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WISSENSCHAFT/1014: Maßstäbe gesucht - das deutsche System außeruniversitärer Forschung (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 127/März 2010
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Maßstäbe gesucht
Das deutsche System außeruniversitärer Forschung - kritisch befragt

Von Lena Ulbricht


Die öffentlich finanzierte Forschung wird in Deutschland von den Hochschulen und den außeruniversitären Forschungseinrichtungen geleistet. Beide ergänzen sich und tragen vielfältig zu Forschung, Ausbildung und Wissenstransfer und damit zur Innovation bei. Den Anteil einzelner Forschungseinrichtungen und die Qualität ihrer Leistungen versucht man verstärkt durch Evaluationen zu ermitteln. So evaluiert der Wissenschaftsrat derzeit die Ressortforschungseinrichtungen. Die vier großen Wissenschaftsorganisationen - Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, Fraunhofer-Gesellschaft, Max-Planck-Gesellschaft und Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz - evaluieren "ihre" Einrichtungen, auch das WZB wird sich im kommenden Jahr prüfen lassen.

Die Ausweitung der Evaluationspraxis führt nicht selten zu Kontroversen über Bewertungskriterien und -maßstäbe und deren Übertragbarkeit auf einzelne Forschungseinrichtungen. Dahinter steht die Frage, ob jede Einrichtung die gleichen Kriterien erfüllen sollte oder ob es nicht auch eine legitime und effiziente Arbeitsteilung zwischen den Forschungseinrichtungen gibt. Umfassende Analysen des deutschen Forschungssystems gibt es jedoch kaum. Doch nur die Systemperspektive erlaubt es, Position zu beziehen in Debatten über die Frage, ob die außeruniversitäre Forschung komplementär arbeitet und effizient organisiert ist. Gleiches gilt für die Frage, ob Umfang und Qualität von Forschungsergebnissen und Wissenstransfer angemessen sind.

Im internationalen Vergleich sind die öffentlichen Ausgaben für außeruniversitäre Forschung in Deutschland hoch und sehr stabil. 2007 lagen die Ausgaben, gemessen am Anteil des Bruttoinlandsprodukts, mit 0,35 Prozent deutlich über dem OECD-Durchschnitt von 0,25 Prozent. Dass sich der Anteil der öffentlichen Ausgaben für außeruniversitäre Forschung in Deutschland zwischen 1995 und 2007 kaum verändert hat, ist bemerkenswert angesichts eines deutlichen Rückgangs außeruniversitärer Forschung in vielen anderen OECD-Staaten (siehe Abbildung). Ist der stabile Anteil der außeruniversitären Forschung am öffentlich finanzierten Forschungskuchen gerechtfertigt, wenn man bedenkt, dass diese über 46 Prozent der öffentlichen Forschungsförderung verfügten, aber nur 37 Prozent der Wissenschaftler beschäftigen?


Der Vorwurf: Zersplitterung und Ineffizienz

Der Vorwurf, die außeruniversitäre Forschung in Deutschland sei zugleich fragmentiert und ineffizient, wird häufig mit dem Hinweis auf die zum Teil recht unterschiedlichen Ausrichtungen der vier großen Wissenschaftsorganisationen entkräftet, die 2007 zusammen etwas mehr als die Hälfte der Wissenschaftler der außeruniversitären Forschungseinrichtungen beschäftigten und drei Viertel der Forschungsausgaben der außeruniversitären Forschung tätigten. Das verbleibende Viertel des Budgets und die restlichen 46 Prozent der Mitarbeiter verteilen sich auf Ressortforschungseinrichtungen des Bundes und der Länder, auf Akademien, wissenschaftliche Bibliotheken und Museen sowie eine Gruppe sonstiger Einrichtungen. Diese Vielfalt kann leicht durch Doppelungen und mangelnde strategische Koordination zu Ineffizienz führen.

Ob eine bestimmte Einrichtung sich optimal in die deutsche und internationale Forschung einbringt, müssen Einzelevaluationen feststellen. Die Systemperspektive zeigt aber, dass die großen Wissenschaftsorganisationen unterschiedliche und zum Teil komplementäre Profile haben. Über ein klares Forschungsprofil verfügen die Fraunhofer-Gesellschaft (angewandte Forschung) und die Max-Planck-Gesellschaft (Grundlagenforschung) in höherem Maß als die Einrichtungen der Helmholtz- und der Leibniz-Gemeinschaft. Deren Rolle für das deutsche Forschungssystem ist weniger deutlich ersichtlich.

Außeruniversitären Forschungseinrichtungen wird zudem häufig vorgeworfen, sich nicht genügend mit den Einrichtungen aus anderen Wissenschaftsorganisationen auszutauschen. Eine derartige "Versäulung" kann man jedoch nicht (mehr) feststellen. In den letzten Jahren hat diese Zusammenarbeit deutlich zugenommen: Mittlerweile sind Kooperationen mit Einrichtungen aus anderen Organisationen der außeruniversitären Forschung sogar häufiger als Kooperationen mit Einrichtungen der eigenen Organisation. Darüber hinaus arbeiten fast alle außeruniversitären Forschungseinrichtungen mit Hochschulen zusammen - eine Tendenz, die durch die Exzellenzinitiative und die daraus entstandenen Forschungsverbünde unterstützt wurde. Häufige Formen der Zusammenarbeit sind gemeinsame Forschungsprojekte, Hochschulprofessuren von Mitarbeitern außeruniversitärer Forschungseinrichtungen und die gemeinsame Betreuung von Diplom- und Doktorarbeiten.

Schließlich gerät die Leistungsfähigkeit der außeruniversitären Forschung immer wieder in die Diskussion, insbesondere im Vergleich mit den Hochschulen, die stetig steigende Studentenzahlen schultern müssen, sich einer wachsenden Vielfalt gesellschaftlicher Aufträge stellen und ihre Lehr- und Forschungsleistung in nationalen wie internationalen Rankings gespiegelt bekommen. Der - meist implizite - Vorwurf lautet, dass die Leistungen hinter den Erwartungen zurückbleiben. Immerhin haben Forscher an außeruniversitären Einrichtungen ein sehr geringes Lehrdeputat, und viele administrative Tätigkeiten werden ihnen durch spezialisiertes Personal abgenommen, so dass sie sich im Prinzip ganz der Forschung und dem Wissenstransfer widmen können.


Heterogenität erschwert Vergleiche

Ein Blick auf die Patent- und Publikationsleistung der vier großen Wissenschaftsorganisationen und der Hochschulen für den Zeitraum von 1994 bis 2006 zeigt ein breites Spektrum: An einem Ende stehen die Fraunhofer-Institute mit sehr vielen Patenten (70 Patentanmeldungen je 1.000 Wissenschaftler) und einer vergleichsweise niedrigen Publikationsleistung: 0,15 SCIPublikationen pro Wissenschaftler und Jahr. Am anderen Ende finden sich die Max-Planck-Institute mit hohen Publikationsleistungen: 1,35 SCI-Publikationen pro Wissenschaftler und Jahr und wenig Patentanmeldungen (jährlich 12 Patentanmeldungen pro 1.000 Wissenschaftler). Zwischen diesen beiden Extremen befinden sich die Einrichtungen der Helmholtz-Gemeinschaft und der Leibniz-Gemeinschaft sowie die Hochschulen. Für die Ressortforschung und die sonstigen Einrichtungen liegen bislang keine vergleichbaren Informationen vor. Die Leistungen der außeruniversitären Forschung, gemessen in Publikationen und Patenten, heben sich zum Teil als exzellent ab, weisen aber gleichzeitig sehr unterschiedliche Profile auf. Eine Bewertung einer wie auch immer definierten Leistungsfähigkeit der außeruniversitären Forschung im Vergleich zur Leistungsfähigkeit des Hochschulsektors verbietet sich also allein schon wegen der Heterogenität der Wissenschaftsorganisationen.


Rat für die Bundesregierung: EFI

Die von der Bundesregierung eingerichtete Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) hat eine Studie zum deutschen Forschungs- und Innovationssystem in Form eines internationalen Systemvergleichs in Auftrag gegeben und äußert sich zu diesem Thema in ihrem Gutachten 2010. Das Gutachten wurde der Bundeskanzlerin am 24. Februar 2010 überreicht. Dieser Text beruht auf dem Kapitel "Das deutsche F&I-System im internationalen Vergleich" des Gutachtens.

Die Mitglieder der Expertenkommission sind: Prof. Dr. Dr. AnnKristin Achleitner, Prof. Jutta Allmendinger Ph.D., Prof. Dr. Alexander Gerybadze, Prof. Dietmar Harhoff Ph.D. (Vorsitzender), Prof. Dr. Patrick Llerena, Prof. em. Dr. Joachim Luther.


Beurteilt man den Beitrag der außeruniversitären Forschung zum deutschen Innovationssystem, stellt sich die Frage, wie viel von den Forschungsergebnissen in der Gesellschaft, besonders auch in Unternehmen, ankommt. Denn für Innovationen ist ein produktiver Austausch zwischen öffentlich finanzierter und industrieller Forschung und Entwicklung von zentraler Bedeutung. Die Forschungsergebnisse an Hochschulen können systematisch an Studierende weitergegeben werden, die sie wiederum weiter verbreiten. Im Gegensatz dazu sehen sich außeruniversitäre Forschungseinrichtungen häufig dem Vorwurf ausgesetzt, sie bewegten sich in einem selbstreferentiellen System und vernachlässigten den Wissenstransfer. Tatsächlich kommen in manchen Wissenschaftsdisziplinen, die durch eine starke wissenschaftsimmanente Eigendynamik geprägt sind, die Transferaktivitäten zu kurz. Dies kann in der Forschungsstrategie und der Anreizstruktur begründet liegen - nämlich dann, wenn Einrichtungen und ihre Forscher ausschließlich an Publikationserfolgen und Reputationsgewinn innerhalb des wissenschaftlichen Kollegiums interessiert sind.

In außeruniversitären Forschungseinrichtungen lässt sich der Stellenwert, den Forscher dem Wissenstransfer beimessen, von der Leitung beeinflussen, und zwar durch Mitarbeiterführung, Personalentwicklung und die institutionelle Entwicklungsstrategie. Dabei zeigen sich in Bezug auf die Bewertungskriterien große Unterschiede zwischen den Einrichtungen: Innerhalb der Max-Planck-Einrichtungen ist das zentrale Kriterium die Exzellenz, daneben spielen auch die Anzahl der Publikationen sowie die Nachwuchsförderung eine Rolle. Wissens- und Technologietransfer an Unternehmen taucht als Kriterium fast nicht auf.

Ähnlich verhalten sich die Einrichtungen der Helmholtz- und der Leibniz-Gemeinschaft, die in den letzten zehn Jahren der Exzellenz und Anzahl der Publikationen immer stärker den Vorzug vor Aktivitäten des Wissenstransfers gegeben haben. Einen besonders hohen Stellenwert genießt dieser hingegen in der Fraunhofer-Gesellschaft. Hier stehen der Wissens- und Technologietransfer an Unternehmen und die Einwerbung von Drittmitteln von Unternehmen an erster Stelle der Bewertungskriterien.

Eine Betrachtung der außeruniversitären Forschung in der Systemperspektive macht eines deutlich: Was das Aktivitätsprofil und die Leistung angeht, gibt es zwar Schwerpunktsetzungen, aber keine systematische Arbeitsteilung. Profil und Qualität der Forschung und des Wissenstransfers lassen sich besonders in der Helmholtz- und der Leibniz-Gemeinschaft aufgrund der sehr heterogenen Zusammensetzung schwer einordnen und einheitlich bewerten. Aus diesem Grund ist es legitim, die Verteilung von Fördermitteln sowie die Aufteilung von Forschungsgebieten und Aufgaben kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls zu ändern. Abgesehen davon müssen die aus Evaluationen und Wissenschaftsforschung gewonnenen Erkenntnisse aber auch genutzt werden, um die Anreizstrukturen, die auf Forschungseinrichtungen und Wissenschaftler einwirken, einer Prüfung zu unterziehen und hier gegebenenfalls nachzusteuern.

In Deutschland liegt die Forschungs- und Innovationspolitik im Wesentlichen im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Diese Aufteilung wirkt stellenweise als Hindernis für eine Innovationspolitik aus einem Guss, zum Beispiel wenn es um die Förderung von Verbindungen zwischen der Grundlagenforschung und der Innovation in der Wirtschaft geht. Die Hightech-Strategie der Bundesregierung war ein wichtiger Ansatz, diese Koordinationsprobleme zu überwinden. Die Ministerien sollten jedoch vermehrt die Chancen der Zusammenarbeit nutzen.

Nicht zuletzt um den Koordinationsbedarf zwischen zahlreichen gesellschaftlichen Akteuren zu unterstreichen, wenn die außeruniversitäre Forschung zum Wohl des Forschungs- und Innovationssystems Deutschland weiter optimiert werden soll, wäre ein hochrangig besetztes Gremium, bestehend aus Repräsentanten der Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, hilfreich. Wie in anderen Ländern üblich, könnte dieses Leitlinien der Forschungs- und Innovationspolitik formulieren und deren Umsetzung begleiten. Dafür spricht sich auch die Expertenkommission Forschung und Innovation aus.


Lena Ulbricht, geboren 1984, arbeitet seit 2008 bei der Präsidentin des WZB. Sie ist darüber hinaus Mitarbeiterin der Geschäftsstelle der Expertenkommission Forschung und Innovation. Sie hat ein Politikwissenschaft-Diplom der FU Berlin und einen Master in Stadt- und Regionalplanung an Sciences Po Paris gemacht. In ihrem Promotionsprojekt befasst sie sich mit der Hochschulpolitik im Bundesländervergleich.
ulbricht@wzb.eu


Literatur

Wolfgang Polt, Martin Berger, Patries Boekholt, Katrin Cremers, Jürgen Egeln, Helmut Gassler, Reinhold Hofer, Christian Rammer (2010): Das Deutsche Forschungs- und Innovationssystem - Ein internationaler Systemvergleich zur Rolle von Wissenschaft, Interaktion und Governance für die technologische Leistungsfähigkeit. Studien zum deutschen Innovationssystem Nr. 112010, Berlin: EFI, 296 S.

Expertenkommission Forschung und Innovation (2010): Gutachten 2010 zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands, Berlin: EFI, 176 S.


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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 127, März 2010, Seite 26-29
Herausgeberin:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph.D.
10785 Berlin, Reichpietschufer 50
Tel.: 030/25 49 10, Fax: 030/25 49 16 84
Internet: http://www.wzb.eu

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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. April 2010