verfassungskonforme Partei wie die PDL observiert, nicht in einem Atemzug mit dem Geheimdienstapparat eines Landes genannt werden darf, der demokratische Defizite aufwies, aber auch Grundsätze sozialer Gleichheit und friedlicher Außenpolitik verfolgte, deren Nichtbeachtung in der Bundesrepublik unter anderem die angebliche Unverzichtbarkeit geheimdienstlicher Überwachung zur Folge haben.

Wenn nun die PDL-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke durch das mediale Dorf getrieben wird, weil sie ein Grußwort zur jährlichen Tagung der haupt- und nebenamtlichen Mitarbeiter der DDR-Auslandsaufklärung verfaßte, dann erhöht das den Druck auf ihre Partei, in NRW zu Kreuze der herrschenden Glaubensdoktrin zu kriechen, erheblich. Wer auch immer das Verhältnis der PDL zur DDR zum Ausschlußkriterium angeblich demokratischer Regierungsbildung erhebt, zeigt damit, daß ihm die Unterdrückung einer offenen und vorbehaltlosen Debatte um gesellschaftliche Grundfragen, die sich am Beispiel der Geschichte beider deutschen Staaten hervorragend führen läßt, Voraussetzung einer politischen Praxis ist, in der gerade das nicht verhandelt werden soll, was in dieser Debatte zweifellos artikuliert würde. Das Gesinnungsdiktat verfolgt zwei Stoßrichtungen - es soll Überlegungen zu einer sozialistischen Entwicklung, in die die Analyse und Schlußfolgerungen des in der DDR Erreichten und Verfehlten einzufließen hätten, unmöglich machen und es soll die PDL auf eine Weise ideologisch zurichten, mit der ihr die letzten Zähne antagonistischer Streitbarkeit gezogen werden.

20. Mai 2010