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LANDWIRTSCHAFT/1333: Rückkehr zur Erde (research*eu)


research*eu Nr. 57 - Juli 2008
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Rückkehr zur Erde

Von Julie Van Rossom


Die Landwirtschaft befindet sich heute an einem Kreuzweg. Energiepreiserhöhung, Verschmutzung des Wassers durch chemische Produktionsmittel, Verschlechterung der Bodenqualität... Das Ganze vor dem Hintergrund einer sprunghaften Zunahme der Weltbevölkerung. Wie kann die Erde ernährt werden und wie können gleichzeitig die notwendigen Ressourcen der Nahrungsmittelproduktion für die zukünftigen Generationen erhalten bleiben? Die Antwort liefert uns vielleicht die konservierende Landwirtschaft.


Es sind Milliarden und sie leben gleich da unter unseren Füßen, aber ihre Existenz wird meistens völlig ignoriert. Verborgen unter Tonnen von Beton und Asphalt in den Städten oder besprüht mit chemischen Produkten auf dem Land müssen die Bodenbewohner unzählige Angriffe über sich ergehen lassen. Die Situation verschlechterte sich drastisch mit der Einführung der intensiven Landwirtschaft, die die traditionellen landwirtschaftlichen Methoden im Laufe des 20. Jahrhunderts grundlegend verändert hat. Im Boden sollen jedoch nahezu 80 % der lebenden Biomasse unseres Planeten stecken. Alle Regenwürmer zusammen wiegen genauso viel wie alle Tiere an der Oberfläche. Für den Schutz und die Nutzung dieses einzigartigen Biotops an der Grenze zwischen Gesteinswelt und organischer Welt setzt sich die sogenannte konservierende Landwirtschaft oder Conservation Agriculture ein. Hierbei handelt es sich um eine neue Grundidee der Landwirtschaft, die dem Boden seine fundamentale Rolle in der Landwirtschaft wiedergeben soll.


Das unterirdische Ökosystem

Tausendfüßler, Ameisen, Bakterien, Pilze... Alle diese Organismen spielen jeweils eine ganz spezifische Rolle. Die Würmer tragen beispielsweise zur Strukturierung der Böden bei. Ihre Gänge belüften die Erde und erleichtern u. a. das Einsickern von Wasser. Sie nehmen organische Stoffe und Erdpartikel auf, die sie zerkleinern. Daher sind ihre Exkremente für die Entwicklung von Mikroorganismen, die diese wiederum in Nährstoffe und Humus umwandeln, äußerst wichtig.

Zu diesen Mikroorganismen gehören Pilze und Bakterien. Mehr als 80 % der Pflanzen besitzen Mykorrhizen, eine Form der Symbiose von Pilzen und Pflanzen. Als natürliche Verlängerung der Wurzel erhöht die Mykorrhiza die Aufnahmefähigkeit von Nährstoffen, schützt die Pflanze vor Krankheiten, erhöht ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Schadstoffen und erleichtert ihre Anpassung an ungünstige Bedingungen, wie z. B. Wassermangel. Die Bakterien der Familie der Rhizobien fixieren und verringern den Stickstoff in der Atmosphäre, bevor sie ihn in Nitrat umwandeln. Einige von ihnen optimieren die Form und die Anzahl der Wurzelhaare, was auch die Aufnahmefähigkeit der Pflanze erhöht.

Die zahlreichen wechselseitigen Abhängigkeiten, die das Leben dieser Pflanzen, Tiere, Mikroben und Pilze bestimmen, machen aus den Böden und ihrer Biozönose (Gemeinschaft der Lebewesen in einem Biotop) ein komplexes und wertvolles Ökosystem.


Eine verlorene Welt?

Die europäischen Agronomen waren seit Mitte des 20. Jahrhunderts der Ansicht, sie könnten auf diesen Reichtum verzichten und setzten dafür in der intensiven Landwirtschaft chemische Produktionsmittel ein, die auch heute noch breite Anwendung finden. Deren Nachteile hatten sich jedoch schon in den 1930er Jahren in den USA und Kanada mit der Bildung von Sandstürmen, den sogenannten Dust Bowls, gezeigt, die die Anbaukulturen vernichten. Im Kampf gegen die drastische Bodenerosion, die durch jahrzehntelange Monokulturen in Verbindung mit starken Dürreperioden verursacht worden war, musste die Bodenbearbeitung eingeschränkt und schließlich sogar ganz ausgesetzt werden. Das Konzept der Direktsaat wurde in den 1970er Jahren von brasilianischen Bauernverbänden wieder aufgenommen, um die Böden vor der massiven Erosion zu schützen, die infolge einer nationalen Werbekampagne für Monokultur eingesetzt hatte.

Dadurch, dass die Erde stets als einfacher passiver Produktionsträger angesehen wurde, hat die herkömmliche moderne Landwirtschaft ihrem ungeheuren Wert nicht genug Bedeutung beigemessen. Dieses Versäumnis verursacht hohe Kosten. "In Europa haben die Auswirkungen von Landwirtschaft, Industrie und Städtebau dazu geführt, dass etwa 12 % der Böden von Wassererosion betroffen sind. Die für den Erhalt der Fruchtbarkeit der Böden so wichtige organische Materie ist ebenfalls im Rückgang begriffen: 45 % der europäischen Böden enthalten weniger als 2 % Kohlenstoff organischen Ursprungs, was als ein niedriger Gehalt anzusehen ist. Dieses Phänomen trifft besonders stark den Mittelmeerraum, aber auch Frankreich, Großbritannien und auch Deutschland", erklärt Emilio Gonzàlez, Generalsekretär der ECAF, der European Conservation Agriculture Federation. Die Erde verdichtet sich, wird wasserundurchlässig und versalzt. Außerdem wird sie insbesondere durch zahlreiche chemische Produktionsmittel verseucht.


Konservierende Landwirtschaft

Der Nutzen der Biodiversität der Böden rückt jedoch wieder in den Vordergrund. Während die Welternährungsorganisation FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations) die Vorzüge der Knöllchenbakterien (Rhizobien) für den Anbau von Hülsenfrüchten preist, setzen die Forscher des Institut de Recherche pour le Développement - IRD (FR) Regenwürmer ein, um die Produktion der Teeanbaugebiete von Tamil Nadu in Indien wieder anzukurbeln.

Die konservierende Landwirtschaft versucht, die Böden mit integrativen Methoden zu erhalten, indem sie deren Fähigkeit zur natürlichen Selbstregulierung nutzt. Diese Technik verringert die Erosion deutlich und könnte sogar die Fruchtbarkeit der Böden langfristig gewährleisten. Sie stützt sich auf drei Grundprinzipien.

Erstens: keine Störung der Erde. Die mechanische Bodenbearbeitung wird durch die biologische Arbeit von Milliarden von Organismen ersetzt, die im Boden leben. "Der Bauer spart dabei Zeit, Kraftstoff und verringert langfristig die Zufuhr von chemischen Produktionsmitteln. Kurz: Die Produktion kostet ihn weniger Geld", fasst Theodor Friedrich, Landwirtschaftsingenieur der FAO und Spezialist für konservierende Landwirtschaft, zusammen.

Zweitens: die ständige Bodenbedeckung mit Ernteresten oder sogenannten Bodendeckern. So wird die Erde vor äußeren Einwirkungen geschützt und die Entstehung von Mulch begünstigt, einer Schutzschicht aus organischen Stoffen, die die Bildung von Humus beschleunigt und die Erosion deutlich verringert.

Drittens: der Fruchtwechsel, der es dem Boden ermöglicht, sich zu regenerieren. Jede Pflanze neigt nämlich dazu, vor allem einen bestimmten Nährstofftyp aufzunehmen. Durch den regelmäßigen Wechsel der Kulturen nach der Ernte kann der Boden den von der vorherigen Kultur aufgebrauchten Nährstoffvorrat wieder aufstocken. Der Fruchtwechsel verringert die Anzahl der Anwendungen von Pflanzenschutzmitteln, verhindert die chemische Toxizität der Monokultur und reduziert die Wahrscheinlichkeit, dass die Pflanzen gegen die chemischen Behandlungen resistent werden. Und schließlich lassen sich dadurch Krankheiten sowie Schädlings- und Unkrautbefall begrenzen.

"Zahlreiche Forschungsarbeiten laufen in Asien und Afrika, um die optimalen Bedingungen für die konservierende Landwirtschaft zu ermitteln. Die Technik ist besonders für jene Länder interessant, in denen die Bodenerosion generell schwerwiegender ist", erklärt Francis Forest, Verantwortlicher für die Forschungsabteilung Agrarökologie Semis direct sous couvert végétal (SVC) am Centre de Coopération International de Recherche Agronomique pour le Développement - CIRAD (FR).

Das CIRAD war übrigens auch an KASSA (Knowledge Assesment and Sharing on Sustainable Agriculture), beteiligt. Dieses 2006 abgeschlossene europäische Forschungsprogramm untersuchte die verschiedenen Erfahrungen, die weltweit mit der konservierenden Landwirtschaft gemacht wurden, um die Forschungsansätze festzulegen, mit denen die Technik in Europa entwickelt werden kann. Das Projekt stützte sich insbesondere auf die Erfahrungen aus Argentinien und Brasilien, wo laut FAO etwa 60 % des Ackerbodens nach dem Prinzip der konservierenden Landwirtschaft bestellt werden, aber auch auf Erfahrungen aus den USA. "Neben den potenziellen agronomischen Vorteilen der konservierenden Landwirtschaft verbessert diese Technik die Fähigkeit der Böden, das CO2 in der Atmosphäre zu binden, was einen enormen Beitrag im Kampf gegen die globale Erderwärmung leistet", unterstreicht Emilio Gonzàlez.


Ein heikler Übergang...

Aber Rabah Lahmar, Forscher am CIRAD und Leiter des Kassa-Projekts, dämpft die Erwartungen: "Die konservierende Landwirtschaft bietet tatsächlich viele Vorteile, jedoch ist ihre Entwicklung stark von den örtlichen Bedingungen abhängig: natürlichen, technischen, soziokulturellen, wirtschaftlichen, institutionellen und politischen. Daher sind viele Kenntnisse erforderlich, insbesondere in der Übergangsphase von der herkömmlichen zur konservierenden Landwirtschaft, deren Dauer sich von Ort zu Ort unterscheidet."

Außerdem ist während der Umstellung auch nicht alles rosig. "Der Übergang zur konservierenden Landwirtschaft geht mit Ertragsschwankungen in Höhe von 10-15 % einher, was entweder zu Ertragssteigerungen oder wie in Europa, wo man hohe Erträge gewöhnt ist, zu Rückgängen führt. Auch verwenden die Bauern mehr Herbizide, um dem Unkraut besser Herr zu werden", bringt Rabah Lahmar vor. "Das ist übrigens auch ein Streitpunkt, der das Desinteresse einiger landwirtschaftlicher Akteure an der konservierenden Landwirtschaft erklären könnte. Ihre Befürworter glauben, dass das Agroökosystem im Laufe der Zeit sein Gleichgewicht wiederfindet, allerdings gibt es hierfür noch keinen wissenschaftlichen Beweis und man kann nicht mit Gewissheit einen Rückgang beim Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln vorhersagen."

Diese Sichtweise wird von Theodor Friedrich nicht geteilt: "Die praktischen Erfahrungen zeigen, dass fünf bis zehn Jahre nach Einführung der konservierenden Landwirtschaft weniger chemische Produktionsmittel verwendet werden. Was die Erträge angeht, so konnten in 95 % der Fälle keine Einbußen beobachtet werden."


... vor allem in Europa

"Die präzise Ermittlung und Bewertung der Risiken in der Übergangsphase sowie der Langzeitrisiken stellen einen Forschungsansatz dar, der von KASSA dringend empfohlen wird", schließt Rabah Lahmar. Er ist aber nicht der einzige. Das Verständnis der Funktionsweise der Böden bei konservierender Landwirtschaft, die Ermittlung der geeigneten Bodendecker je nach Art der Nutzung, des Bodens und des Klimas, die Einrichtung eines optimalen Fruchtwechselsystems oder die Festlegung der Indikatoren zum Messen der Leistungsfähigkeit der konservierenden Landwirtschaft sind alles noch Unbekannte, denen sich die europäische wissenschaftliche Forschung widmen könnte.

"Bis heute gibt es, soviel ich weiß, keine Projektausschreibung, die sich aus den Ergebnissen von Kassa abgeleitet hat", bedauert Rabah Lahmar. "Stattdessen wurde kürzlich vom Europäischen Parlament eine Studie über die Verschlechterung der Ackerböden und der Methoden, mit denen sich das Problem bekämpfen lässt, in Auftrag gegeben. Daraufhin wurde das Projekt SoCo, Sustainable agriculture and soil conservation, gemeinsam von der Generaldirektion Landwirtschaft und der Gemeinsamen Forschungsstelle (Joint Research Center, JRC) Anfang 2007 ins Leben gerufen.

Ende 2007 hätte eine Rahmenrichtlinie für Böden das Potenzial der konservierenden Landwirtschaft für Europa hervorheben können. Aufgrund des Widerstands von Frankreich, Deutschland und Großbritannien hat der Ministerrat diesen Vorschlag abgelehnt. Andere europäische Maßnahmen könnten jedoch das Interesse für die konservierende Landwirtschaft steigern. "Die neue Wasserrahmenrichtlinie legt jetzt derart strenge Beschränkungen für die Verunreinigungen durch Nitrate und Stickstoff aus landwirtschaftlichen Quellen fest, dass die Bauern sie nur dann einhalten können, wenn sie auf die konservierende Landwirtschaft umstellen, wodurch sich die Menge der auf den Feldern ausgebrachten chemischen Produktionsmittel effektiv senken lässt", sagt Theodor Friedrich voraus. Bleibt zu hoffen, dass eine derartige Bewegung einsetzt, bevor sich der Zustand der Böden in Europa unwiderruflich verschlechtert hat.


LANDWIRTSCHAFT

Aus Sicht der Industrie...

"Die europäische Landmaschinenindustrie steht der konservierenden Landwirtschaft eher ablehnend gegenüber", bemerkt Theodor Friedrich. "Sie scheint nicht unbedingt in die Entwicklung der entsprechenden Gerätschaften, wie Sämaschinen für die Direktsaat, investieren zu wollen. Die Bauern der EU finden folglich nur ein begrenztes Angebot an geeigneten Geräten", bedauert der Experte. Laut Francis Forest sehen "die Hersteller von Landmaschinen in der konservierenden Landwirtschaft sicher eine Ursache für zukünftigen Gewinnausfall, denn wenn die Bauern den Boden nicht mehr bearbeiten, wird sich das unweigerlich im Absatz niederschlagen".

Andere Unternehmen wiederum sehen hier einen Markt. Syngenta und Monsanto fördern das Konzept und preisen die Vorteile ihrer Produkte an, bei denen es sich vor allem um chemische Produktionsmittel und GMO handelt. So hat Syngenta in zwei der drei wichtigsten europäischen Forschungsprojekte zur konservierenden Landwirtschaft investiert: SOWAP (Soil and Water Protection) und ProTerra, die 2006 abgeschlossen wurden. Das Interesse ist logisch, wenn die konservierende Landwirtschaft, wie es einige Forschungsergebnisse vermuten lassen, den Einsatz von Pestiziden erhöht, auch wenn dies nur in der Anfangszeit so sein sollte. Francis Forest ist jedoch der Meinung, dass von diesen Industriezweigen auch andere Forschungsansätze weiter verfolgt werden könnten. "Vielversprechende Perspektiven für zukünftige Entwicklungen sind bei den organischen Molekülen und anderen Elicitoren zu finden, die die Stimulierung der Immunabwehr der Pflanzen ermöglichen, was zu einem Rückgang der Verwendung von chemischen Produktionsmitteln führen würde."


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 24: Dry farming in der algerischen Region Sétif
Diese Methode für das Regenwassermanagement in halbtrockenen Zonen wurde vor allem für den Getreideanbau entwickelt: Hierfür ist eine intensive und wiederholte Bearbeitung des Bodens (tiefes Pflügen gefolgt von weiteren, oberflächlicheren Beackerungen) erforderlich. Die so beareiteten Böden verlieren schließlich durch den Mineralisierungsprozess ihre organische Masse, sie werden brüchig und ihre Poren lösen sich auf. Das Regenwasser kann folglich nicht mehr einsickern und läuft an der Oberfläche ab.

Abb. S. 25: Verbindung von mehrjährigen Pflanzen (hier Bananenstauden) mit jährlicher Saat (Mais) in Brasilien

Abb. S. 25: Region von Setif (Algerien). Weizenanbau (grün) durch Direktsaat auf dem Feld, auf dem Reste von Sorghum stehen gelassen wurden. Eine der wichtigsten Fragen ist, wie diese Erntereste in Umgebungen mit hoher oder schwacher Produktion von Biomasse bzw. in Situationen zu verwalten sind, in denen andere Verwendungen (Heizung, Nahrungszubereitung, Tierfutter) in Konkurrenz treten.

Abb. S. 26: Gerstenversuchsfeld in der Region von Saragossa (ES).
Bei dieser sogenannten "biologischen Bearbeitung" wird das Feld nicht mit dem Pflug umgepflügt. Es wird direkt ausgesät. Die Regenwürmer kommen massenweise zurück, mischen die organischen und mineralischen Bodenbestandteile und bilden Löcher (die Bioporen), durch die Wasser und Luft in den Boden eindringen können.



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Quelle:
research*eu Nr. 57 - Juni 2008, Seite 24 - 26
Magazin des Europäischen Forschungsraums
Copyright: Europäische Gemeinschaften, 2008
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GD Forschung der Europäischen Kommission
Chefredakteur: Michel Claessens
Redaktion: ML DG 1201, Boîte postale 2201, L-1022 Luxembourg
Telefon: 0032-2/295 99 71, Fax: 0032-2/295 82 20
E-Mail: research-eu@ec.europa.eu
Internet: http://ec.europa.eu./research/research-eu

research*eu erscheint zehn Mal im Jahr und wird auch
auf Englisch, Französisch und Spanisch herausgegeben.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Januar 2009