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LANDWIRTSCHAFT/1406: China - Strukturwandel im Land der Mitte (FR)


ForschungsReport Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz 2/2009
Die Zeitschrift des Senats der Bundesforschungsanstalten

Strukturwandel im Land der Mitte - die Bauern halten nicht Schritt
Forschergruppe untersucht Zukunftsperspektiven im ländlichen China

Von Stephan Brosig (Halle)


Das wirtschaftliche Auseinanderdriften von Stadt und Land in China ist ein Pulverfass, vor dem nicht nur die chinesische Regierung gehörigen Respekt hat. Seine Entschärfung ist auch für die Lösung weltweiter ökonomischer und ökologischer Aufgaben von Belang. 15 Wissenschaftler der am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO) angesiedelten Forschergruppe "Economic Developent and Social Equilibrium in Rural China" forschen - gut vernetzt mit ihren internationalen Partnern - über ökonomische Wirkungszusammenhänge und Zukunftsperspektiven im ländlichen China.


Eine anerkannte Errungenschaft der chinesischen Revolution sind die Fortschritte bei der Alphabetisierung. Noch 1950 ein Privileg einer dünnen Oberschicht, besitzen heute über 90% der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter eine Schulbildung von mindestens neun Jahren.

Die Chancen auf mehr als neun Jahre Schulbildung liegen jedoch vor allem bei denjenigen, deren Eltern schon eine höhere Schulausbildung genossen haben. Dies zeigen Forschungsergebnisse der Entwicklungsökonomin Kelly Labar, Mitglied der Internationalen Forschergruppe "Economic Developent and Social Equilibrium in Rural China" am IAMO in Halle (Saale). Die Wissenschaftlerin untersucht die Durchlässigkeit des chinesischen Bildungssystems für die Sprösslinge bildungsferner Familien. Während in den Städten Chinas inzwischen ein differenziertes Schulsystem existiert, sind in den ländlichen Regionen weiterführende Schulen dünn gesät, und es erfordert von den Familien erhebliche Anstrengungen, ihren Kindern den Besuch einer solchen Schule zu ermöglichen.

Für ihre Analysen wertet Frau Labar Haushaltserhebungen des chinesischen Gesundheitsministeriums aus. Dabei ist es eine besondere methodische Herausforderung, zwischen den Einflüssen elterlicher Schulbildung und anderen Faktoren, wie der Beschäftigung der die Eltern und ihrem Einkommen, zu differenzieren.


Zauberwort Einkommensdiversifizierung

Hier liegt die Schnittstelle zu einem weiteren Forschungsprojekt innerhalb der Chinagruppe: Ein Team von drei Agrarökonomen untersucht in Zusammenarbeit mit Partnern aus China, den USA und den Niederlanden, unter welchen Voraussetzungen sich chinesische Bauern und deren Familien Erwerbsquellen außerhalb der Landwirtschaft erschließen können. Dabei wurde die Schulbildung als einer der Schlüsselfaktoren für ‹Einkommensdiversifizierung‹ identifiziert. Dieser Begriff zieht sich wie ein Zauberwort durch die entwicklungsökonomische Literatur. Er bezeichnet den ersten Schritt, der den ländlichen Strukturwandel von der Agrar- zur Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft einleitet.

Dieser Übergang ist in China überfällig. Noch sind 45% der Erwerbsbevölkerung landwirtschaftlich beschäftigt, müssen sich aber einen Anteil von lediglich 11% am Volkseinkommen teilen, das zudem zwischen den marktnahen Agrarproduzenten in den fortschrittlichen Küstenregionen und den Subsistenzbauern der dünn besiedelten westlichen Provinzen sehr ungleich verteilt ist. So reflektiert selbst das drastische Auseinanderdriften der Pro-Kopf-Einkommen zwischen städtischer und ländlicher Bevölkerung (s. Abb. 1) nur einen Teil der Ungleichheit.

An den insgesamt beeindruckenden Erfolgen der Armutsbekämpfung in den vergangenen 30 Jahren wirtschaftlicher Liberalisierung haben viele ländliche Regionen nur wenig Anteil gehabt. Auch haben ökologische Folgen der industriellen Entwicklung und der Intensivierung der Landwirtschaft die Lebensgrundlagen und die Lebensqualität vielerorts verschlechtert. Schließlich konnte die Anpassung der Verwaltungsstrukturen nicht immer mit den sich rasant verändernden wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen Schritt halten, so dass Entwicklungsprogramme schlecht koordiniert und ihre Erfolge durch Einzelinteressen von Entscheidungsträgern und Korruption gefährdet wurden. Die Belastungen der ländlichen Bevölkerung haben sich in den letzten Jahren vielerorts in sozialen Unruhen entladen, und die chinesische Regierung hat, vermutlich nicht zuletzt deshalb, in ihrem aktuellen Fünfjahresplan der ländlichen Entwicklung höchste Priorität eingeräumt.


Inhaltliches Spektrum der Forschergruppe

Kernpunkte des chinesischen Regierungsprogramms zur Schaffung des "Neuen Sozialistischen Ländlichen Raums" korrespondieren mit Forschungsthemen der Gruppe am IAMO: Effiziente, ökologisch nachhaltige Landwirtschaft, Erschließung außerlandwirtschaftlicher Erwerbsquellen in agrarisch geprägten Regionen, Verbesserung ländlicher Lebensbedingungen und der Infrastruktur. Im Einzelnen beleuchten die Forschungsarbeiten Themen wie die Einflüsse von Flurbereinigung, Grundstücksverkehrsrecht und Agrarhandelspolitik auf die landwirtschaftliche Produktion. Andere Teilprojekte untersuchen den Zugang zu Schulbildung in ländlichen Regionen und die Chancen ethnischer Minderheiten am Arbeitsmarkt. In die multidisziplinäre Forschergruppe, zu der Wirtschaftswissenschaftler, rarökonomen und Geographen gehören, sind neben den Wissenschaftlern des IAMO Forscher aus China, den USA, Belgien und Frankreich in das Projekt eingebunden. Weiterer Projektpartner ist das Pekinger Büro der Weltbank.


Internationale Vernetzung und field work

Von Beginn an standen die 15 Wissenschaftler am IAMO in engem Kontakt zu ihren Partnern, ohne deren Kooperation die Arbeit in dieser Qualität kaum möglich wäre. Doktorand Tursinbek Sultan befragt derzeit in den Provinzen Zhejiang und Sichuan Landwirte, Händler und Verwaltungsvertreter zu ihren Erfahrungen mit genossenschaftlicher Organisation von Kleinbauern. Überbetriebliche Zusammenarbeit gilt als einer der Schlüssel, durch die auch Kleinbauern Vorteile erzielen können, zum Beispiel durch Rationalisierung der Produktion oder beim Auftreten gegenüber Marktpartnern der zuliefernden wie der abnehmenden Seite. Sultan will herausfinden, in welchen Bereichen genossenschaftliche Zusammenarbeit besonders vorteilhaft ist und welche vertraglichen und organisatorischen Strukturen empfohlen werden können.

Für ihre ebenfalls zurzeit laufende Befragung in der Provinz Yunnan erheben Daniel Müller, Zhanli Sun und Jens Frayer Daten von 350 Haushalten, um zu analysieren, welche Auswirkungen staatliche Agrarumweltprogramme auf die Lebensbedingungen der Menschen und die Landnutzung haben.

Ausgangspunkt der Untersuchungen ist eins der weltweit größten Agrarumweltprogramme. So will die chinesische Regierung bis 2010 im "Nutzungskonversionsprogramms für hängiges Gelände" 14,7 Millionen Hektar Ackerfläche und 17,3 Millionen Hektar Brachland aufforsten. Ob diese Programme wirklich die gewünschten Effekte haben, ist dabei vor allem von der Art der Umsetzung abhängig. Misserfolge sind an der Tagesordnung, wenn die betroffene ländliche Bevölkerung nicht ausreichend informiert und in die Umsetzung einbezogen wird, wenn Subventionszahlungen ausbleiben oder die Programmkosten den wirtschaftlichen und ökologischen Nutzen übersteigen. Die Ergebnisse der Forschung sollen am Ende helfen, Hinweise zu geben, wie Agrarumweltprogramme künftig noch erfolgreicher und effizienter gestaltet werden können. Globale ökologische und wirtschaftliche Implikationen, die letztlich auch Deutschland berühren, liegen angesichts der Größe Chinas auf der Hand. Für die Befragung haben die Bearbeiter durch ihren Projektpartner Prof. Jianchu Xu und seinem Team vom Kunming Institute of Botany der Chinese Academy of Sciences wertvolle Hilfe bekommen. Gerade wenn in China sensible sozioökonomische Daten erhoben werden, ist Unterstützung durch lokale Partner in inhaltlicher sowie rechtlicher Hinsicht unverzichtbar.

Ein junges, aber dennoch bereits international sehr angesehenes agrarökonomisches Forschungsinstitut ist das Center of Chinese Agricultural Policy (CCAP) in Peking. Zwei Forschungsprojekte des CCAP werden in Kooperation mit der Forschergruppe des IAMO bearbeitet: Zum einen wendet der IAMO-Wissenschaftler Dr. Hai Lin ein am CCAP entwickeltes Modell des Weltagrarhandels an, um Auswirkungen der Europäischen Gemeinsamen Agrarpolitik auf den Agrarsektor und die Konsumentenwohlfahrt in China zu quantifizieren. Die bis 2013 anstehenden Reformschritte, im EU-Jargon als Healthcheck-Reform bezeichnet, verringern Produktionsanreize für europäische Bauern. Dies entlastet die Weltmärkte, zum Beispiel für Getreide und Ölsaaten, und führt dort in der Tendenz zu höheren Preisen. Chinesische Landwirtehaushalte profitieren hiervon, weil es ihre pflanzlichen Produkte aufwertet, ihr Einkommen damit steigert. Andererseits steigt auch der Preis von Futtermitteln für ihr Vieh, was die Gewinne und damit Einkommen verringert. Auch als Konsumenten sind sie (wie die nicht landwirtschaftlich tätigen Haushalte) durch höhere Nahrungsmittelpreise tendenziell schlechter gestellt. Welcher Effekt letztlich überwiegt, ist eine Frage, die nur empirisch geklärt werden kann. Die Modellergebnisse von Herrn Lin prognostizieren einen, wenngleich geringen, negativen Gesamteffekt der Healthcheck-Reformen auf das reale Pro-Kopf Einkommen chinesischer Landwirte.

Das zweite CCAP-Projekt mit Beteiligung des IAMO ist das "Rural Education Action Project" (REAP), in das auch mehrere renommierte chinesische Universitäten sowie die Stanford Universität involviert sind. Es misst über einen Zeitraum von zunächst zehn Jahren die Effekte individueller Stipendien, bzw. finanzieller Unterstützung für Schulen und Internate auf den schulischen und späteren beruflichen Erfolg ländlicher Jugendlicher. Für diese Zwecke werden Spenden aus der Wirtschaft eingeworben und nach einem streng wissenschaftlich kontrollierten Vergabeverfahren (‹randomized intervention‹) in einer Weise verteilt, die im Anschluss Wirkungsanalysen von bisher in diesem Feld nicht erreichter Stringenz erlaubt. Ab Ende 2009 bekommt die Beteiligung von IAMO-Forschern durch Aufnahme des IAMO ins REAP-Konsortium auch eine formelle Grundlage. Die Ergebnisse dieses Projekts werden dazu beitragen, Investitionen ins ländliche Bildungswesen möglichst effektiv auszugestalten.


Arbeitsweise der Gruppe

Nachdem China als größtes Land, das den Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft vollzieht, 2005 in das Portfolio der Forschungsregionen am IAMO aufgenommen wurde, entstand schnell der Wunsch, den verschiedenen Chinaprojekten mit jeweils unterschiedlicher internationaler Anbindung einen gemeinsamen Rahmen zu geben. Diese Vernetzung kann seit 2008 dank der Förderung durch die Leibniz-Gemeinschaft im Rahmen der Initiative ‹Pakt für Innovation und Forschung‹ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung realisiert werden.

Drei thematische Arbeitsgruppen ‹Socio-ecological and farm organizational dynamics‹, ‹Poverty and income distribution‹ sowie ‹Employment and land rights‹ werden von drei postgraduierten Wissenschaftlern geleitet. Die Arbeitsgruppe als Ganzes trifft sich dreimal jährlich zu einem eintägigen Workshop. "Dabei diskutieren wir informell und sehr offen über den aktuellen Stand und die weitere Vorgehensweise", erläutert Professor Thomas Glauben, Mitglied der Gruppe und geschäftsführender Direktor des IAMO. "Bei den Treffen kommen Forscher mit ganz unterschiedlichen thematischen und methodischen Hintergründen zusammen. Das führt nicht selten zu heftigen Diskussionen über den richtigen wissenschaftlichen Ansatz und die regionsbezogen angemessene Vorgehensweise."

Als sehr wertvoll für die einzelnen Projekte erweist sich auch der gebündelte Erfahrungsschatz der Mitglieder in den Bereichen Datenbeschaffung, Methodik und Forschungskontakte. Bei diesen Treffen bringen regelmäßig auch geladene auswärtige Gäste ihr Fachwissen ein. Nicht zuletzt das konsequente Festhalten am direkten Austausch zeichnet die Arbeit der Gruppe aus.

Info:
Weitere Informationen: www.iamo.de/china-group


IAMO
Dr. Stephan Brosig, Institut für Agrarentwicklung
in Mittel- und Osteuropa,
Theodor-Lieser-Str. 2,
06120 Halle (S.).
E-Mail: brosig@iamo.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb 1: (Grafik) Bei insgesamt beeindruckendem Wirtschaftswachstum ist in China der Einkommensabstand zwischen Stadt und Land gewachsen. Der Bevölkerungsanteil mit Einkommen unterhalb der Armutsgrenze ging drastisch zurück.

Abb 2: Terrassenanbau verringert Bodenerosion beim Reisanbau auf hängigem Gelände, Yunnan

Abb 3: Dr. Zhanli Sun (3.v.l.) befragt Landwirte in der Provinz Yunnan zu den Auswirkungen staatlicher Bodenschutzprogramme auf ihre Situation.

Abb 4: Die Wirkung der Fragmentierung von Agrarflächen auf die ökonomische Effizienz wird von Frau Lili Jia untersucht. Provinz Hebei

Abb 5: Reisernte in Yunnan


Diesen Artikel inclusive aller Abbildungen finden Sie im Internet im PDF-Format unter:
www.forschungsreport.de


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Quelle:
ForschungsReport Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz
2/2009, Seite 4 - 7
Herausgeber:
Senat der Bundesforschungsanstalten im Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Redaktion: Dr. Michael Welling
Geschäftsstelle des Senats der Bundesforschungsinstitute
c/o Johann Heinrich von Thünen-Institut
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Tel.: 0531/596-1016, Fax: 0531/596-1099
E-Mail: michael.welling@vti.bund.de
Internet: www.forschungsreport.de, www.bmelv-forschung.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Februar 2010