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LATEINAMERIKA/1503: El Salvador - Nach der Verfassungsreform, Indigene fordern Rechte (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. März 2015

El Salvador: Nach der historischen Verfassungsreform - Indigene fordern Rechte, nicht nur leere Worte

Von Edgardo Ayala und Claudia Ávalos


Bild: © Edgardo Ayala/IPS

Der 74-jährige Musiker Tito Kilizapa in Izalco im Westen El Salvadors beim Marimba-Spiel
Bild: © Edgardo Ayala/IPS

Izalco, El Salvador, 10. März (IPS) - Beinahe drei Jahre ist es her, seit die Rechte der Indigenen in der Verfassung El Salvadors festgeschrieben wurden. Doch die Maßnahmen, die erforderlich wären, um der historischen Reform Leben einzuhauchen, sind bisher ausgeblieben.

In Artikel 63 der Verfassung von 2012, die im Juni 2014 vom Ein-Kammer-Parlament ratifiziert wurde, heißt es: "El Salvador erkennt die indigenen Völker an und wird die notwendigen politischen Maßnahmen ergreifen, damit sie ihre ethnische und kulturelle Identität sowie ihre Weltsicht, Werte und Spiritualität bewahren und entwickeln können."

Die Rechte erstrecken sich auf eine Reihe von Bereichen wie medizinische Praktiken und indigene Kollektivlandrechte. Nach Aussagen von Abgeordneten unterschiedlicher Couleur wurde mit der Verfassungsreform eine alte Schuld gegenüber den ersten Bewohnern des Landes beglichen.

Wie Betty Pérez, Vorsitzende von El Salvadors Nationalem Indigenen- Koordinationsrat (CCNIS), gegenüber IPS betonte, wurden etliche gut gemeinte Schritte eingeleitet, doch "bedürfen sie einer Ausrichtung". Die Gespräche zwischen den indigenen Gruppen und den involvierten Ministerien kämen nicht voran, was Pérez teilweise auf das Fehlen einer gemeinsamen indigenen Position zurückführt.

"Bisher folgt jede Volksgruppe ihrer eigenen Logik", meinte sie während eines Festakts in Gedenken an den Indigenenaufstand von Izalco 1932. Die Gemeinde 65 Kilometer westlich der Hauptstadt San Salvador war das Epizentrum der Rebellion, die der damalige Diktator Maximiliano Martínez (1931-1944) blutig niederschlagen ließ. Dabei starben 30.000 bis 40.000 Menschen.


Jahrzehntelang ignoriert

In den Jahrzehnten darauf blieben die Indigenen weitgehend unsichtbar, angeblich weil sie sich nach dem Massaker mit der Mehrheitsbevölkerung der Mestizen vermischten. Um einer weiteren Verfolgung durch die folgenden Militärregime vorzubeugen, hätten sie ihre Sprachen ebenso aufgegeben wie ihre traditionelle Kleidung.

Die sozioökonomischen Lebensumstände der salvadorianischen Indigenen wurden in dem 6,3 Millionen Einwohner zählenden Land lange ignoriert. Untersucht werden sie erst in jüngster Zeit. Nach Erkenntnissen eines Indigenenberichts ('El Perfil de los Pueblos Indígenas de El Salvador') der Weltbank, der salvadorianischen Regierung und verschiedener Indigenenverbände stellen Indigene rund zehn Prozent der Landesbevölkerung. Sie verteilen sich auf drei Hauptgruppen: die Nahua/Pipil im Zentrum und im Westen des Landes, die Lenca im Osten und die Cacaopera im Norden.

Aus der 2003 veröffentlichten Untersuchung geht hervor, dass die meisten Indigenen auf Pachtland von der kleinbäuerlichen Landwirtschaft leben oder als Landarbeiter beschäftigt sind. Etliche indigene Gemeinden verkaufen zudem kunsthandwerkliche Gegenstände.

Der CCNIS will vor allem erreichen, dass die Regierung das Abkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ratifiziert. Doch bisher wurden dem Parlament keine Fristen für die Ratifizierung der bisher einzigen, völkerrechtlich verbindlichen Konvention zu den Rechten der indigenen Völker gesetzt.

Die Indigenenverbände fordern neben Landtiteln eine integrale Politik, die auf die Inklusion und den Respekt gegenüber den Weltanschauungen aller nativen Gruppen abzielt und die Indigenen in der Bildung, im Gesundheitsbereich, auf dem Arbeitsmarkt und in Entwicklungsprogrammen berücksichtigt.

So müsse das Gesundheitssystem des Landes eine medizinische Versorgung der Indigenen im Sinne der eigenen indigenen Kultur ermöglichen, heißt es in einem Bericht aus dem Jahr 2013 des damaligen Sonderberichterstatters der Rechte der indigenen Völker, James Anaya, der El Salvador im Jahr zuvor besucht hatte.

Ein solcher interkultureller Fokus hätte die Anerkennung traditioneller Heilungsmethoden zur Folge, wie sie der 88-jährige Rosalío Turush auch heute noch in Izalco praktiziert. Er greift wie seine Vorfahren auf Heilkräuter zurück, um Schmerzen zu lindern. Zerrungen und Brüche behandelt er mit Massagen, wie er berichtete.


Warten auf Sekundargesetze

Damit die Verfassungsreform ihre Wirkung entfalten kann, bedarf es sogenannter Sekundargesetze. "Solange diese Sekundargesetze ausbleiben, wird die Verfassung ein Papiertiger sein", bestätigte der Oberste Richter Florentín Meléndez auf der Gedenkfeier des Massakers von Izalco. Auch sei es an der Zeit, das dornige Thema der indigenen Landtitel anzugehen. "Die Abgeordneten müssen dafür sorgen, dass der bereits anerkannte kommunale Landbesitz in der Praxis Geltung erhält", fügte er hinzu.

Ende des 19. Jahrhunderts hatten sich die Kaffeebauern das kommunale Land der ethnischen Völker angeeignet und zehntausende Indigene und Bauern zu Landarbeitern gemacht, die auf den Kaffeeplantagen in tiefer Armut leben und arbeiten mussten. Damals wurde die Saat für die soziale Unzufriedenheit gelegt, die sich 1980 in einen zwölfjährigen Bürgerkrieg entlud, der 80.000 Menschen das Leben kostete.

Schon beim Indigenen-Aufstand von 1932 ging es um den Diebstahl von Land. "Wer sein Land nicht hergeben wollte, wurde mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen", berichtete der 74-jährige indigene Kunsthandwerker und Musiker Tito Kilizapa aus Izalco.

Wie die CCNIS-Vorsitzende Pérez erklärte, hatten einflussreiche Wirtschaftsgrößen im Land die Verfassungsreform aus Angst, dass sie die im 19. Jahrhundert angeeigneten indigenen Ländereien wieder hergeben müssten, zehn Jahre lang herausgezögert. Diese Gruppen behinderten auch die Verabschiedung der Sekundargesetze, die so wichtig seien, damit die Indigenen endlich von ihren Rechten, insbesondere Landrechten, Gebrauch machen könnten.

Wie Gustavo Pineda, Direktor für indigene Angelegenheiten im Kulturministerium, bestätigte, ist es ein langer und steiniger Weg, bis die Indigenen im Lande die Rechte erhalten, die ihnen zustehen. "Wie wurden lange und systematisch vernachlässigt und ignoriert. Wir sprechen immerhin von Jahrzehnten." (Ende/IPS/kb/2015)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2015/03/indigenas-salvadorenos-urgen-aplicacion-de-historica-conquista/
http://www.ipsnews.net/2015/03/newly-recognised-indigenous-rights-a-dead-letter/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 10. März 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. März 2015

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