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HERRSCHAFT/1474: EU-Referenden ... nun wird der Bürger vollends eingeseift (SB)



Es ist der blanke Hohn. Kaum prescht die CSU mit der Forderung nach Volksabstimmungen in europapolitischen Belangen vor, wird sie von der SPD der Inkonsequenz bezichtigt. Der SPD-Europapolitiker Michael Roth hält es für "unehrlich, wenn die CSU nur Volksabstimmungen zu EU-Themen und nicht auch für andere Politik-Bereiche haben will" (Zeit Online, 20.07.2009). Seinem Ärger darüber, daß die Unionsparteien Vorschläge seiner Partei für mehr plebiszitäre Elemente im Grundgesetz regelmäßig zu Fall gebracht hätten, macht er ausschließlich zugunsten des Versuchs Luft, der CSU nachzuweisen, daß sie populistischen Ambitionen frönt, anstatt sich ernsthaft um mehr Demokratie zu bemühen.

Die Forderung der Bayern, den Beitritt weiterer Staaten zur EU von der Zustimmung der Bundesbürger abhängig zu machen, bedient zweifellos das Ressentiment gegen die Aufnahme der Türkei. Da man die Bevölkerung bei der Osterweiterung der EU nicht gefragt hat, stellt sich tatsächlich die Frage, warum es bei diesem Land oder etwa Kroatien anders sein sollte. Allerdings will die CSU auch die Abtretung weiterer Souveränitätsrechte an die EU von Referenden abhängig machen, was tatsächlich einer Verbesserung gegenüber der bisherigen Praxis entspräche.

Eben damit ist die SPD keineswegs einverstanden, wie der für die EU zuständige Staatsminister im Auswärtigen Amt, der SPD-Bundestagsabgeordnete Günter Gloser, erklärte. Er wirft der CSU vor, durch die Rückbindung europapolitischer Entscheidungen der Bundesregierung an Bundestag und Bundesrat das weitere Zusammenwachsen der EU zu behindern. Damit erweist sich, daß die SPD zwar in weniger bedeutsamen Politikbereichen Volksabstimmungen gutheißen könnte, aber gerade dort, wo Plebiszite der primären verfassungsrechtlichen Stellung des Souveräns angemessen wären, nämlich bei das Verhältnis von Bürger und Staat grundsätzlich verändernden Weichenstellungen, strikt gegen diese basisdemokratische Form der Partizipation ist.

Wähler, die diese Debatte aufmerksam verfolgen, können nur zu dem Schluß gelangen, daß sie einmal mehr über den Löffel balbiert werden sollen. Kurz vor einem wichtigen Urnengang greift eine der Unionsparteien ein elementares Demokratiedefizit auf und formuliert eine Maximalforderung, die den Koalitionsverhandlungen mit der SPD oder der FDP zweifellos zum Opfer fiele. Wichtige Politiker beider möglichen Koalitionspartner wie der CDU haben machtpolitische Gründe für die schnelle europäische Integration ins Feld geführt, um zu konstatieren, daß der Bevölkerung nicht zu trauen ist, da sie diesen Kurs womöglich abändern könnte. So kann die CSU-Führung, ohne Gefahr zu laufen, beim Wort genommen zu werden, bequem die Unzufriedenheit vieler Bürger mit dem paternalistischen Charakter der EU-Integration für ihren Wahlkampf ausbeuten.

Das Unbehagen mit dem undemokratischen Charakter dieser Entwicklung wird so zum Popanz einer Debatte, bei der es sich im Kern darum dreht, wie man die Ausbildung einer supranationalen Oligarchie, von der die deutsche Kapitalmacht bislang vor allem profitiert hat, zustandebekommt, ohne daß die davon betroffenen Bevölkerungen merken, daß ihnen auf lange Sicht der Zugang zu Entscheidungen, die sie in ihrem täglichen Leben maßgeblich betreffen, versperrt werden soll. Da die Linke die einzige im Bundestag vertretene Partei ist, die in dieser Frage im Unterschied zur CSU stets eine relativ konsequente Linie verfolgt hat, ist ihr zu wünschen, daß ihr am 27. September daraus viele Stimmen erwachsen. Da die Bürger in ihrem Anliegen auf Mitentscheidung in EU-Fragen von den Regierungsparteien wie von FDP und Grünen ohnehin nicht ernstgenommen werden, sind sie gut beraten, ihr Interesse auf diejenige Kraft zu stützen, der noch am ehesten zugetraut werden kann, demokratische Form und politischen Inhalt auf die im Grundgesetz vorgesehene Weise miteinander zu verknüpfen.

20. Juli 2009