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LATEINAMERIKA/1580: Mexiko - Bundespolizei erschießt Protestierende in Oaxaca (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Mexiko
Bundespolizei erschießt Protestierende in Oaxaca

Von Darius Ossami


(Berlin, 21. Juni, npl) - Bei einem Großangriff auf Straßenblockaden protestierender Lehrer*innen sind am Sonntag, 19. Juni mindestens acht Menschen erschossen worden. Seit Tagen hat die rebellische Lehrer*innengewerkschaft CNTE (Coordinadora Nacional de Trabajadores de la Educación) Dutzende Straßensperren im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca errichtet. Die meisten Toten, sechs Männer zwischen 19 und 33 Jahren, waren bei Nochixtlán nordwestlich von Oaxaca-Stadt zu beklagen. Dort hatten Lehrer*innen und Anwohner*innen die Autobahn seit dem 12. Juni blockiert um zu verhindern, dass Hundertschaften der Bundespolizei das ebenfalls blockierte Zentrum von Oaxaca-Stadt erreichen.

Am 19. Juni ab acht Uhr morgens attackierte die Bundespolizei zunächst mit Tränengas und Gummigeschossen die Blockade von hunderten Aktivist*innen, die sich mit angezündeten Trucks, Barrikaden, Steinen und Feuerwerkskörpern wehrten. Später schoss die Polizei auch scharf, mindestens sieben Menschen kamen dabei ums Leben. Fotos belegen, dass Einheiten der mexikanischen Bundespolizei scharf in die Menge geschossen haben; der Generalbevollmächtigte der mexikanischen Bundespolizei, Enrique Galindo, hatte zunächst behauptet, die Bundespolizei sei nicht bewaffnet gewesen, sondern selbst beschossen worden. Nachdem Fotos das Gegenteil bewiesen, hieß es, die Polizei sei von Unbekannten beschossen worden und habe dann das Feuer erwidert.

Ein weiterer Mann soll in Hacienda Blanca bei Oaxaca-Stadt ums Leben gekommen sein. Die Polizei blockierte später die dortige Krankenstation und untersagte dem medizinischen Personal, das ebenfalls unter den Tränengasangriffen zu leiden hatte, verletzte Demonstrant*innen zu versorgen. in Juchitan soll ein Reporter von Unbekannten erschossen worden sein. Dazu kommen Dutzende Schwerverletzte und über 60 Verhaftete.


Eskalation nach Festnahme der Gewerkschaftsführung

Die CNTE kämpft seit 2013 gegen eine neoliberale Bildungsreform, die ihre Arbeitsrechte einschränkt und die Lehrkräfte stärkeren Kontrollen aussetzt. Die CNTE hat in Mexiko 200.000 Mitglieder, davon 80.000 in Oaxaca. Seit dem 15. Mai, dem Tag des Lehrers, sind erneut tausende Lehrkräfte in den Streik getreten. Unter anderem gab es eine Dauermahnwache in Mexiko-Stadt sowie Proteste und Großdemonstrationen in den südmexikanischen Bundesstaaten Chiapas, Michoacán und Oaxaca.

Die Proteste sind am 11. und 12. Juni eskaliert, nachdem eine Blockade des staatlichen Bildungsinstituts in Oaxaca gewaltsam geräumt wurde und die beiden Führungsmitglieder der Sektion 22 der CNTE, Francisco Villalobos Ricardéz und Rubén Núñez Ginez, verhaftet wurden. Ihnen wird der Raub von Schulbüchern bzw. Korruption vorgeworfen; sie sitzen seitdem in einem Hochsicherheitsgefängnis im nordmexikanischen Bundesstaat Sonora. Die Gewerkschaft bezeichnet die Vorwürfe als konstruiert und sieht darin einen Versuch, die Gewerkschaft zu schwächen, zumal es in den vergangenen Monaten zahlreiche weitere Haftbefehle gegen und Festnahmen von führenden Mitgliedern der CNTE gegeben hat.

Aus Protest gegen die Festnahmen hatten die CNTE und ihre Unterstützer*innen am 12. Juni damit begonnen, an 37 Punkten im Bundesstaat Oaxaca Straßensperren zu errichten. Statt auf einen Dialog mit den streikenden Lehrer*innen zu setzen, sendete die Regierung immer mehr Polizei in die südlichen Provinzen. Diese Polizeieinheiten konnten jedoch aufgrund der Blockaden, insbesondere der Sperre der Autobahn bei Nochixtlan, nicht mehr auf dem Landweg nach Oaxaca-Stadt gelangen. Die Bundespolizei begann deshalb damit, ihre Einheiten über den zivilen Flughafen Oaxaca-Stadt und über den Militärstützpunkt in Ciudad Ixtepec einzufliegen.


Endlich Dialog mit der Regierung?

Bildungsminister Aurelio Nuño Mayer hatte sich bislang geweigert, mit den protestierenden Lehrkräften in einen Dialog zu treten. Dies hat inzwischen aber die Nationale Menschenrechtskommission gefordert. Führende Intellektuelle und Menschenrechtler*innen haben sich mit den streikenden Lehrkräften solidarisiert. "Wer gab den Befehl?" fragte etwa der Schriftsteller Pablo Ignacio Taibo II in Anspielung auf die tödlichen Schüsse. Und der Pastor und Menschenrechtler Solalinde forderte sogar den Rücktritt der Regierung. Mittlerweile fordert auch Präsident Enrique Peña Nieto eine politische Lösung des Konflikts und sprach den Hinterbliebenen sein Beileid aus. Am Mittwoch will sich Innenminister Osorio Chong mit der Führung der CNTE treffen. In Oaxaca-Stadt steigt unterdessen die Anspannung. Weitere Einheiten der Bundespolizei sind am Flughafen eingetroffen, eine Räumung des Stadtzentrums wird befürchtet.

Die Proteste kommen genau zehn Jahre, nachdem die CNTE und das breite soziale Bündnis APPO die Polizei und den damaligen, autoritär regierenden Gouverneur Ulises Ruíz aus Oaxaca-Stadt vertrieben hatten - Ruíz musste seinen Bundesstaat vom Flughafen aus regieren. Die Bundespolizei konnte das Stadtzentrum erst fünf Monate später zurückerobern. Bei den Auseinandersetzungen 2006 waren mindestens 26 Aktivist*innen und Zivilist*innen getötet worden, unter anderem der US-amerikanische Medienaktivist Brad Will.


URL des Artikels:
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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juni 2016

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