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LATEINAMERIKA/1475: Costa Rica - Vertreibung der Indigenen von ihrem staatlich geschützten Kollektivland (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. August 2014

Costa Rica: Vertreibung der Indigenen von ihrem staatlich geschützten Kollektivland - Ethnien hoffen auf Hilfe von UN-Chef Ban Ki-moon

von Diego Arguedas Ortiz


Bild: © David Bolaños/IPS

Eine indigene costaricanische Familie, deren Hütte von nicht-indigenen Invasoren niedergebrannt wurde
Bild: © David Bolaños/IPS

San José, 4. August (IPS) - Indigene in Costa Rica, die sich seit Jahren mit Gewalt und Übergriffen auf ihre Territorien konfrontiert sehen, hoffen nun auf prominente Hilfe. 36 Führer der acht costaricanischen Volksgruppen hatten Gelegenheit, mit dem UN-Generalsekretär der Vereinten Nationen zu sprechen und ihn um Hilfe zu bitten.

Die costaricanischen Ureinwohner sehen sich mit einer Vielfalt von Schwierigkeiten konfrontiert, etwa bei der Beschaffung von Personalausweisen. Doch ihre derzeit größte Sorge gilt der gewaltsamen Besetzung ihrer Territorien durch Nicht-Indigene. Obwohl ihnen ein Gesetz Kollektivrechte über ihre Gebiete zugesteht, werden sie von Grundbesitzern und Viehzüchtern überfallen und vertrieben.

Die jüngste Episode trug sich vom 5. bis 8. Juli in der Ortschaft Cedror inmitten des indigenen Territoriums Salitre im Südosten Costa Ricas zu. In Reaktion auf Maßnahmen der ethnischen Bribri, ihre von Landbesitzern ('Finqueros') besetzten Gebiete zurückzugewinnen, fiel ein Mob aus 80 mit Steinen und Gewehren bewaffneten Personen in das Dorf ein, verjagte die dort lebenden Menschen und brannte deren Hütten nieder.


Regierung sagt Hilfe zu

Das Ausmaß der Gewalt veranlasste den seit Juni amtierenden Staatspräsidenten Luis Guillermo Solís dazu, die Vizeministerin für politische Angelegenheiten, Ana Gabriel Zúñiga, sowie Vertreter des Büros des Ombudsmanns und des Ministeriums für Frieden und Gerechtigkeit in das Krisengebiet zu entsenden.

Die Indigenenführerin Ligia Bejarano setzte den UN-Generalsekretär am 30. Juli über einen weiteren Vorfall in Kenntnis, der sich im Jahr 2010 zugetragen hatte. Damals wurden Indigene, die die Abgeordneten des zentralamerikanischen Landes für die Unterstützung eines weiteren, seit 19 Jahren überfälligen Indigenengesetzes gewinnen wollten, gewaltsam aus dem Parlament entfernt.

Nach Angaben von Bejarano zeigte sich Ban empfänglich für die Nöte der Indigenen. Er habe zudem erklärt, dass er über den letzten Anschlag auf die Indigenen im Land, die 2,6 Prozent der costaricanischen Bevölkerung stellen, informiert gewesen sei. Im Anschluss an das Treffen thematisierte der UN-Generalsekretär auf einer Konferenz im Interamerikanischen Gerichtshof in San José die Probleme und Diskriminierung der Indigenen am Isthmus.

Das indigene Territorium mit den größten Problemen ist Térraba, 150 Kilometer südöstlich von San José. Etwa 85 Prozent des indigenen Kollektivlandes wurde inzwischen von Nicht-Indigenen okkupiert, wie aus einem Bericht über die Lage der Nation von 2012 hervorgeht, den der unabhängige Nationale Rat der Universitätsrektoren erstellt hatte.

Nach dem Indigenengesetz von 1977 sind die Territorien der costaricanischen Ureinwohner unveräußerlich, dürfen nicht parzelliert werden und sind einzig und allein den Indigenen des zentralamerikanischen Landes vorbehalten. In anderen Worten ausgedrückt: Selbst wenn Außenstehende indigene Gebiete kaufen, sind die Landbesitztitel ungültig.

Wie die Indigenenführer gegenüber IPS erklärten, haben sie Ban gebeten, San José zu Maßnahmen zu drängen, die die Einhaltung des Gesetzes garantieren. Die Regierung müsse unter Beweis stellen, dass sie es mit indigenen Rechten ernst meine, indem sie die Eindringlinge von den indigenen Gebieten endlich entferne, erklärte die Bribri-Führerin Justa Romero, Mitglied der Kommission Indigener Frauen von Talamanca (ACOMUITA), einem Gebiet im Süden des zentralamerikanischen Landes.

Gemäß dem Zensus von 2011 leben die rund 100.000 Angehörigen der Volksgruppen Brunca, Ngäbe, Bribri, Cabécar, Maleku, Chorotega, Térraba und Teribe auf 24 indigenen Territorien, die zusammengenommen 350.000 Hektar groß sind und sieben Prozent der Landesfläche ausmachen.

Nach dem Besuch von Salitre erklärte Vizeministerin Zúñiga, dass die Regierung von Staatspräsident Solis, der seit Mai im Amt ist, die Rechte der indigenen Völker anerkenne und den Volksgruppen helfen werde, ihre Gebiete zurückzubekommen.

"Wir studieren derzeit alle Aspekte im Zusammenhang mit der Demarkierung von Salitre und werden prüfen, welche Nicht-Indigene auf dem indigenen Gebiet eine Farm betreiben und wer von ihnen Anspruch auf eine Entschädigung hat", meinte Geiner Blanco, Berater des Präsidenten für indigene Fragen vom Volk der Maleku.

Ein Gesetz, das die institutionellen Schwierigkeiten im Umgang mit den Indigenen überwinden soll, steckt seit 19 Jahren im Parlament fest. Die darin enthaltenen Reformvorschläge betreffen die Verwaltung der indigenen Gebiete durch indigene Räte, die Entfernung aller Nicht-Indigenen von indigenen Territorien und einen Bildungskanon, der der Kultur und Sichtweise der Indigenen Rechnung trägt.


"Wir wollen keine Bettler des Staates sein"

"Wir wollen keine Bettler des Staates sein. Würde das Gesetz verabschiedet, könnten wir uns im Sinne unserer Weltsicht, die den Schutz der Natur und der Gewässer beinhaltet, selbst entwickeln", sagte der Boruca José Carlos Morales, der an der Gesetzesvorlage und fünf Jahre lang in dem für Indigene zuständigen Gremium des UN-Menschenrechtsrats mitgewirkt hatte.

Magaly Lázaro, eine Angehörige der Volksgruppe der Brunca, die ebenfalls an dem Treffen mit Ban teilgenommen hatte, meinte gegenüber IPS, dass sie gern die Angst wieder loswerden würde, die ihr seit August letzten Jahres in den Knochen stecke. Damals hatte sie mit den Frauen und Kindern in Salitre eine Mahlzeit zubereitet, während die Männer die Grenzen des Territoriums überwacht hatten.

"Wir wollten mit dem Essen anfangen, als wir innerhalb von Sekunden von einer Gruppe Menschen mit Knüppeln umzingelt wurden", erzählte sie. "Das waren Finqueros und andere Weiße. Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich von dieser Form der Gewalt nur gehört, sie nie selbst erfahren. Die Angst, die ich damals erlebte, hat mich bis heute nicht verlassen." (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2014/07/indigenas-de-costa-rica-cuentan-sus-dramas-a-ban-ki-moon/
http://www.ipsnews.net/2014/08/indigenous-leaders-in-costa-rica-tell-ban-ki-moon-their-problems/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 4. August 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. August 2014