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HERRSCHAFT/1437: Ablenkungsdebatte um künftigen NATO-Generalsekretär (SB)



Wird der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen neuer NATO-Generalsekretär oder nicht? Diese Frage bewegt die Journalisten-Kamarilla rund um den NATO-Gipfel in Strasbourg am meisten, wobei der Türkei die Rolle des Spielverderbers zugeschanzt wird, da es sich dem Wunsch der übrigen NATO-Mitglieder aufgrund einer rückwärtsgewandten Haltung widersetzt. Die Türkei akzeptiert Rasmussen wegen seiner Äußerungen während des Streits um die Mohammed-Karikaturen, die ursprünglich von der dänischen Zeitung "Jyllands-Posten" verbreitet wurden, nicht.

Abgesehen davon, daß Rasmussen eben wegen seiner von Selbstgerechtigkeit und vermeintlicher Unschuld geprägten Äußerungen zu den Mohammed-Karikaturen der geeignete Mann an der Spitze eines solchen Räuberpakts wie die NATO wäre, dient die Personaldebatte einzig und allein der Ablenkung. Es wird sich schon jemand für den höchsten NATO-Posten finden, aber viel wichtiger, da das Leben von Hunderten Millionen, wenn nicht sogar Milliarden Menschen bestimmend wird das sein, zu was sich die NATO einschwört. Beim NATO-Gipfel stoßen die Sektgläser nicht nur aneinander, weil das Bündnis 60 Jahre zusammengehalten hat, sondern weil hier Weichen für die zukünftigen Weltordnungskriege gestellt werden. Die Warlords in Strasbourg und Kehl wollen sich auf einer neuen Strategie verschreiben, durch welche die Asymmetrie der Konflikte mehr denn je zu Lasten der übrigen Welt gesichert werden soll. Der von US-Präsident George W. Bush im Jahr 2001 ausgerufene weltweite Krieg gegen all jene Menschen und Gruppierungen, die sich dem Hegemonieanspruch des westlichen Kulturkreises widersetzen und deswegen als "Terroristen" oder - noch breiter gefaßt - "Extremisten" verteufelt werden, sowie die Sicherung von Ressourcenregionen und Transportwegen soll endgültig mit einer entsprechenden Angriffsdoktrin unterfüttert werden.

Worum geht es? Mehr Truppen nach Afghanistan, weltweiter Kampf gegen sogenannte Seeräuber, kurzfristige anberaumte Unterwerfungseinsätze auf allen Kontinenten zur Durchsetzung der eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen, Aufmunitionierung und säbelrasselnde Begleitung regionalen Angriffskriegen nach dem Vorbild Georgiens, Unterstützung von "Rosenrevolutionen" bei der weiteren Umzingelungsstrategie potentieller militärischer Widersacher wie Rußland und China - hier stehen Konflikte in Ländern bzw. Regionen wie Tibet, Xinjiang, Belarus auf dem Programm -, Inbesitznahme arktischer Territorien, die bislang keinem Staat zugeordnet sind, Unterbindung von Emanzipationsbestrebungen vor allem in Südamerika und dem Nahen und Mittleren Osten sowie Kontrolle über das Internet unter dem Vorwand der Abwehr von Cyberattacken.

Dabei wollen die USA nicht mehr "Schutzpatron" für Europa sein, sagte US-Präsident Barack Obama, der die europäischen NATO-Staaten zu einer erheblich stärkeren Aufrüstung aufforderte. Und der Ex-General und US-Sicherheitsberater James Jones brachte es auf den Punkt indem er sagte, daß er die NATO reformieren will, um sie "schneller und beweglicher" zu machen. Außerdem sollten Konflikte auch präventiv verhindert werden.

Das geforderte "beweglichere" Militärbündnis könnte bedeuten, daß künftig Einsätze notfalls auch gegen den ausdrücklichen Willen einzelner Mitglieder durchgeführt werden, und was den Wunsch nach einer präventiven Intervention angeht, so können die Jugoslawen ein Lied davon singen ... zumindest jene, die den Angriff der NATO-Kräfte vor zehn Jahren auf ihr Land überlebt haben.

Unter den vielen Verklausulierungen, die gegenwärtig von Politikern und Militärs der NATO-Staaten ventiliert werden, sticht die Formulierung Wolfgang Ischingers, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, besonders hervor. Gegenüber der "Financial Times Deutschland" sagte er, daß die Sicherung des Territoriums der Mitgliedsstaaten "die zentrale Aufgabe des Bündnisses" bleiben müsse, aber daß es "heute auch eine Funktion als Sicherheitsdienstleister außerhalb des Territoriums der Mitglieder" habe.

Die NATO bietet also untertänigst ihre bescheidenen Dienste an - so beliebt man also heute Kriegspolitik zu umschreiben! Das alles wäre viel eher einer breiten und unermüdlichen öffentlichen Diskussion wert als die Frage, wer künftig Generalsekretär der NATO werden soll.

4. April 2009