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LANDWIRTSCHAFT/1409: Die globale Landwirtschaft besser verstehen (FR)


ForschungsReport Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz 2/2009
Die Zeitschrift des Senats der Bundesforschungsanstalten

Die globale Landwirtschaft besser verstehen
Agrarökonomen betreiben internationales Netzwerk agri benchmark

Von Yelto Zimmer, Claus Deblitz, Katja Seifert (Braunschweig)


Die internationale Landwirtschaft ist durch eine zunehmende Globalisierung der Agrarproduktion, insbesondere durch den Abbau von Handelsbeschränkungen, gekennzeichnet. Gleichzeitig gibt es eine neue Dynamik im Agrarsektor infolge der steigenden zahlungskräftigen Nachfrage nach Lebensmitteln und des weltweiten Ausbaus der Bioenergieproduktion. Vor diesem Hintergrund wird es für die Politik, das Agribusiness sowie für praktische Landwirte immer wichtiger zu verstehen, wohin sich die einzelnen Regionen entwickeln und welche Entwicklungspotenziale bestehen. Das von Agrarökonomen betriebene internationale Netzwerk agri benchmark und die dort erhobenen Betriebsdaten liefern ein hervorragendes Navigationsinstrument für ein vertieftes Verständnis dieser Entwicklungen.


Das Netzwerk agri benchmark (s. Infokasten unten) untersucht und beantwortet folgende Fragen für die wichtigsten Agrarprodukte und Produktionsstandorte der Welt:

• Wie wird Landwirtschaft betrieben (Produktionssysteme und -methoden)?
• Wie hoch sind die Produktionskosten und Rentabilitäten im internationalen Vergleich?
• Welches sind die Ursachen für Wettbewerbsvor- oder -nachteile?
• Welche Zukunftsperspektive hat die Landwirtschaft an den verschiedenen Standorten?

Hierzu werden an den Untersuchungsstandorten typische Modellbetriebe gebildet (s. Infokasten auf Seite 34) und mit international einheitlichen Methoden analysiert.


Einheitliche Methodik bringt Vorteile für die Nutzer

Diese Herangehensweise stellt sicher, dass die erhobenen Daten vergleichbar sind. Ein weiterer Vorzug des agri benchmark-Konzepts im Vergleich zu vorhandenen offiziellen betriebswirtschaftlichen Daten ist die Existenz eines Preis- und Mengengerüsts. Wenn zum Beispiel in einem Land hohe Düngemittelkosten pro Tonne Ernteprodukt ermittelt werden, ist es für das agri benchmark-Netzwerk möglich, unmittelbar zu sagen, ob dies an einem hohen Düngemitteleinsatz liegt oder aber an hohen Düngemittelpreisen. So können tatsächliche Ursachen für Kostenvor- oder -nachteile von Standorten bzw. Betriebstypen identifiziert werden.

Im Folgenden werden aus den Bereichen agri benchmark Cash crop und agri benchmark Beef exemplarische Fallstudien präsentiert.


agri benchmark

agri benchmark ist ein weltweiter Verbund von Agrarökonomen, Beratern, Landwirten und wird vom Institut für Betriebswirtschaft des Johann Heinrich von Thünen-Instituts (vTI) und der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) gemeinsam koordiniert. agri benchmark Beef umfasst derzeit 24 Länder, agri benchmark Cash Crop 23 Länder. Die jährlich erscheinenden Berichte ("Beef Report" und "Cash Crop Report") können auf der Internetseite www.agribenchmark.org bestellt werden.


agri benchmark Cash crop

Ende August 2009 trat die deutsche Biomasse-Nachhaltigkeitsverordnung in Kraft. Diese regelt, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit flüssige Biomasse, die für die Strom- und Wärmeerzeugung verwendet wird, als förderungswürdig eingestuft wird. Zum Beispiel darf der Anbau der verwendeten Biomasse nicht auf Flächen mit hohem Naturschutzwert stattfinden. Zudem muss die Verwendung der Biomasse dazu führen, dass die am Ende genutzte Energie - Wärme oder Strom - gegenüber einer Bereitstellung auf Basis fossiler Energieträger zu einer Verminderung der Emission von Treibhausgasen um mindestens 35% führt; ab 2017 beträgt dieser Schwellenwert 50%. Eine gleichlautende Regelung findet sich in der sogenannten Nachhaltigkeitsrichtlinie der EU für Biokraftstoffe. Mit Blick auf diese Qualifizierung von Rohstoffen ist insbesondere die Stickstoffproduktivität eine sehr entscheidende Größe: Wie viele Einheiten Ertrag werden pro Einheit Stickstoff-Einsatz erzeugt. Hintergrund ist der Umstand, dass bei der Herstellung und beim Einsatz von Stickstoffdüngern in Ackerkulturen Lachgas (N2O) - ungefähr 300-mal so treibhauswirksam wie CO2 - freigesetzt wird. Das heißt, Produktionssysteme mit einer geringen Stickstoffproduktivität könnten es in Zukunft schwer haben, ihre Produkte in einer solchen Verwendungsrichtung zu vermarkten. Da in der EU etwa die Hälfte des Rapses in die Bioenergieverarbeitung geht, wäre dies ein relevanter Nachteil für derartige Produkte.

Deshalb hat agri benchmark die physische Stickstoffproduktivität für den Rapsanbau in 19 typischen Betrieben aus neun Ländern der EU analysiert. Da es theoretisch möglich wäre, mit einem nahezu vollständigen Verzicht auf die Stickstoffdüngung - und damit verbunden mit einem deutlichen Ertragsrückgang - die höchste Stickstoffproduktivität zu erzielen, macht es nur Sinn, beide Größen simultan zu betrachten (Abb. 1).

Das der Intuition widersprechende Resultat dieser Berechnungen ist, dass mit steigendem Ertrag ein Anstieg der durchschnittlichen Stickstoffproduktivität festzustellen ist: Auf der Grundlage der Regressionsgleichung führt ein Anstieg des Ertrages um eine Einheit zu einem Anstieg der Produktivität um über 20%.

In der Spitze erreichen die beiden dänischen Betriebe bei Erträgen von über 4,5 t/ha einen durchschnittlichen Ertrag von über 25 kg pro kg Stickstoffeinsatz. Am anderen Ende der Skala liegt der rumänische Betrieb mit knapp 2 t/ha und einer Stickstoffproduktivität von unter 12.

Leider lassen sich keine Zusammenhänge mit der Lage der Betriebe (z.B. Nord vs. Süd oder feuchte vs. trockene Standorte) erkennen. Auch finden sich Betriebe mit oder ohne Pflugeinsatz an allen Punkten der Verteilung. Spätestens im Rahmen der nächsten jährlichen agri benchmark-Konferenz in Australien wird dieses Thema mit den internationalen Partnern weiter diskutiert.

Sollten sich diese Zahlen auch in den kommenden Jahren bestätigen, könnte dies zu einem Wettbewerbsvorteil für die ertragsstarken Standorte in der EU werden.


Was ist ein "typischer Betrieb"?

Die Etablierung eines typischen Betriebs erfolgt in folgenden Schritten:

Auswahl der relevanten Region innerhalb eines Landes:
Wo werden die fraglichen Agrarprodukte schwerpunktmäßig produziert?
Welche Struktur hat ein typischer Betrieb in dieser Region
(Größe, Produktionsprogramm)
Mit welchem Produktionssystem werden die Produkte produziert
(Intensitäten, eingesetzte Technik, Arbeitsinput)?
Welche Kosten und Erlöse fallen an und wie ist die Rentabilität der einzelnen Produkte und des gesamten Betriebes?

Diese Daten werden von den wissenschaftlichen Partnern des agri benchmark zunächst auf Grundlage von offizieller Agrarstatistik sowie in Abstimmung mit der Agrarberatung in den betreffenden Regionen erhoben. In einem zweiten Schritt wird - je nach Entwicklungsstand des Netzwerkes in dem betreffenden Land - im Rahmen von Workshops mit den Beratern sowie Landwirten aus den Regionen (sogenannte Panels) der endgültige typische Betrieb mit allen wesentlichen Charakteristika definiert.


agri benchmark Beef

Die Analyse von Zeitreihendaten identischer Betriebe ist seit zwei Jahren Bestandteil der Aktivitäten von agri benchmark Beef. Abbildung 2 zeigt für eine Auswahl der 58 im Vergleich befindlichen Betriebe die Entwicklung der Vollkosten in der Rindermast als Beispiel (in US$).

Höhere Futtermittelpreise und Futterkosten sind ein Hauptgrund für die Kostensteigerungen und spiegeln den Effekt der in 2007 und 2008 stark gestiegenen Energiepreise, der Angebotsknappheiten und Spekulationen auf den Rohstoffmärkten wider. Obwohl die Futtermittelpreise im Jahr 2008 ihren Höhepunkt erreichten, war der Anstieg der Kosten in jenem Jahr geringer als im Vorjahr. Die Gründe hierfür sind, dass a) der Preisanstieg bereits im Jahr 2007 begonnen hatte, b) die Preise nach ihrem Höhepunkt im ersten Halbjahr 2008 wieder stark fielen und c) einige Betriebe kostensenkende Anpassungen der Futterrationen vornahmen. Auf der anderen Seite stiegen in den meisten Ländern die Zukaufpreise für Lebendvieh. Mit Ausnahme der USA und einigen Regionen in Australien konnten diese aber zumindest teilweise durch ein Ansteigen der Rindfleischerlöse kompensiert werden. Mit wenigen Ausnahmen zeigten die Rindfleischpreise einen stabilen bzw. aufwärts gerichteten Trend. Die Preisentwicklung für Lebendvieh zeigt generell ebenfalls nach oben, sie ist aber weniger einheitlich als bei Rindfleisch und zeigt sowohl eine höhere Variation als auch häufigere Richtungswechsel.

Hinsichtlich der Entwicklungen in der Mutterkuhhaltung lässt sich folgendes festhalten: Weil Mutterkuhsysteme überwiegend auf Beweidung basieren, war der Einfluss der oben geschilderten Preisentwicklungen geringer als in der Rindermast. Allerdings ist auch hier ein Aufwärtstrend der Kosten und Erlöse in US$ zu beobachten. Wie in der Rindermast war die Aufwertung der meisten Währungen gegenüber dem US$ (außer Argentinien, Südafrika und Großbritannien) ein Grund, aber auch die meisten nationalen Preisentwicklungen zeigten aufwärts und verstärkten den Wechselkurseffekt. Auffällig ist, dass - trotz des vorteilhaften Wechselkurses aus U.S.-Sicht - kaum ein Kostenunterschied zwischen den nordamerikanischen und den europäischen Betrieben mit niedrigeren Kosten besteht.

In der Rindermast sind die Unterschiede bei den Kosten in den Vergleichsbetrieben der einzelnen Länder höher als die Unterschiede bei den Erlösen. Die Kosten reichen von mehr als 1.000 US$/100 kg Schlachtgewicht in Österreich und Norwegen bis zu 200 bis 300 US$/100 kg Schlachtgewicht in Südamerika und Südafrika. Die Kosten in Argentinien und Brasilien sind stärker gestiegen als in anderen Ländern. Das Kostenniveau in den "Hochkostenländern" ist etwa 2,5-mal höher als in den "Niedrigkostenländern". Dieser Unterschied ist erheblich, aber deutlich geringer als in der Vergangenheit, wo der Faktor zwischen 3 und 4 lag.

Die deutschen Betriebe wären damit im Vergleich zu Überseeländern bei einem Wegfall des Außenschutzes nach wie vor nicht wettbewerbsfähig. Im europäischen Vergleich liegen die Kosten der untersuchten deutschen Betriebe jedoch nicht höher als die ihrer europäischen Konkurrenten.


vTI
Dr. Yelto Zimmer, Dr. Claus Deblitz, Dr. Katja Seifert,
Johann Heinrich von Thünen-Institut,
Institut für Betriebswirtschaft,
Bundesallee 50, 38106 Braunschweig.
E-Mail: yelto.zimmer@vti.bund.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. 1: Einfluss des Rapsertrags auf die N-Produktivität
Abb. 2: Vollkosten der Rindfleischproduktion 2005 bis 2008 für ausgewählte typische Betriebe (in US$)
Abb. 3: agri benchmark hat die Stickstoffproduktivität für den Rapsanbau in 19 typischen Betrieben der EU analysiert.
Abb. 4: Bei Wegfall des Außenschutzes wären die deutschen Rindermastbetriebe im Vergleich zu Überseeländern nicht wettbewerbsfähig.


Diesen Artikel inclusive aller Abbildungen finden Sie im Internet im PDF-Format unter:
www.forschungsreport.de


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Quelle:
ForschungsReport Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz
2/2009, Seite 33 - 35
Herausgeber:
Senat der Bundesforschungsanstalten im Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Redaktion: Dr. Michael Welling
Geschäftsstelle des Senats der Bundesforschungsinstitute
c/o Johann Heinrich von Thünen-Institut
Bundesallee 50, 38116 Braunschweig
Tel.: 0531/596-1016, Fax: 0531/596-1099
E-Mail: michael.welling@vti.bund.de
Internet: www.forschungsreport.de, www.bmelv-forschung.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Februar 2010