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FORSCHUNG/713: WaxyGerste - stark als Stärkelieferant (ForschungsReport)


ForschungsReport Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz 1/2009
Die Zeitschrift des Senats der Bundesforschungsanstalten

Nachwachsende Rohstoffe
WaxyGerste - stark als Stärkelieferant
Neue Chancen für eine alte Getreideart

Gisela Jansen und Frank Ordon (Quedlinburg)


Gerste wird bislang vorwiegend im Futter- und Nahrungsmittelsektor verwendet - Wintergerste in erster Linie als hochwertiges Tierfutter und Sommergerste hauptsächlich zur Herstellung von Braumalz. Mit einer waxyWintergerste steht nun erstmals in Deutschland eine Gerstensorte mit besonderen Stärkeeigenschaften zur Verfügung, die viel versprechende Perspektiven für technische Nutzungen aufweist. Damit bieten sich neue Ansätze für die stoffliche Verwertung von Gerste als nachwachsender Rohstoff.


Gerste ist die älteste bekannte Getreideart, deren Nachweis bis auf 10.500 v. Chr. zurückgeht. Heute ist sie europa- und weltweit eine der bedeutendsten Kulturarten. Mit fast 2 Mio. ha ist sie nach Weizen das am häufigsten angebaute Körnergetreide in Deutschland. In der Landwirtschaft wird die relativ kurze Vegetationszeit von Gerste geschätzt, wodurch sie eine ideale Vorfrucht ist. Darüber hinaus stellt sie im Vergleich zu Weizen nicht so hohe Ansprüche an den Boden, so dass sie in ganz Europa problemlos angebaut werden kann.


Was ist waxyGerste?

Die Hauptkomponente im Gerstenkorn ist - wie bei anderen Getreidearten auch - Stärke. Dieses aus vielen Glucose-Einheiten zusammengesetzte Makromolekül besteht im Wesentlichen aus den beiden Komponenten Amylose (lineare, schraubig gewundene Ketten aus Glucose-Bausteinen) und Amylopektin (stark verzweigte Ketten) (Abb. 1). Übliche Getreidesorten enthalten rund 25 % Amylose und 75 % Amylopektin.

Durch eine natürliche spontane Mutation in einem Gen, das für die Bildung von Amylose verantwortlich ist, hat sich in der waxyGerste dieses Verhältnis so verändert, dass der Amyloseanteil nur noch bei etwa 5 % und der Amylopektingehalt dementsprechend bei rund 95 % liegt. Die Bezeichnung "waxy" stammt ursprünglich vom durchsichtigen, wachsähnlichen Aussehen des Endosperms.

Mit der Zulassung einer waxyGerstensorte im Jahr 2008 steht erstmalig in der EU eine konventionell gezüchtete Wintergerste zur Verfügung, deren Stärke fast ausschließlich aus Amylopektin besteht. Dies ist von besonderem Interesse, da bei vielen industriellen Anwendungen das stark verzweigte Amylopektin benötigt wird. Eine technische Trennung in die Einzelkomponenten ist bei üblichen Stärken schwierig und nur mit großem Energieaufwand und hoher Abwasserbelastung möglich. Somit stellt dieses auf natürlichem Wege in der Pflanze erzeugte fast reine Amylopektin ein hervorragendes Ausgangsmaterial für eine Vielzahl von Produkten dar.


Vorteile der waxyGerste

Die waxyGerstensorte 'Waxyma' verfügt über einen hohen Kornertrag, der vergleichbar mit herkömmlichen Wintergersten ist. Sie ist standfest und weist gute bis sehr gute Resistenzen gegen verbreitete Gerstenkrankheiten auf (Abb. 2).

Die Veränderungen in den Hauptkomponenten der Stärke führen zu neuen physikalischen und chemischen Eigenschaften, so dass ein gesteigertes wissenschaftliches und wirtschaftliches Interesse an diesem "wachsigen" Getreide besteht. Eine wesentliche physikalische Eigenschaft der Stärke ist ihr Vermögen, beim Erhitzen mit Wasser einen Kleister zu bilden. Daraus ergeben sich diverse Möglichkeiten für einen industriellen Einsatz als Klebstoff oder Bindemittel, aber auch vielfältige Anwendungen als Dickungsmittel in der Lebensmittelindustrie. Die Eigenschaften von Stärkekleistern werden zum einen durch das Verhältnis von Amylose zu Amylopektin und zum anderen durch das unterschiedliche Molekulargewicht der beiden Fraktionen bestimmt. Die isolierte Stärke der waxyGerste weist eine wesentlich höhere Kleisterviskosität auf als Stärken aus herkömmlichen Getreidearten. Der Anstieg der Viskosität beginnt bereits bei deutlich niedrigeren Temperaturen (Abb. 3). Weiterhin neigen diese Stärkekleister durch das Fehlen von Amylose weniger zur Retrogradation, das heißt sie gehen nicht in eine kristalline Form über und binden somit das Wasser dauerhaft.

Der hohe Anteil an ß-Glucanen und das hohe Wasserbindevermögen des waxyGerstenmehls eröffnen dieser speziellen Gerste auch Anwendungsmöglichkeiten in der Lebensmittelindustrie. ß-Glucane zählen zu den ernährungsphysiologisch besonders wertvollen Ballaststoffen. Ihre weitreichenden gesundheitsfördernden Eigenschaften sind durch umfassende medizinische Studien belegt. WaxyGerste enthält bis zu 50 % mehr ß-Glucane als sonstige Wintergersten. Durch die niedrige Retrogradationsneigung, den aromatisch fruchtigen Geschmack der waxyGerste und der helleren Farbe des entspelzten Korns, des Mehls und der Graupen ist eine vielfältige Verwendung als Rohstoff für helle, ballaststoffreiche Lebensmittel denkbar (Abb. 4).


Der Weg zur innovativen Nutzung

Das technische Potenzial für die Anwendung von Stärke und Stärkeprodukten ist keineswegs erschöpft und kann durch eine Gerste mit neuartigem Inhaltsstoffprofil wesentlich erweitert werden. Aus diesem Grund werden in einem dreijährigen Entwicklungs- und Forschungsverbund von sechs Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft stoffliche Anwendungen für waxyGerste erschlossen. "Innovative Gerstensorten als nachwachsender Rohstoff", so lautet der Titel des Forschungsprojektes, das vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz über die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) gefördert wird.

Die enge Zusammenarbeit von wissenschaftlichen Instituten, privater Pflanzenzüchtung und verarbeitender Industrie strebt den Aufbau einer kompletten Wertschöpfungskette für waxyGerste an. Beteiligt an dem Forschungsverbund sind die GEA Westfalia Separator Process GmbH, die Jäckering Mühlen- und Nährmittelwerke, das Deutsche Institut für Lebensmitteltechnik (DIL), das Institut für Lebensmittel- und Umweltforschung (ILU) und das Institut für Resistenzforschung und Stresstoleranz des Julius Kühn-Institutes (JKI) sowie als assoziierte Projektpartner Kampfmeyer Food Innovation GmbH und Solvay GmbH. Die Projektkoordination liegt bei dem Züchterhaus DIECKMANN Seeds.

Im Verbund werden optimierte Eigenschaftsprofile für waxyGerste als nachwachsender Rohstoff erarbeitet. Zur Bestimmung wichtiger Qualitätsparameter an ganzen Körnern sollen Schnellmethoden entwickelt werden und diese wiederum in die Züchtung neuer Gerstensorten mit speziellen Inhaltsstoffprofilen einfließen. Gleichzeitig wird die Qualitätsstabilität von waxyGerste in Anbauversuchen (verschiedene Standorte, Düngungs- und Fungizidbehandlungen) und in Stressversuchen (Temperatur- und Trockenstress, Abb. 5) geprüft.

Für waxyGerste soll eine Vermahlungstechnologie entwickelt werden, die den direkten Einsatz eines "maßgeschneiderten" Mehls in der Industrie (Abb. 6), unter anderem in der Papierindustrie, ermöglicht. Gleichzeitig wird nach einem Mahlverfahren gesucht, das ein geeignetes Mehl für die Stärkeproduktion liefert, wobei auf nasstechnischem Wege eine Trennung in Stärke, Proteine, Fasern und lösliche Komponenten erfolgt. Der Rohstoff sowie die hergestellten Mehle und Stärken werden auf ihre funktionalen Eigenschaften untersucht und somit die potenziellen Einsatzfelder der waxyGerste ermittelt. Um die Eignung als Biowerkstoff zu überprüfen werden Werkstoffmuster hergestellt und diese für eine spezifische Anwendung analysiert. Im Blick ist dabei die Herstellung von Bindemitteln (Lehmbau, Pappenindustrie), Porosionsmitteln (Schleifmittel), Dämmstoffen (Baustoffe, Abb. 7), Erosionsschutz/Begrünungsmaterial (Landschafts- und Gartenbau, Abb. 8), Derivatisierung (Bau-Chemie).


Chancen für Landwirtschaft und Verbraucher

WaxyWintergerste ist als preiswertes und in ganz Europa problemlos anzubauendes Getreide ein interessanter Rohstoff für neue technische Anwendungen.

Bislang wird Gerste in Deutschland kaum als Stärkepflanze oder als nachwachsender Rohstoff in der stofflichen Verwertung genutzt. Mit der neuen waxyGerste sind jedoch sehr gute Voraussetzungen für eine ökonomisch und ökologisch vorteilhafte Anwendung als heimischer Rohstoff vorhanden. Zusätzlich wäre eine erhöhte Wertschöpfung über den Vertragsanbau für die Landwirtschaft gegeben.


Dipl.-Chem. Gisela Jansen, Dir. u. Prof. PD Dr. Frank Ordon,
Julius Kühn-Institut, Institut für Resistenzforschung und Stresstoleranz,
Erwin-Baur-Str. 27, 06484 Quedlinburg.
E-Mail: frank.ordon@jki.bund.de


Danksagung:
Wir bedanken uns für die Bereitstellung von Fördermitteln im Projekt "Innovative Gerstensorten als Nachwachsender Rohstoff" (08NR193) durch das BMELV über die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe.

Beteiligte Einrichtungen / Ansprechpartner

DIECKMANN Seeds, DIECKMANN GmbH & Co KG / Karin Dieckmann
Jäckering Mühlen- und Nährmittelwerke GmbH / Thomas Roick
GEA Westfalia Separator Process GmbH / Willi Witt
JKI, Institut für Resistenzforschung und Stresstoleranz / Gisela Jansen
Deutsches Institut für Lebensmitteltechnik e. V. / Ute Bindrich
Institut für Lebensmittel- und Umweltforschung e.V. / Uwe Lehrack



Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. 1: Stärke besteht aus unverzweigten Amylose- und verzweigten Amylopektin-Ketten
Abb. 2: Sortenleistung von 'Waxyma' im Vergleich
Abb. 3: Verkleisterungsverhalten von 'Waxyma' im Vergleich
Abb. 4: Entspelzte waxyGerstenkörner
Abb. 5: Trockenstressversuch mit waxyGersten unter dem Shelter
Abb. 6: Feinstvermahlung im Ultrarotor Jäckering Mühlen- und Nährmittelwerke GmbH
Abb. 8: Erosionsschutz- und Begrünungsmaterial ROF
Abb. 7: Schüttdämmstoff Ceralith® als Wärmedämmstoff und Ausgleichsschüttung

Diesen Artikel inclusive aller Abbildungen finden Sie im Internet im PDF-Format unter:
www.forschungsreport.de


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Quelle:
ForschungsReport Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz 1/2009,
Heft 39 - Seite 16-18
Herausgeber:
Senat der Bundesforschungsanstalten im Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Redaktion: Dr. Michael Welling
Geschäftsstelle des Senats der Bundesforschungsanstalten
c/o Johann Heinrich von Thünen-Institut
Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL)
Bundesallee 50, 38116 Braunschweig
Tel.: 0531/596-1016, Fax: 0531/596-1099
E-Mail: michael.welling@vti.bund.de
Internet: www.forschungsreport.de, www.bmelv-forschung.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2009