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BERUF/1510: Berufliche Bildung hat in Politik und Verwaltung wenig Gewicht (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 138/Dezember 2012
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Schwache Lobby, wenig Interesse
Die berufliche Bildung hat in Politik und Verwaltung wenig Gewicht

von Lena Ulbricht



Kurz gefasst: Der politische Stellenwert der beruflichen Bildung im Bildungssystem ist in den letzten Jahrzehnten eher schwach. Dies ist der föderalen Kompetenzzuweisung in der Bildung geschuldet: Nicht nur in den Landesministerien und der Kultusministerkonferenz, sondern auch in den politischen Parteien tritt die berufliche Bildung hinter dem allgemeinbildenden Schulsystem in den Hintergrund. Eine Änderung ist nur durch ein größeres gesellschaftliches Interesse an Fragen der Berufsbildung zu erwarten.


Vertreter der beruflichen Bildung zeigen sich zunehmend besorgt über den gesellschaftlichen Prestigeverlust ihres Bildungszweiges. Sie beklagen, dass Jugendliche und Eltern heute zunehmend Abitur und Studium vorziehen, während früher die Berufsausbildung als Standardweg für die Mehrheit der Schulabgänger üblich war. Auf politischer Ebene sahen die Handwerksverbände eine Abwertung der beruflichen Abschlüsse, als im Jahr 2004 die Meisterpflicht eingeschränkt wurde - es also in zahlreichen Berufen auch Handwerkern ohne Meisterbrief erlaubt wurde, einen Betrieb zu führen. Als Reaktion auf die Geringschätzung der beruflichen Bildung im Vergleich zu allgemeinbildenden Schulen und Hochschulen haben die Kammern in den letzten Jahren Imagekampagnen für das Handwerk initiiert und in verschiedenen bildungspolitischen Debatten massiv auf die Abwertung der beruflichen Bildung hingewiesen: Als der Deutsche Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (DQR) erarbeitet wurde, setzten sie sich dafür ein, dass die berufliche Bildung auf allen Qualifikationsstufen vertreten ist; im Zusammenhang mit den Regelungen für den Hochschulzugang forderten die Kammern eine direkte Studienberechtigung auch über die berufliche Bildung.

Die Minderbewertung der beruflichen Bildung wirft die Frage nach ihrem politischen Stellenwert im Bildungssystem auf. Neben einer institutionellen Analyse wurden zwischen Januar und April 2012 Experteninterviews über die Wertigkeit der beruflichen und der allgemeinen Bildung in Bund und Ländern mit Vertreterinnen und Vertretern von Ministerien, Kammern, politischen Parteien sowie mit Wissenschaftlern geführt.

Zentral für die politische Stellung der beruflichen Bildung ist die föderale Kompetenzzuweisung im Bildungsbereich: Der Bund und die Sozialpartner tragen die Verantwortung für den betrieblichen Teil der Berufsbildung, während für die beruflichen Schulen die Länder zuständig sind, und zwar über die jeweiligen Kultusministerien (in einigen Ländern sind Schulen für Pflege- und Gesundheitsberufe allerdings dem Sozialministerium zugeordnet). Es gibt also keine eigenen Ministerien für Berufsbildung. So konkurriert die berufliche Bildung innerhalb der Kultusministerien mit anderen Bildungsressorts, sie verfügt nicht über eine eigene Stimme am Kabinettstisch. In vielen Interviews hieß es, die Berufsbildung ziehe in Konkurrenz mit dem als übermächtig empfundenen Ressort der allgemeinbildenden Schulen den Kürzeren. Die Abteilungen verfügen über weniger Personal, wurden in den letzten zehn Jahren häufig verkleinert und nehmen ihren politischen Einfluss innerhalb des Ministeriums als geringer wahr. Dass die Berufsschulen im Vergleich zum betrieblichen Teil der Berufsbildung als der schwache Teil der Berufsausbildung gelten, kann so Ursache oder auch Folge der geringen Wertigkeit der Berufsbildung auf Länderebene sein.

Die Unterordnung der beruflichen Bildung unter die allgemeinbildenden Schulen findet ihre Entsprechung in der Kultusministerkonferenz (KMK): Während Schul- und Hochschulressorts in Hauptausschüssen organisiert sind, findet sich die berufliche Bildung als Unterausschuss des Schulausschusses wider. Verschiedene Initiativen, auch für die berufliche Bildung einen Hauptausschuss einzurichten, sind in der Vergangenheit gescheitert. Da formal nicht sichergestellt ist, dass immer ein Vertreter des Ausschusses für Berufsbildung im Schulausschuss vertreten ist, hat die berufliche Bildung auch in der KMK einen schweren Stand.

Hinzu kommt, dass die berufliche Bildung auch in den Parteien hinter anderen Bildungssegmenten zurücksteht. In der Regel verfügen die Parteien auf Länderebene über wenig Expertise: Die Zuständigkeit für die berufliche Bildung wird häufig von schul- oder mittelstandspolitischen Sprechern zusätzlich übernommen. In den Landtagsausschüssen ist die berufliche Bildung meist im Schulausschuss angesiedelt, wo sie oft eine unbedeutende Rolle spielt. Das Hochschulressort verfügt in aller Regel über einen eigenen Ausschuss. Die geringe Priorisierung der beruflichen Bildung in den Parteien wurde von den Interviewpartnern nicht zuletzt darauf zurückgeführt, dass Abgeordnete nur selten eine Berufsausbildung absolviert haben. Zwar haben viele Landtage einen großen Anteil ehemaliger Lehrerinnen und Lehrer, diese kommen aber nur sehr selten von beruflichen Schulen. Dies führt dazu, dass die Netzwerke zwischen Abgeordneten und Vertretern der Praxis in der beruflichen Bildung schwächer sind als in der allgemeinen Bildung.

Vertreter der beruflichen Bildung haben immer wieder Hoffnungen auf den Einfluss des Bundes gesetzt: Doch obwohl dieser die staatliche Verantwortung für den betrieblichen (und somit dominanten Teil) der beruflichen Bildung trägt, ist sein Einfluss begrenzt. Dies liegt in erster Linie daran, dass er einen Großteil seiner Entscheidungen in enger Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern, also Vertretern von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, trifft. Zwar beschäftigen sich im Bundeswirtschaftsministerium zwei Referate und im Bundesbildungsministerium eine ganze Unterabteilung mit beruflicher Bildung, doch alle zentralen Entscheidungen über die Gestaltung der beruflichen Bildung bedürfen der Zustimmung der Sozialpartner. Der Bund kann hier also nicht frei tätig werden, auf die Gestaltung der Berufsbildung in den Ländern hat er ohnehin kaum Einfluss. Und das Ressort für berufliche Bildung kann auch im Bundesbildungsministerium nicht mit der Hochschulabteilung konkurrieren. Von der Bundesebene geht also keine substanzielle Verbesserung der politischen Stellung der beruflichen Bildung aus.

Ein weiterer Grund, weshalb die berufliche Bildung weder im Bund noch in den Ländern bildungspolitisch Priorität genießt, ist der vergleichsweise geringe Einfluss von Lehrern, Eltern und Schülern oder Studierenden. Deren Lobby ist deutlich schwächer als bei allgemeinbildenden Schulen oder Hochschulen. In der Folge werden Fragen der beruflichen Bildung von Entscheidungsträgern selten als politisch dringlich wahrgenommen, während schul- und hochschulpolitische Debatten häufig durch die entsprechenden Lobbygruppen ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt werden. Das mangelnde öffentliche Interesse für Fragen der beruflichen Bildung mag dazu beitragen, dass die Parteien sich auf diesem Feld häufig nicht positionieren und es nur sehr wenige Bildungsminister in Bund und Ländern gegeben hat, die der beruflichen Bildung die gleiche politische Aufmerksamkeit gewidmet haben wie der allgemeinen Bildung.

Potential für eine Aufwertung der beruflichen Bildung ist dennoch vorhanden. Jüngste Entwicklungen wie die Einordnung beruflicher Bildungsabschlüsse im Deutschen Qualifikationsrahmen und die Erweiterungen des Hochschulzugangs für beruflich Qualifizierte ohne Abitur haben gezeigt, dass das Engagement der Sozialpartner für die berufliche Bildung diese durchaus aufwerten kann.

Darüber hinaus ist es auch nicht zwingend, dass politische Entscheidungsträger die berufliche Bildung gering achten, nur weil ihre eigenen Bildungsbiografien einen anderen Verlauf genommen haben: Politiker und Ministerialbeamte müssen nicht selbst eine Berufsausbildung absolviert haben, um für die besondere Bedeutung bildungspolitischer Fragen sensibilisiert zu sein.

Änderungen der institutionellen Ordnung bleiben unwahrscheinlich: Weder ist zu erwarten, dass in den Ländern eigene Ministerien für berufliche Bildung eingerichtet werden, noch dass die Wirtschaftsministerien die berufliche Bildung an den Kabinettstischen vertreten. Die politische Stellung der beruflichen Bildung könnte sich aber über ein größeres gesellschaftliches Interesse für Berufsbildungspolitik ändern. Hier sind Eltern, Schüler, Lehrer, Politiker, Wissenschaftler und nicht zuletzt die Medien gefragt, deren Berichterstattung die berufliche Bildung im Vergleich zur Schul- und Hochschulpolitik stark vernachlässigt.


Lena Ulbricht schreibt in der Projektgruppe der Präsidentin eine Doktorarbeit mit dem Arbeitstitel "Der Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte ohne Abitur. Politische Prozesse in den deutschen Ländern". Ihre Forschungsschwerpunkte sind Föderalismus und Bildungspolitik.
lena.ulbricht@wzb.eu


Literatur

Ehmann, Christoph: "Vom Meister zum Magister. Acht Thesen zur Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung". In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, 1983, H. 3, S. 98-100.

Harney, Klaus/Zymek, Bernd: "Allgemeinbildung und Berufsbildung. Zwei konkurrierende Konzepte der Systembildung in der deutschen Bildungsgeschichte und ihre aktuelle Krise". In: Zeitschrift für Pädagogik, 1994, Jg. 40, H. 3, S. 405-422.

Ulbricht, Lena: "Öffnen die Länder ihre Hochschulen? Annahmen über den Dritten Bildungsweg auf dem Prüfstand". In: die hochschule, 2012, H. 1, S. 154-168.

Weiß, Reinhold: Das Versprechen der Aufstiegsfortbildung: Chancen - Übergänge - Reformbedarf. In: Klaus Birkelbach/Axel Bolder/Karl Düsseldorff (Hg.): Berufliche Bildung in Zeiten des Wandels. Festschrift für Rolf Dobischat zum 60. Geburtstag. Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren 2010, S. 263-284.

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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 138, Dezember 2012, Seite 39-41
Herausgeberin:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph. D.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2013