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ASYL/644: Zur Lage im Kosovo (Der Schlepper)


Der Schlepper Nr. 50 - Frühling 2010
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein

Zur Lage im Kosovo

Von Romani Rose


Stellungnahme des Vorsitzenden des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma zur geplanten Abschiebung von mehr als 10.000 Roma aus Deutschland in den Kosovo.


Vor zehn Jahren, nach dem Ende des Kosovo-Kriegs, sind Roma, Ashkali und Kosovo-Ägypter fast vollständig durch die Kosovo-Albaner vertrieben worden. Jetzt, ein Jahrzehnt später, beabsichtigt die Bundesregierung, entgegen der nachdrücklichen Warnungen von internationalen Institutionen und Organisationen, fast 10.000 Roma in den Kosovo abzuschieben.

Trotz anders lautender Auskunft der Bundesregierung, gibt es nach wie vor täglich Gewalt gegen Roma im Kosovo. Alle internationalen Organisationen und Institutionen berichten über diese alltägliche Bedrohung von Minderheiten, insbesondere Roma. Es steht für den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma außer Zweifel, dass die beabsichtigte Abschiebung von tausenden von Roma in den Kosovo zu neuen scharfen Spannungen zwischen den Minderheiten und den Kosovo-Albanern führen wird, die die Sicherheit der betroffenen Familien extrem gefährden werden.

Für die abgeschobenen Familien gibt es im Kosovo buchstäblich nichts: Es gibt weder eine Infrastruktur auf der Seite der Kosovarischen Regierung, noch gibt es Arbeits- oder Wohnmöglichkeiten. Roma, Ashkali und Kosovo-Ägypter besaßen in der Regel Häuser im Kosovo; unmittelbar nach dem Krieg zerstörten Kosovo-Albaner tausende von Häusern, oftmals ganze Dörfer, um jede Rückkehr der Vertriebenen unmöglich zu machen. In den Städten wurden die Häuser entweder zerstört oder von Albanern besetzt. Für zurückkehrende Familien ist es schlichtweg unmöglich, ihr Eigentum wieder in Besitz zu nehmen - jeder Versuch würde mit unmittelbarer Gewalt beantwortet werden. Ein auch nur annähernd funktionierendes Rechtswesen gibt es im Kosovo nicht.

Besonders für die Kinder der betroffenen Familien ist eine Rückkehr in den Kosovo eine Katastrophe. Seit fast zehn Jahren leben die Familien in Deutschland, viele Kinder sind hier geboren und sprechen weder Albanisch noch Serbisch, für sie ist Deutsch ihre Muttersprache. Das Schulsystem im Kosovo ist in keiner Weise auf Rückkehrer vorbereitet, abgesehen davon, dass Kinder der Roma-Minderheit in den Schulen nicht akzeptiert werden.

Weder die neue Verfassung des Kosovos, noch die neue Gesetzgebung schützen wirksam die Minderheiten des Kosovo - Bosniaken, Kroaten, Gorani, Roma, Ashkali, Egyptians und andere; vielmehr sind einige der neuen Gesetze problematisch für sie. Durch das neue Gesetz für die lokale Selbstverwaltung im Kosovo etwa wurde die proportionale Beteiligung von Minderheiten im öffentlichen Dienst abgeschafft.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma wandte sich an die verantwortlichen Internationalen Organisationen, den UNHCR, die Europäische Union, den Europarat und die OSCE, um seiner Sorge um eine neue Spirale der Gewalt im Kosovo Ausdruck zu verleihen. Ich appelliere an die Bundesregierung und die Länderregierungen, der Sicherheit der betroffenen Menschen Vorrang zu geben und keine Minderheitenangehörigen in den Kosovo abzuschieben!

Die Lage im Kosovo ist für Angehörige der Roma nach wie vor katastrophal und - entgegen der Lageberichte der Bundesregierung - nach wie vor von direkter Bedrohung gekennzeichnet. Es kommt immer wieder zu ethnisch motivierter Gewalt gegen Minderheiten, die von den kosovarischen Polizeibehörden nicht erfasst werden, sei es, weil die Opfer begründete Angst vor Repressalien haben oder die kosovarische Polizei bei solchen Straftaten schlicht nicht tätig wird. Die jüngsten Berichte der OSZE, des UNHCR und auch der UNMIK-Bericht vom September 2009 bestätigen diese Lageeinschätzung. Es ist daher unverantwortlich, angesichts der ohnehin wieder gespannten Lage zwischen den verschiedenen Nationalitäten und Ethnien im Kosovo jetzt - wie beabsichtigt - mehrere tausend Menschen abschieben zu wollen.

In Mitrovica leben Roma seit über zehn Jahren auf von Schwermetallen extrem verseuchtem Gelände; mit der Folge schwerer Gesundheitsschäden. Weder die internationale Gemeinschaft, noch die Regierung des Kosovos haben Anstrengungen unternommen, die Zustände in den Lagern von Mitrovica zu ändern, die der Menschenrechtskommissar des Europarates als schwerwiegendstes humanitäres Menschenrechtsproblem in Europa bezeichnete. Dieses Beispiel zeigt, dass es im Kosovo keinerlei Entwicklung gibt, die eine Rückkehr für Minderheitenangehörige möglich erschienen lässt. In jüngster Zeit sind vielmehr erneut Roma-Familien gezwungen, in diesen Lagern Unterkunft zu suchen, darunter auch abgeschobene Familien aus Deutschland. Roma können im Kosovo bis heute nicht in ihre Heimatgemeinden zurückkehren, weil ihre Häuser zerstört oder von Albanern besetzt sind.

Deutschland hat aufgrund des Völkermords an über 500.000 Sinti und Roma während der Nazi-Zeit in Europa eine besondere Verantwortung gegenüber verfolgten Minderheiten und gegenüber Vertriebenen. Diese besondere Verantwortung hat sich jetzt gegenüber den Roma zu beweisen, die aus ihrer Heimat im Kosovo im Rahmen ethnischer Säuberungen vertrieben wurden und deren Abschiebung aus Deutschland zurück in den Kosovo sie einer unmenschlichen Situation aussetzen würde.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma appelliert an die Bundesregierung und die Regierungen der Länder, das Rückführungsabkommen mit dem Kosovo auszusetzen und den in Deutschland seit zum Teil weit über zehn Jahren lebenden Minderheitenangehörigen aus dem Kosovo dauerhaften Aufenthalt zu gewähren, sowie die Regelungen für den Aufenthalt der aus dem Kosovo vertriebenen Menschen schnell zu korrigieren! Hierzu gehört vor allen Dingen die Änderung der Fristen für die Bleiberechtsregelung, um den langfristig geduldeten Menschen endlich eine gesicherte Perspektive in Deutschland zu verschaffen.

Darüber hinaus fordert der Zentralrat die Fraktionen des Deutschen Bundestages auf, eine Anhörung zur Sicherheitslage der Roma und anderer Minderheiten im Kosovo anzusetzen. Auch sollen dabei die Erkenntnisse der Bundesregierung über die Eigentumsverhältnisse im Kosovo, die Rückgabe von besetzten Häusern und die Entschädigung für die über 14.000 zerstörten Häuser der Minderheiten erörtert werden.


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Quelle:
Der Schlepper Nr. 50 - Frühling 2010, Seite 4-5
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in
Schleswig-Holstein
Herausgeber: Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
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Der Schlepper online im Internet: www.frsh.de/schlepp.htm

Der Schlepper erscheint vierteljährlich als Rundbrief
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2010