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ASYL/598: Zurückzukehren ist etwas anderes als zu bleiben (medico international)


medico international - rundschreiben 02/09

"Zurückzukehren ist etwas anderes als zu bleiben"
Mali: Der Alptraum Abschiebung endet nicht im Herkunftsland

Interview: Nicola Eschen / Ann-Katrin Braun


Mali zählt zu den ärmsten Ländern der Welt; etwa vier Millionen der 13 Millionen Malier leben nicht in ihrer Heimat, geschätzte 150.000 arbeiten ohne Papiere in Europa und sind verstärkt von Ausweisung bedroht. Mahamadou Keita ist Generalsekretär der Association Malienne des Expulsés (AME), der malischen Organisation der Abgeschobenen. Nachdem er selbst viele Jahre in Paris als "Papierloser" gelebt hatte und dann 2005 wieder nach Mali ausgewiesen wurde, trat er 2006 der AME bei. Die Selbsthilfegruppe betreut Menschen, die aus Europa und afrikanischen Ländern abgeschoben wurden, bei ihrer Ankunft in Mali. Sie bietet den Deportierten bis zu drei Tagen Unterkunft und vermittelt den Kontakt zu Familien und zu benötigter Gesundheitsversorgung.


medico: Monatlich kommen zwischen 45 und 50 Ausgewiesene am Flughafen Bamako in Mali an. Was erwartet sie bei ihrer Ankunft?

M. Keita: Ein Abgeschobener hat fünf, zehn, manchmal zwanzig Jahre in Europa verbracht. Dennoch setzt man ihn einfach in ein Flugzeug Richtung Bamako. Dabei gibt es hier für niemanden einen sozialen Beistand. Manchmal kommen Leute an, die psychische Probleme haben. Andere wurden von der Polizei in Europa verletzt oder sind chronisch krank, brauchen zum Beispiel Diabetes-Medikamente. Die malische Polizei steht zwar an der Gangway und nimmt Name und Adresse auf, dann aber überlässt sie den Deportierten sich selbst.

medico: Was ist deine Aufgabe als Mitarbeiter der AME?

M. Keita: Ich stehe jeden Abend am Flughafen und warte auf diejenigen, die abgeschoben wurden. Ich frage sie, wo sie wohnen und versuche ihre Familien zu finden, wenn der Abgeschobene nicht weiß, wie er sie erreichen kann. Wir haben eine formelle Kooperationsvereinbarung mit einem Krankenhaus. Dorthin bringen wir die Kranken. Andere, deren Familien nicht in der Nähe leben, können einige Tage lang bei uns unterkommen. Danach organisieren wir die Fahrt zur Familie. Oft verstehen die Familien nicht, warum ihr Verwandter abgeschoben wurde. Sie denken dann: Vielleicht hat er gestohlen und ist ein Krimineller. Ich übernehme die Vermittlung und erkläre den Familien der Abgeschobenen wie die Gesetzeslage ist. Jeder, der keine Papiere hat, kann abgeschoben werden, so sind die deutschen und die französischen Gesetze. Es gibt keinen Grund, jemanden zu verstoßen, weil er abgeschoben wurde.

medico: Überzeugst du die Familien?

M. Keita: Ja, sie nehmen ihren Verwandten wieder auf. Aber mit der Zeit beklagen sie sich, dass ihr Verwandter kein Geld hat, eine zusätzliche Last sei und im Dorf unnütz. Die Familien üben Druck auf ihn aus, damit er nach Europa zurückkehrt. In solchen Situationen unterstützen wir ihn.

medico: Wollen alle zurück in ihr Dorf?

M. Keita: Die meisten möchten zuerst nicht zurück zu ihrer Familie ins Dorf. Ich gebe ein Beispiel. Ich selbst habe 14 Jahre in Paris verbracht. Dort gab es Elektrizität. Ich konnte nicht sofort in ein Dorf gehen, in dem es noch nicht einmal Licht gibt. Das geht vielen so, denke ich. Dazu kommt die Scham. Im Dorf kennt jeder jeden, man fragt sich: Der Typ wurde doch nach Europa geschickt, warum ist er wieder da? Plötzlich findet man sich allein wieder. Ich kenne einige, die in ihre Gemeinden zurückkehrten und sich dort verzweifelt das Leben nahmen.

medico: Die AME möchte die psychologische Betreuung intensivieren. Worauf reagiert ihr dabei?

M. Keita: Viele Menschen, die abgeschoben werden, haben psychische Schwierigkeiten: Jemand läuft barfuß herum und ruft: hallo, hallo. Ein anderer lacht vor sich hin oder telefoniert mit sich selbst. Es sind Menschen, die ihre Abschiebung nicht verkraften. Ohne Hilfe lässt sich eine Abschiebung kaum verarbeiten. Wir erklären ihnen die Situation, sprechen Mut zu, helfen dabei, die Zeit rumzukriegen. Bisher haben wir für die psychische Betreuung keinen offiziellen Partner. Wir sind darüber aber mit medico im Gespräch.

medico: Wie sind die Zukunftsaussichten der Abgeschobenen?

M. Keita: Der Großteil hat in Europa in einem Beruf Erfahrungen gesammelt. Ich selbst habe in Paris in der Gastronomie gearbeitet. Wenn ich das Geld hätte, könnte ich in Bamako ein Restaurant eröffnen. Die Schwierigkeit liegt woanders. Ich bin nicht zur Schule gegangen, ich habe keinen Abschluss. So ist es schwierig, zum Beispiel in einem Restaurant eine Anstellung zu finden. Sonst funktioniert das über persönliche Bekanntschaften. Was den Abgeschobenen fehlt, ist eine Arbeitsmarktpolitik in Bamako.

medico: Gibt es einen Rechtsbeistand?

M. Keita: Wir haben einen Rechtsanwalt, mit dem wir zusammenarbeiten. 2007 wurden dank seiner Beratung sechs Personen zurück nach Paris gelassen. Sie waren ohne richterlichen Beschluss abgeschoben worden....

medico: Eine wirklich kleine Zahl...

M. Keita: Ja, es ist wirklich nicht einfach. Wir unterstützen die Menschen dabei, ihre Rechte einzufordern, wenn der französische oder der deutsche Staat sie abgeschoben hat. Die AME kann in Mali helfen, aber nicht in Frankreich.

medico: Arbeitet die AME auch auf der politischen Ebene?

M. Keita: Die Zusammenarbeit mit medico hat uns auch die Kapazitäten eröffnet, politisch Einfluss zu nehmen. Die AME wendet sich an das politische Establishment Malis, um den Parlamentariern die Bedingungen der aus Europa Abgeschobenen verständlich zu machen. Allmählich finden wir auch Gehör. So hat dank unserer Aktionen und unserer Lobbyarbeit das CIGEM, das Centre d'Information et de Gestion des Migrations, das von der EU in Bamako gegründet wurde, begonnen, seine Politik zu revidieren.

medico: Welche Absicht verfolgt das "EU-Zentrum für Migrationsfragen" in Bamako?

M. Keita: Ziel der Europäischen Union war es, eine Behörde in Bamako zu schaffen, die die Migration eindämmt. Mali ist ein Transitland, viele West- und Zentralafrikaner, die in andere Länder emigrieren, reisen über Mali. Das Konzept war, Arbeitsplätze zu schaffen, um illegale Migration zu verhindern.

medico: Wie konnte diese Behörde ihre Politik ändern, da sie doch von der EU finanziert wird?

M. Keita: Das CIGEM sollte die Migration verhindern, also jene zurückhalten, die ausreisen wollen. Das aber wird niemals gelingen. Das Zentrum in Bamako wurde vor mittlerweile neun Monaten eröffnet. Seitdem haben sich 600 bis 700 Personen registriert und niemand weiß, was mit ihnen denn passieren soll. Irgendwann verstand man offenbar im CIGEM, dass die gleichen Menschen, die abgeschoben werden, auch jene sind, die illegal wieder in die EU einreisen. Das Programm vollzog eine Kehrtwende. Man gestand sich ein, dass man sich zuerst um die Zurückgeschickten kümmern sollte. Außerdem haben die meisten Abgeschobenen in Europa Berufe gehabt. Warum sollte man sich deren Fähigkeiten nicht zunutze machen? Daher will sich das CIGEM jetzt wie die AME auch um Abgeschobene kümmern. Die EU-Behörde hat uns und zehn weiteren Organisationen Gelder und Mitarbeit angeboten. Wir haben das aber abgelehnt, denn was CIGEM uns zahlen will, wird zum Großteil von medico getragen. Wir werden gegenüber dieser Behörde keine Rechenschaftsberichte über unsere Projekte ablegen. Denn es ist klar, dass das CIGEM keinen Kampf für die Abgeschobenen führt. Wir bleiben unabhängig und lassen uns nicht vereinnahmen.

medico: Hat die globale Finanzkrise Auswirkungen in Mali?

M. Keita: Eine gute Frage: Bei uns weiß kaum jemand von dieser Wirtschaftskrise. Wir leben ständig in einer Krise. Manchmal versuche ich zu erklären, was die Krise in Europa bedeutet, aber es ist eine europäische Krise. Wir spüren nur, wie die europäische Migrationspolitik härter wird.

medico: Du hast selbst 14 Jahre lang in Paris gelebt. Würdest du zurückkehren, wenn es möglich wäre?

M. Keita: Am Flughafen versuche ich täglich den Abgeschobenen verständlich zu machen, dass es ein Leben nach der Deportation gibt. Europa ist nicht die Zukunft und es ist auch kein Eldorado, man lebt auch woanders weiter. Diese Erfahrung möchte ich anderen Abgeschobenen vermitteln. Zurückkehren ist etwas anderes als zu bleiben. Ich habe keine Lust mehr, nach Paris zu gehen um dort zu arbeiten. Ich bin jetzt 39 Jahre alt. In Paris hätte ich weder Arbeit und Unterkunft, noch Papiere. Unter solchen Umständen möchte ich nicht dorthin zurück.


Projektstichwort

Die Association Malienne des Expulsés (AME) kümmert sich um Abgeschobene und Abgewiesene aus Europa und dem Maghreb, aber auch aus anderen afrikanischen und arabischen Staaten, die am Flughafen von Bamako oder an der algerisch-malischen Grenze ankommen und medizinische Ersthilfe, eine Notunterkunft, Rechtsbeistand oder das Fahrgeld bis in ihren Heimatort benötigen. In nächster Zeit versucht der medico-Partner in Bamako verstärkt, die Öffentlichkeit durch Radiosendungen, Stadtteilversammlungen und Lobbyarbeit im malischen Parlament über die europäischen Abschiebepolitiken aufzuklären und für das Recht auf Bewegungsfreiheit zu gewinnen.


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Quelle:
medico international - rundschreiben 02/09, Seite 8-11
Herausgeber: medico international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juli 2009