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HERRSCHAFT/1454: Ungebremste Rechtsdrift der Republik (SB)



Der breite Konsens darüber, daß die Bundesversammlung mit der Wiederwahl des amtierenden Bundespräsidenten eine gute Entscheidung getroffen hat, greift sogar auf den Staatsrundfunk über. So leitete die Moderatorin des Deutschlandradios Kultur die sonntagsmittägliche Nachrichtenmagazin mit den Worten ein:

"Es bleibt alles beim Alten. Horst Köhler war und bleibt Bundespräsident, und wenn man einmal ehrlich ist: parteipolitisch ist es für nahezu alle Beteiligten das Beste."

Gemeint war die Tatsache, daß es zu keiner Zweckkoalition von SPD, Grünen und Linken bei Wahl des Staatsoberhaupts gekommen war, hätte dies doch die SPD in ihren Abgrenzungsbemühungen zur Linken unnötig kompromittiert. Daß die Linke ihrerseits signalisierte, in einem möglichen zweiten Wahlgang für die Herausforderin Gesine Schwan stimmen zu können, zeigt allerdings, auf welchem Fuß sich die parteipolitischen Schmuddelkinder erwischen lassen, um ihre Kompromiß- und Regierungsfähigkeit unter Beweis stellen zu können.

Der Jubel unter der sogenannten bürgerlichen Mehrheit ist vor allem den mit diesem Wahlausgang verknüpften Hoffnungen auf eine Bundesregierung aus Unionsparteien und Liberalen im Herbst geschuldet. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, wird an der Krisenfront doch verbreitet, daß das Gröbste bereits ausgestanden sei, was zwar relativ unwahrscheinlich ist, als wunderwirkender Hoffnungsschimmer jedoch den Sommer bis zu den Bundestagwahlen überdauern könnte. Ohnehin neigen viele Bundesbürger dazu, bei Gefahr für Haus und Garten konservativ zu wählen, anstatt den düsteren Aussichten mit einem Votum für gesellschaftliche Veränderung ungewisse Zukünfte hinzuzufügen. Um so wichtiger war die paßgenaue Terminierung der Wahl des Bundespräsidenten, die ohne Überschneidung mit dem letzten Spieltag der Fußballbundesliga erfolgte.

Politische Veränderungen selbst im kleinen Maßstab sind unerwünscht. Der Vorschlag des frischgekürten Bundespräsidenten, das Amt des Staatsoberhaupts künftig zur Disposition einer Direktwahl der Bevölkerung zu stellen, wurde insbesondere von Unionsvertretern brüsk zurückgewiesen. Köhlers Versuch, sich für seine zweite Amtszeit mit dem populären Eintreten für mehr Bürgerbeteiligung einen guten Start zu verschaffen, führte dazu, daß ihm die Grenzen seines Engagements, das sich gefälligst auf symbolpolitische Handreichungen zu beschränken habe, aufgezeigt wurden. Am Ende könnten ja Stimmen laut werden, die die Zustimmung zum Lissabon-Vertrag an ein Referendum knüpfen wollten.

Um so verheerender angesichts des regressiven Charakters der Bundespolitik wäre es für die Linke, sich der Drift zum vermeintlich sicheren, da besonders trägen Fahrwasser der Mitte hinzugeben. Zugeständnisse an den mit der Wirtschaftskrise zusätzliche Dynamik entfaltenden Rechtsruck der Republik bringen gerade einer Partei, die ihr Wählerreservoir unter den besonders unzufriedenen und streitbaren Bürgern hat, den sicheren Tod. Gerade weil die Zeichen auf Ausbau des kapitalistischen Verwertungssystems und autoritären Sicherheitsstaats stehen, braucht es eine im Bundestag vertretene Partei, die wenigstens dafür sorgt, daß die Unterdrückung aller widerständigen Bewegungen nicht völlig geräuschlos vonstatten geht.

24. Mai 2009