Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → BILDUNG

HOCHSCHULE/1559: Interview - Hochschulen in der Krise? (spektrum - Uni Bayreuth)


spektrum 1/2010 - Universität Bayreuth

WEGE AUS DER KRISE

INTERVIEW
Hochschulen in der Krise?

Professor Dr. Margret Wintermantel, Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz (HRK)
im Gespräch mit dem Wissenschaftsmagazin Spektrum der Universität Bayreuth


SPEKTRUM: Nach den Hörsaal-Besetzungen und vor den auch von Ihnen geforderten Reformen: Würden Sie sagen, das Hochschulsystem steckt in der Krise?

PROF. DR. WINTERMANTEL: Die Hochschulen sind mit enormen Herausforderungen konfrontiert - nicht erst seit den Studierendenprotesten oder seit der Bologna-Reform. Unterfinanzierung der Forschung, unzureichende Betreuungsrelationen in der Lehre, zu wenige und zu schlechte Räumlichkeiten, das sind Dauerprobleme.

Die Lage hat sich zweifellos in den letzten Jahren zugespitzt. Die Universitäten sind bei der Forschungsfinanzierung, verglichen mit den außeruniversitären Einrichtungen, die seit Jahren - vor allem dank des Bundes - einen kontinuierlichen Aufwuchs ihrer Grundmittel verzeichnen können, benachteiligt. In der Lehre hat die Bologna-Reform ebenfalls eine Verschärfung der Situation gebracht: Eine politisch verordnete Jahrhundertreform ohne angemessene Finanzierung und ohne die nötige Öffentlichkeitsarbeit hat alle Beteiligten - Lehrende, Studierende und Verwaltungen - an den Rand ihrer Belastbarkeit gebracht.

Andererseits sind inzwischen an etlichen Stellen durchaus politische Konsequenzen gezogen worden: Die Exzellenzinitiative, die Hochschulpakte und das Konjunkturpaket sind konkrete, millionenschwere Maßnahmen, die Bewegung und Entlastung gebracht haben. Das alles reicht längst nicht angesichts jahrelang verschleppter Aufgaben Aber es tut seine Wirkung, zumal die deutlich gesteigerte Selbstbestimmung der Universitäten eine wachsende Vielfalt und eine erhöhte Entwicklungsgeschwindigkeit bewirkt hat. Es scheint mir zudem auch nicht ganz unrealistisch darauf zu hoffen, dass die Handlungsfähigkeit des Bundes im Bildungsbereich wieder gestärkt wird. Das wäre ein weiterer wichtiger Schritt nach vorn, nachdem die Föderalismusreform die konsequente Förderung des Hochschulbereichs zusätzlich erschwert hat.

Deshalb würde ich trotz der anhaltenden Probleme nicht von Krise sprechen.

SPEKTRUM: Wie bewerten Sie rückblickend die Proteste der Studierenden? Happening oder ernsthafte Auseinandersetzung?

WINTERMANTEL: Das war sicher eine Mischung, auch eine Vermischung ganz verschiedener inhaltlicher Ebenen. Gestaltung der Studienprogramme, Sozialfragen und allgemeinpolitische Forderungen wurden miteinander verquickt. Aber im Kern war es doch eine ernst zu nehmende Wortmeldung.

Dass sich die unmittelbar Betroffenen so unüberhörbar artikuliert haben, hat unseren Forderungen nach Ausfinanzierung der Bologna-Reform und nach einem angemessenen BAföG noch einmal mehr Glaubwürdigkeit verliehen. Die Strukturvorgaben der Länder für die neuen Studienprogramme wurden entschlackt, Bund und Länder wollen den Hochschulpakt I aufstocken, es gibt Fortschritte beim BAföG, Bundesministerin Schavan hat ein Qualitätspaket für die Hochschullehre angestoßen - das alles sehe ich auch im Zusammenhang mit den Protesten. Die Politik sieht sich gezwungen, aktiv zu werden.

Auch in den Hochschulen haben die Studierenden zumindest eine Beschleunigung des Nachsteuerungsprozesses bewirkt. Ihre systematische Einbeziehung bei der Weiterentwicklung der Studienprogramme ist erkennbar vorangeschritten. Ich habe viele Gespräche mit den Wortführern des Protests und mit den verschiedenen Studierendenorganisationen geführt. Die Sichtweisen sind sehr unterschiedlich, die Argumente nicht von einheitlicher Qualität. Es ist aber in jedem Fall gewinnbringend, wenn wir zu diesen Fragen den offenen Dialog mit den Studierenden führen.

SPEKTRUM: Wie sieht Ihr persönliches Ziel aus, was muss sich am dringendsten ändern?

WINTERMANTEL: Wir müssen die Leistungsfähigkeit und das Ansehen der deutschen Hochschulen stärken und das Ansehen festigen. Und wir stehen vor der großen Aufgabe, eine bessere Grundfinanzierung von Forschung und Lehre zu erreichen. Beides steht in sehr engem Zusammenhang.

Die Diskussion um die Bologna-Reform und die vielen negativen Äußerungen aus den Hochschulen dazu und die Vielzahl der, zum Teil schon genannten, Probleme bergen die Gefahr eines schleichenden Ansehensverlusts der Universitäten und Fachhochschulen. Auf uns rollt aufgrund der Auswirkungen der Finanzkrise unaufhaltsam eine Sparwelle zu, der Wettbewerb um öffentliche Mittel wird noch härter werden. Umso wichtiger ist es, dass wir ein gesellschaftliches Klima haben, in dem die Interessen von Bildung und Forschung einen hohen Stellenwert genießen.

Wenn wir wollen, dass Bürger unsere Hochschulen als die Quelle ihres künftigen Wohlstands wahrnehmen, als die deutschen Denkfabriken, die sie mit ihren Steuergeldern gefördert sehen wollen, müssen wir selbst als allererste für diese Überzeugung stehen. Wir müssen deshalb viel stärker als derzeit mit Stolz das Geleistete präsentieren. Wir dürfen dem wissenschaftlichen Nachwuchs nicht die Lust auf eine universitäre Karriere nehmen, den jungen Leuten nicht den Mut für ein Studium. Dazu gibt es auch tatsächlich keinen Grund. Trotz aller Widrigkeiten haben wir in Deutschland nach wie vor ein hoch attraktives Hochschulsystem mit einer bemerkenswerten Leistungsdichte.


Mit Frau Professor Dr. Wintermantel sprach der Pressereferent der Universität Bayreuth, Frank Schmälzle.


*


Quelle:
spektrum 1/2010, S. 4-5
Herausgeber: Der Präsident der Universität Bayreuth
Redaktion: Pressestelle der Universität Bayreuth, 95440 Bayreuth
Tel.: 09 21/55-53 23, -53 24, Fax: 09 21/55-53 25
E-Mail: pressestelle@uni-bayreuth.de
Internet: www.uni-bayreuth.de

"spektrum" erscheint dreimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2010