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INTERNATIONAL/148: Afghanistan - Kämpfe gegen Taliban gefährden Nahrungsversorgung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. November 2015

Afghanistan: Kämpfe gegen Taliban gefährden Nahrungsversorgung

von Katharina Federer mit Agenturberichten


Foto: By M. Michael (Own work) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html), CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/) or CC BY-SA 2.5-2.0-1.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5-2.0-1.0)], via Wikimedia Commons

Landschaft bei Kundus
Foto: By M. Michael (Own work) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html), CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/) or CC BY-SA 2.5-2.0-1.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5-2.0-1.0)], via Wikimedia Commons

DISTRIKT CHARDARA, AFGHANISTAN (IPS) - Seit viele Bauern in der nordafghanischen Provinz Kundus vor den Gefechten zwischen der Armee und den radikalislamischen Taliban fliehen, wird auf den Feldern nicht mehr geerntet. Die Nahrungspreise sind inzwischen sprunghaft angestiegen.

In dem Gebiet, das als 'Kornkammer' Afghanistans gilt, sind die Kämpfe zwischen Militär und Taliban immer heftiger geworden. Die Miliz nahm Ende September vorübergehend Kundus ein. Zum ersten Mal seit dem Sturz ihrer Regierung im Jahr 2001 übernahmen die Islamisten die Kontrolle über eine afghanische Provinzhauptstadt.

Tausende Menschen flohen aus Kundus und den umliegenden Distrikten, während die von US-Einheiten unterstützte afghanische Armee das Gebiet zurückeroberte. Inzwischen sind zwar viele Bewohner der Provinz zurückgekehrt, doch die Bauern können die Erntearbeit aus Sicherheitsgründen nicht fortsetzen.


Felder von Taliban vermint

"Bei ihrem Rückzug haben die Taliban die Felder mit improvisierten Sprengvorrichtungen vermint", sagte der Bauer Haji Hashim Khan aus dem nahe der Stadt Kundus gelegenen Distrikt Chardara dem Informationsdienst IRIN. "Das Getreide ist reif für die Ernte, aber wir wagen es nicht, die Äcker zu betreten."

Die Provinz Kundus ist aufgrund des milden Klimas und der fruchtbaren Böden, die durch den Fluss Amu Darya reichlich bewässert werden, zum Hauptlieferanten von Weizen, Reis, Baumwolle, Mandeln, Kartoffeln, Tomaten und Wassermelonen geworden.

Laut Rabbani Haqiqatbal vom Agrarministerium wurden in Afghanistan im vergangenen Jahr 410.000 Tonnen Reis und 4,9 Millionen Tonnen Weizen produziert. Kundus trug 61 Prozent zu der Reis- und zwölf Prozent zu der Weizenernte bei. "Kundus ist die wichtigste Provinz für die Landwirtschaft", sagte er IRIN. "Die Kämpfe in den vergangenen neun Monaten haben den Handel mit Agrargütern im gesamten Norden Afghanistans beeinträchtigt. Die Auswirkungen sind sogar in der Hauptstadt Kabul zu spüren."

Seit mehreren Jahren importiere Afghanistan bereits Reis und Weizen, erklärte Haqiqatbal. Da die Einfuhren im kommenden Jahr erhöht werden müssten, würden auch die Preise weiter steigen. Schon jetzt sei in Kabul eine deutliche Verteuerung zu bemerken. Lebensmittelhändler verlangen für ein Kilo Reis 120 Afghani (umgerechnet etwa 1,8 US-Dollar), während die gleiche Menge vor einem Jahr 80 Afghani gekostet hatte. Ein Kilo Weizen hat sich in diesem Zeitraum von 20 auf 30 Afghani verteuert.

Normalerweise herrscht auf den Märkten in Chardara und den angrenzenden Distrikten Ali Abad und Khan Abad Hochbetrieb. Zurzeit haben die Bauern aber nichts anzubieten. In Schwierigkeiten kamen sie bereits Anfang des Jahres, als die Taliban ihren territorialen Einfluss auszudehnen begannen.

Fazel Khan, der rund 20 Hektar Land nahe der Autostraße zwischen Chardara und Kundus besitzt, berichtet, dass er seine Farm seit sieben Monaten nicht mehr betreten hat. "Im März begannen die Taliban, sich am Rande des Distrikts zu sammeln, wenige Tage, nachdem ich Tomaten und Wassermelonen angepflanzt hatte. Sie brachten mich und andere Bauern aus dem Gebiet fort, weil sie befürchteten, dass wir ihre Präsenz den Behörden melden würden."

Der 60-Jährige arbeitete danach für kurze Zeit für einen anderen Grundbesitzer. "Es dauerte aber nicht lange, bis die Taliban auch dort ankamen. Es gab täglich Konfrontationen zwischen ihnen und den Sicherheitskräften. Wir befanden uns genau zwischen den Fronten."


Bauern und Arbeiter ohne Beschäftigung

Bei den Kämpfen wurden laut Aussagen von Bauern viele Felder zerstört, weil die Islamisten dort Deckung suchten und die Artillerie sie unter Beschuss nahm. Infolge der Kämpfe sind nicht nur die Nahrungspreise gestiegen. Bauern, Landarbeiter und Lastwagenfahrer sind nun auch ohne Beschäftigung, wie der Reisbauer Khan Mohammad aus Khan Abad erklärte. "Die Landwirtschaft ist das Rückgrat der Wirtschaft in Kundus. Entweder arbeiten die Leute auf den Feldern, in der Verarbeitung oder im Transport. Jetzt haben sie nichts mehr zu tun."

Im Oktober vergangenen Jahres verkaufte Mohammad eine Tonne Reis für 1.400 Dollar. Davon konnten er und die neun weiteren Mitglieder seiner Familie sechs Monate lang leben. Wie es nun weitergehen soll, wissen sie nicht.

Auch andere Familien haben es zurzeit schwer. Laut einem am 30. September veröffentlichten Bericht des Welternährungsprogramms WFP ist der Anteil chronisch unterernährter Menschen in dem Land alarmierend hoch. Allein 41 Prozent der Kinder unter fün Jahren seien nicht ausreichend mit Nährstoffen versorgt.

Wegen einer Finanzierungslücke von 30 Millionen Dollar musste WFP seine Lebensmittelrationen für die von Konflikten und Naturkatastrophen betroffene Bevölkerung reduzieren. Inwieweit sich die gegenwärtige Nahrungsknappheit und die steigenden Preise auf die Programme auswirken könnten, sei noch nicht absehbar, hieß es.

Die Zahl der Afghanen, deren Ernährungssicherheit als extrem bedroht eingestuft wird, hat sich während des vergangenen Jahres um etwa 317.000 Personen erhöht, so dass mittlerweile rund sechs Prozent der Bevölkerung betroffen sind, wie aus einem Bericht der Organisation 'Afghanistan Food Security Cluster' hervorgeht. (Ende/IPS/ck/26.11.2015)


Link:

http://www.irinnews.org/report/102239/food-prices-rise-sharply-after-fighting-disrupts-afghan-harvest

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 26. November 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Dezember 2015

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