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HERRSCHAFT/1475: "Exekutive Eigenverantwortung" versus demokratische Aufklärung (SB)



Obwohl zu den vehementesten Unterstützern der US-Regierung unter Präsident George W. Bush gehörend haben die Vertreter der Unionsparteien im BND-Untersuchungsausschuß den Eindruck erweckt, mit aufrechtem demokratischen Gang gegen geheimdienstliche Manipulationen der rot-grünen Bundesregierung zugunsten der US-Streitkräfte im Irakkrieg vorgehen zu wollen. Dies war ausschließlich dem Versuch geschuldet, die SPD im allgemeinen und Frank Walter Steinmeier im besonderen zu beschädigen. Wäre es der Union tatsächlich um Aufklärung gegangen, dann würde sie nun, da das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Organklage der FDP, Grünen und Linken, die die Behinderung ihrer Arbeit durch die restriktive Informationspolitik der Bundesregierung beklagt hatten, vorliegt, nicht den Versuch blockieren, die Arbeit des Ausschusses bis zum Ende der Legislaturperiode fortzusetzen.

So stellt sich der der CDU angehörende Ausschußvorsitzende Siegfried Kauder dem Wunsch der Ausschußmitglieder aus den Oppositionsfraktionen, die verbleibende Zeit zur Sichtung ihnen bislang vorenthaltener Akten zu nutzen, mit der Erklärung entgegen, daß die Karlsruher Richter lediglich die ungenügende Angabe von Gründen moniert, nicht jedoch gefordert hätten, daß die Bundesregierung mehr Fakten liefern müsse. Die naheliegende Schlußfolgerung, daß das eine aus dem anderen logisch hervorgeht, teilen Kauder und die SPD-Abgeordneten im Ausschuß nicht. Nach drei Jahren soll endlich Schluß sein mit dem peinlichen Ausleuchten des realpolitischen Dickichts, in dessen Sichtschutz all das vollzogen wird, was es nach dem Anspruch auf demokratische Rechtsstaatlichkeit gar nicht geben soll. Dabei relativiert das Urteil die Gültigkeit des Abschlußberichts, in dem der rot-grünen Bundesregierung trotz zahlreicher das Gegenteil vermuten lassender Indizien und Plausibilitäten attestiert wird, im Kampf gegen den Terrorismus rechtsstaatliche Standards eingehalten zu haben, und postuliert weiteren Aufklärungsbedarf zumindest dadurch, daß es der Beschwerde der Oppositionsparteien über den restriktiven Umgang mit Informationen aus Geheimdienstaktivitäten weitgehend entsprochen hat.

Das "Staatswohl", auf das sich die Bundesregierung laut Bundesverfassungsgericht unzulässigerweise berufen hat, um nicht erklären zu müssen, wieso sie keinen Aufschluß gaben etwa über den exakten Inhalt der Informationen, die zwei BND-Agenten in Bagdad 2003 der US-Militärführung bei der Eroberung des Iraks übermittelten, liegt laut den Richtern zu gleichen Teilen in den Händen des Bundestags. Dessen Abgeordnete sind, so weit sie den Koalitionsparteien angehören, allerdings nicht bereit, dem über die Volksvertretung artikulierten Aufklärungsbedürfnis der Bürger zu entsprechen. Sie handeln selbst dort, wo man verlangen könnte, daß sie das Mandat ihrer Wähler erfüllen, und wo man vermuten müßte, daß sie aus wahltaktischen Gründen Interesse an der Schädigung ihrer sozialdemokratischen Konkurrenz haben, nach Maßgabe einer Staatsräson, die mit der - laut Karlsruhe als Begründungskonstrukt für Geheimhaltung ungenügenden - Selbstevidenz der "exekutiven Eigenverantwortung" jeden Anspruch auf demokratische Kontrolle negiert.

Was die die rot-grüne Bundesregierung zu selbstherrlichem, im Widerspruch zur erklärten Nichtbeteiligung am Irakkrieg und Respektierung grundrechtlicher Garantien für Gefangene des US-Terrorkriegs stehenden Aktivitäten veranlaßte, ist für den Koalitionspartner CDU/CSU aus eigenem Interesse an möglichst uneingeschränkter machtpolitischer Handlungsfähigkeit sakrosankt. Die exekutiven Kompetenzen eines Staates, dessen fragile innere Integrität in zunehmendem Maße mit dem Ausbau repressiver Gewalt gesichert wird und dessen Streitkräfte in aller Welt den Anspruch der Bundesrepublik auf weltpolitische Einflußnahme durchsetzen sollen, stehen aufgrund des Prinzips der Gewaltenteilung in einem antagonistischen Verhältnis zu wirksamer parlamentarischer Kontrolle. Der allgemeine Stand demokratischer Entwicklung läßt sich daran ablesen, ob diese Kontrolle nicht nur symbolischer Art ist, sondern auch produktive Ergebnisse erzielt. Da es nach Lage der Dinge keine Fortsetzung der Ausschußarbeit geben wird, gerade weil dann um so deutlicher würde, daß die Geheimexekutive gute Gründe zur Intransparenz hat, bleibt die mit dem Urteil des Verfassungsgerichts intendierte Stärkung der Demokratie weitgehend aus.

25. Juli 2009