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HERRSCHAFT/1447: Zwei Schritte vorwärts, einen zurück - Wahlprogramm der Linken (SB)



Ob die Freude neokonservativer Blätter über den neuen Entwurf des Wahlprogramms der Linken von langer Dauer sein wird, ist fraglich. Wenn in der Tageszeitung Die Welt (11.05.2009) konstatiert wird, daß die Linke "Oppositionspartei bleiben" will, weil die Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine und Gregor Gysi "nicht nur eine Koalitionsaussage" vermieden, sondern "einen für SPD und Grüne unerfüllbaren Forderungskatalog" formulierten, dann ist die Befriedigung über die damit noch unwahrscheinlicher gewordene Option rot-rot-grün nicht zu überhören. Gleichzeitig verstärkt sich angesichts der deutlich schärfer gewordenen Konturierung des Wahlprogramms, dessen erste vom Parteivorstand verfaßte Version auf viel Kritik aufgrund indifferenter und weichgespülter Positionen gestoßen war, der systemapologetische Ton in den Berichten der Mehrheitsmedien.

Insbesondere die perspektivische Abschaffung von Hartz IV, die bis dahin zu erfolgende Erhöhung des Regelsatzes auf 500 Euro und eine deutlich stärkere Belastung von Kapitaleignern zur Krisenbewältigung sind Aussichten, die bei neoliberalen Politikern alle Alarmglocken läuten lassen. Das zeigen auch die Reaktionen potentieller Koalitionspartner. So ließ die Grünen-Chefin Claudia Roth sattsam Bekanntes verlauten, indem sie erklärte, daß ihre Partei "keine Fundamentalopposition, sondern regieren" wolle. SPD-Chef Franz Müntefering wiederum behauptete, die Linke sei "sozialpopulistisch", sie habe "keine Orientierung an den Lebenswirklichkeiten" und werde daher "keinen Zulauf haben" (Die Welt, 11.05.2009). Dies läuft angesichts der sozialen Verwerfungen, die die Bundesrepublik durch die rot-grüne Bundesregierung erlitten hat, auf Pfeifen im Wald hinaus, muß die SPD doch nun fürchten, daß die bisherige Flaute der Linken in den demoskopischen Ergebnissen einem neuen Aufwärtsschwung bei den Verlierern weicht, die diese Gesellschaftsordnung produziert.

Angesichts dieses Versuchs, zumindest auf profiliert sozialdemokratische Weise Anschluß an die krisenhafte Entwicklung des Kapitalismus zu erhalten, ist es um so ärgerlicher, daß führende Politiker der Linken nicht bereit sind, außenpolitische Tabus zu brechen, die einer produktiven Entwicklung in Krisengebieten wie dem Nahen Osten im Wege stehen. Während der stellvertretende Fraktionschef der Linken im Bundestag, Bodo Ramelow, mit der von ihm vorgeschlagenen Sonderabgabe von 80 Prozent für Besserverdienende Furore macht, distanziert er sich in der Welt (12.05.2009) von seiner Parteigenossin, der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke, weil diese sich, wie das Blatt paraphrasiert, für kolumbianische Guerilleros und Hamas und Hisbollah einsetzt. "Wer das Vorgehen solcher Gruppen unterstützt, hat die Demokratie nicht verstanden", behauptet Ramelow und wirft Jelpke parteischädigendes Verhalten vor.

Dieses öffentliche Niedermachen einer Politikerin, deren Eintreten für Bürgerrechte, für Migranten und die Opfer imperialistischer Kriege die Linke adelt und nicht schädigt, läßt allerdings wenig Gutes für den weiteren Kurs der Partei vermuten. Wenn mit diesem Vorstoß in linke Gefilde bereits die Grenze des Möglichen erreicht sein sollte und nicht nur notorische Rechtsausleger, die nun ihre lukrativen Felle davonschwimmen sehen und sich bitter über die vermeintliche Radikalität der neuen Wahlkampfforderungen beklagen, sondern auch führende Repräsentanten der Partei gegen vermeintliche Linksabweichler losschlagen, dann könnte man den Eindruck gewinnen, daß die deutliche Abgrenzung von der SPD mit einer nicht minder deutlichen Ausgrenzung linksradikaler Kräfte in der Linken erkauft werden soll.

Das wäre bedauerlich, denn allein die Tatsache, daß die Linke die einzige im Bundestag vertretene Partei ist, die den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan fordert, macht sie zu einer Ausnahmeerscheinung inmitten eines Kartells aus Sachwaltern imperialistischer Politik. Dies ist um so bedeutsamer, als daß mit dem NATO-General Egon Ramms erstmals ein deutscher Offizier die Ausweitung des Krieges der ISAF nach Pakistan aktiv unterstützt. Hier schließt sich der Kreis, hat die israelische Regierung doch "AfPak", wie der neue Kriegsschauplatz in Washington kurzerhand zusammengefaßt wird, den ersten Platz noch vor dem Iran in ihrer aggressiven Bedrohungsanalyse eingeräumt. Die Zeichen stehen auf Sturm, und verantwortungsvolle Außenpolitiker, die Schaden von der Bundesrepublik abwenden wollen, tun gut daran, den Dialog mit allen beteiligten Konfliktparteien zu suchen. Die in der Linken unternommenen Versuche, sich mit dem die israelische Regierungspolitik unterstützenden Kurs der Bundesregierung zu arrangieren, widersprechen den Grundsätzen emanzipatorischer, menschen- und völkerrechtskonformer Außenpolitik, und sie sind zudem nicht dazu geeignet, Wähler dazuzugewinnen.

Mit dem neuen Entwurf des Wahlprogramms ist die weitere Entwicklung der Partei zumindest wieder ein wenig offener, als es die vorherrschende Praxis des sich Wegduckens angesichts der Forderung, Mut zum Beziehen streitbarer Positionen aufzubringen, vermuten ließ. Die Strategie der Regierungsparteien, die Linke als Sachwalterin eines angeblichen Unrechtsstaats vorzuführen, die strikten Linien, die gerade in der offenkundig gewordenen Krise des Kapitalismus gegenüber sozialistischen Konzepten gezogen werden, das Insistieren auf eine imperialistische Außenpolitik, dies und vieles mehr teilt jedem Bürger mit, daß ein Politikwechsel grundlegender Art nicht nur nicht gewollt ist, sondern mit allen lauteren wie unlauteren Mitteln bekämpft wird. Da die Linke ein Sammelbecken für ideologisch disparate Interessen und Strömungen ist, besteht durchaus die Chance einer antikapitalistischen Radikalisierung der Partei, die etwa dem Vorbild der französischen Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA) folgen könnte. Wenn eine Partei mit solcher Ausrichtung im Bundestag vertreten wäre, dann näherte man sich auch auf parlamentarischer Ebene der Aktualität notwendiger gesellschaftlicher Kämpfe an.

12. Mai 2009