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ASYL/724: Irak - Nach acht Jahren Stillstand, Iraner dürfen Flüchtlingsstatus beantragen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. Oktober 2011

Irak: Nach acht Jahren Stillstand - Iraner dürfen Flüchtlingsstatus beantragen

Von Barbara Slavin


Washington, 30. September 2011 (IPS) - Die iranische Oppositionsgruppe 'Mujaheddin-e Khalq' (MEK) ist offenbar bereit, den iranischen Flüchtlingen im irakischen Auffanglager Ashraf im Norden von Bagdad zu erlauben, sich beim UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) um einen Flüchtlingsstatus zu bemühen. Das den Menschen lange vorenthaltene Zugeständnis gilt als erster wichtiger Schritt, um das diplomatische und humanitäre Tauziehen um das Schicksal der Lagerinsassen zu beenden.

Wie Vincent Cochetel, Washingtons Vertreter des UN-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR), gegenüber IPS erklärte, konnte Mitte September mit den MEK-Rechtsberatern in London eine entsprechende Übereinkunft getroffen werden. "Sie stimmten dem Auswahlverfahren zur Anerkennung der Flüchtlinge zu", bestätigte er. Dem UNHCR zufolge soll das Verfahren in der Nähe von Ashraf durchgeführt werden.

Das Einverständnis der MEK könnte zur Lösung einer Krise beitragen, die auch die USA belastet, die sich gerade anschicken, ihre letzten Truppen aus dem Irak abzuziehen. Irakische Regierungsvertreter denken derzeit darüber nach, ob sie Washington erlauben sollen, einige tausend US-Truppen im Lande zu belassen.

Mark Toner, Vizepressesprecher des US-Außenministeriums, erklärte gegenüber IPS: "Wir unterstützen die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, die Krise in Ashraf zu lösen." In dem Camp leben derzeit etwa 3.300 Iraner.

Bisher hatte die MEK-Führung den Lagerinsassen strikt untersagt, beim UNHCR vorzusprechen beziehungsweise in Abwesenheit von MEK-Vertretern mit dem UN-Hilfswerk in den Dialog zu treten. Die Oppositionsgruppe ist bekannt dafür, dass sie ihren Mitgliedern blinden Gehorsam abverlangt. Nach Aussagen ehemaliger MEK-Mitglieder würden viele Iraner nur allzu gern das Ashraf-Flüchtlingslager verlassen, würden von der MEK jedoch gegen ihren Willen dort festgehalten.

Die Übereinkunft mit dem UNHCR ist ein erster notwendiger Schritt, um das Lager schließen zu können. "Wir stehen nun vor der Herausforderung, Staaten zu finden, die die Menschen aufnehmen wollen", erläuterte Cochetel. "Die Wahrscheinlichkeit, dass sie im Irak bleiben können, ist gering."

Die derzeitige, von Schiiten und Kurden dominierte Regierung hatte der Einrichtung des Camps nur auf Druck von USA und anderen Ländern zugestimmt. Die irakische Führung lehnt die MEK ab, weil sich diese mit dem ehemaligen irakischen Machthaber Saddam Hussein verbrüdert und an dem brutalen Vorgehen gegen irakische Kurden und Schiiten nach dem Golfkrieg 1991 beteiligt hatte.

Die damalige US-Regierung von George W. Bush hatte nach dem Einmarsch der USA in den Irak zunächst zugesagt, die Menschen in Ashraf zu feindlichen Kämpfern zu erklären. Doch stattdessen wurde das Lager unter US-Schutz gestellt. 2008 kam das Camp wieder unter irakische Kontrolle. Seither marschieren irakische Truppen immer wieder in das Lager ein, um die Menschen zum Auszug zu bewegen. Bei den daraus resultierenden Zusammenstößen wurden Dutzende Menschen getötet.

Trita Parsi vom 'National Iranian American Council', einer Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Washington, ist überzeugt, dass in der Ashraf-Flüchtlingsfrage ein Durchbruch kurz bevorsteht. Allerdings räumte er ein, dass es nach wie vor unklar sei, ob die MEK-Führung allen Lagerinsassen erlauben wird, den Flüchtlingsstatus zu beantragen. "Hoffen wir, dass es den Lagerinsassen vergönnt ist, dem UNHCR ihre Lebensbedingungen in Ashraf zu schildern."

Hunderte Iraner konnten unter Aufsicht des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz in den letzten acht Jahren in ihr Heimatland zurückkehren. Diejenigen, die im Irak geblieben sind, wollen wegen der vielen Übergriffe auf iranische Oppositionsgruppen seit den umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2009 nicht zurück.

Die marxistisch-islamistische PEK hatte an der Revolution 1979 zum Sturz des Schahs Reza Pahlawi mitgewirkt, unterlag jedoch im Machtkampf mit stärker islamistisch ausgerichteten Fraktionen. Im Iran ist der Rückhalt für die Gruppe verschwindend gering. Das hat vor allem damit zu tun, dass sich die PEK im Iranisch-Irakischen Krieg von 1980 bis 1988 auf die Seite des Iraks geschlagen hatte. In den darauf folgenden Jahren ließ sie im Iran unter Saddam Hussein prominente Regierungsbeamten umbringen und Attentate durchführen, denen auch sechs US-Bürger zum Opfer fielen. Seit 1997 steht die MEK auf der Terroristenliste des US-Außenamtes.

Nach eigenen Angaben hat die MEK dem Terrorismus inzwischen abgeschworen und folgt einem demokratischen Kurs. Allerdings betreibt die Gruppe eine Art Personenkult um ihre in Paris lebende politische Ikone Mariam Rajavi. Der Verbleib von Rajavis Mann Massoud, der die Gruppe ins Exil geführt hatte, ist unbekannt.

In den vergangenen Monaten hatten einflussreiche Anhänger der MEK eine aggressive Kampagne gestartet, um zu erreichen, dass die Gruppe von der Terroristenliste gestrichen wird. Für dieses Ziel spannten sie ehemalige hochrangige US-Regierungsvertreter ein, denen sie Zehntausende von US-Dollar bezahlten.

Die MEK argumentiert, dass im Fall, dass die Gruppe von der US-Terroristenliste gestrichen wird, die Menschen in Ashraf in die USA kommen könnten. Doch aus dem US-Außenministerium ist zu hören, dass ein neues US-Gesetz die Einwanderung von Menschen verbietet, die Beziehungen zu ausländischen Terrorgruppen unterhalten oder - was für viele Menschen im Ashraf-Lager zutrifft - von der MEK militärisch ausgebildet wurden.

Auf die Frage, ob sich das UNHCR nun in Europa nach einer Bleibe für die Ashraf-Flüchtlinge umsehen werde, anwortete Cochetel, das von einer ermutigenden Reaktion aus Europa nicht die Rede sein könne. (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Oktober 2011