Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

HERRSCHAFT/1513: Reaktionäre Kräfte Chiles wittern Morgenluft (SB)



Die herrschende Klasse Chiles und deren Freunde in Washington können sich die Hände reiben. Da niemand mit einer absoluten Mehrheit des konservativen Milliardärs Sebastián Piñera im ersten Durchgang der Präsidentenwahl gerechnet hatte, liegt er mit seinen 44 Prozent der Stimmen voll im Plan der Rückkehr zu Verhältnissen, die Skrupeln vor den Elendsfolgen kapitalistischer Ausbeutung ebenso eine Absage erteilen wie einem außenpolitischen Flirt mit emanzipatorischen Bestrebungen der Länder Lateinamerikas. In der Stichwahl am 17. Januar tritt der 60jährige Geschäftsmann gegen den 67 Jahre alten christdemokratischen Expräsidenten Eduardo Frei an, der mit 30 Prozent wie erwartet auf dem zweiten Rang folgte. Der unabhängige Sozialist Marco Enriquez-Ominami und der Kommunist Jorge Arrate schieden mit 20 beziehungsweise sechs Prozent aus.

Sollte sich Piñera durchsetzen, hätte die chilenische Rechte erstmals seit dem Ende der Diktatur wieder das höchste Staatsamt in Händen, was zweifellos eine spürbare Kurskorrektur herbeiführen würde. Seit dem Ende der Junta und der formalen Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie haben die reaktionären Kräfte immer wieder ihre Krallen gewetzt und eine Stärke gezeigt, der das Bündnis Concertación aus Sozialisten, Radikalen, Christ- und Sozialdemokraten nur durch eine bemerkenswerte Geschlossenheit dauerhaft Paroli bieten konnte. Preis dieser gemeinsamen Front war die Verfestigung einer bürgerlichen Allianz, die sich mit falschen Federn schmückte, sofern sie sich als linke Gegenkraft zu den Parteigängern der Diktatur präsentierte.

So unverzichtbar es blieb, diktatorischen Ambitionen die Stirn zu bieten, läßt sich die wichtigste Bruchlinie der gesellschaftlichen Widersprüche doch nicht zwischen einer Junta und dem Rest der Gesellschaft verorten. Das breite Bündnis zum Sturz der Militärdiktatur hat nach seinem Sieg das Ruder übernommen und den Fortbestand der kapitalistischen Verwertung gesichert. Wohl gab es gewisse Ausschläge nach der einen oder anderen Seite, je nachdem, ob eine christdemokratische oder eine sozialdemokratische Strömung die Führung übernahm, doch blieb Chile ein neoliberal zugerichtetes Land mit engen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten.

Chile als wohlhabendes und stabiles Land zu loben, gibt eine elitäre Sichtweise wieder, die den eigenen Reichtum und die Sicherung dieser Herrschaft mit der Wohlfahrt aller gleichsetzt. In dem von krassen sozialen Unterschieden geprägten Land sind die ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung nur mit etwa zwei Prozent an den Ausgaben aller Privathaushalte beteiligt, die reichsten zehn Prozent dagegen mit über 40 Prozent. Der um sich greifende Unmut in der Bevölkerung ist eine unmittelbare Folge dieser unerträglichen Situation, die man endlich dem seit 20 Jahren regierenden Mitte-Links-Bündnis ankreidet, das sich bislang als erträglichere Alternative zur Wiederauferstehung der Rechten über Wasser gehalten hat.

Daß die Rechte erstmals seit 1958 durch Wahlen an die Macht kommt, wäre rein rechnerisch gesehen durch die Bündelung aller übrigen Stimmen vermutlich abzuwenden. Das aber dürfte kaum geschehen, da die Verwerfung in der Gesellschaft auch den abgewirtschafteten Mythos der Concertación erfaßt und deren innere Widersprüche zur Explosion gebracht hat. Der erst 36jährige Marco Enríquez-Ominami verließ im Sommer das Mitte-Links-Bündnis und ging als unabhängiger Kandidat ins Rennen, der vor allem bei jungen Leute Anklang findet. Damit spaltete er die Stimmen der Concertación, deren Niederlage kaum noch abzuwenden ist.

Wohl hieß es im Lager Eduardo Freis, man werde in der Stichwahl um jede Stimme kämpfen und rufe die Wähler Ominamis und Arrates dazu auf, geschlossen für den Christdemokraten zu votieren. Enriquez-Ominami riet seinen Anhängern jedoch, nach ihrem Gewissen zu entscheiden. Eduardo Frei und Sebastián Piñera seien sich zu ähnlich, hielt er mit seiner Einschätzung nicht hinter dem Berg: "Sie stehen nicht für Veränderung, Hoffnung und die Zukunft." Arrate hatte noch kurz vor der Wahl klargestellt, daß er Frei "keinen Blankoscheck" ausstellen werde.

Da der populären Amtsinhaberin Michelle Bachelet eine unmittelbare Wiederwahl verwehrt war, ließ sich die Spaltung der Concertación nicht länger hinauszögern. Wenngleich die besonderen Umstände bei diesem Urnengang die Aussichten der Rechten sprunghaft verbessert haben, resultiert das Scheitern des Mitte-Links-Bündnisses doch in erster Linie aus seiner konservativen und marktliberalen Politik. So bizarr es anmuten mag, daß der Milliardär Piñera, der zu den 700 reichsten Menschen der Welt gehört, seinen Erfolg im ersten Wahlgang ausgerechnet den Armen widmete, da diese ihn angeblich am meisten benötigen, profitiert er in seinem Hohn doch vor allem von der Politik der Concertación, die der herrschenden Klasse auf ihre Weise in die Hände gearbeitet hat.

14. Dezember 2009