Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

LATEINAMERIKA/1451: Bolivien - Hunderte Anzeigen, keine Verurteilung. Anti-Rassismus-Gesetz folgenlos (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. Februar 2014

Bolivien: Hunderte Anzeigen, keine Verurteilung - Anti-Rassismus-Gesetz folgenlos

von Franz Chávez


Bild: © Franz Chávez/IPS

Indigene Bäuerinnen aus allen Regionen Boliviens auf einer Demonstration in La Paz
Bild: © Franz Chávez/IPS

La Paz, 14. Februar (IPS) - Vor drei Jahren hat Bolivien ein Gesetz erlassen, das Rassismus und Diskriminierung unter Strafe stellt. Seither kam es zwar zu Hunderten von Anzeigen. Doch verurteilt wurde bisher noch niemand.

Eine Erfahrung, die auch die Journalistin Rebeca Javier machen musste, nachdem sie am 31. Dezember in der südöstlichen Stadt Santa Cruz de la Sierra von einem Mann angegriffen und als 'Scheiß Indianerin' beschimpft wurde. Obwohl sie den Vorfall filmen konnte, kam der Täter nach acht Stunden wieder frei.

Dass bisher kein Urteil gesprochen wurde, liegt nach Ansicht von Leoncio Gutiérrez, Generaldirektor für den Kampf gegen Rassismus und gegen jede Form der Diskriminierung daran, dass Staatsanwälte und Richter die rassistischen Entgleisungen nicht als Straftat sehen.

"Doch wo ein Gesetz ist, sollte es auch eine Strafe geben", meinte die bolivianische Ombudsfrau Gricelda Sillerico. Sie verurteilte die fortgesetzte Straffreiheit, die die Diskriminierung in dem 10,3 Millionen Menschen zählenden Land perpetuiere. Die Mehrheit der Bolivianer sind Indigene. Staatspräsident des laut der Verfassung von 2009 plurinationalen Landes ist seit 2006 der Aymara Evo Morales.


"Koloniale Denkweise"

Die für die Strafverfolgung zuständigen Staatsanwälte seien nicht entschlossen genug, gegen die Strafbestände Rassismus und Diskriminierung vorzugehen, kritisierte Sillerico. "Doch die Justiz sollte nicht nachgiebig sein." Ihrer Meinung nach wird die Anwendung des Gesetzes zudem durch eine "koloniale Denkweise" erschwert, die fest in den Köpfen der bolivianischen Bevölkerung verankert sei.

Rassisten im Westen Boliviens beschimpfen Aymara-Frauen häufig als 'colla de mierda' ('Scheiß Indianerin'). Die von Víctor Hugo Soria auf diese Weise attackierte Rebeca Javier, die für einen der bekanntesten Fernsehsender der Region arbeitet, wird den Fall nicht auf sich beruhen lassen. Ihre Anzeige wird nun von einer Polizeieinheit für besondere Opfer untersucht.

Im Oktober 2010 hatte Morales das Gesetz gegen Rassismus in nationales Recht überführt. Es wurde von Anfang an kontrovers diskutiert, weil es auch Sanktionen für Medien vorsieht, die "ein rassistisches und diskriminierendes Gedankengut verbreiten". Medienunternehmen können zudem mit einem Arbeitsverbot von bis zu einem Jahr belegt werden.

Bei den Indigenen selbst stößt das Gesetz auf großen Zuspruch. Es sieht vor, rassistische Verhaltensweisen und jede Form der Diskriminierung abzustrafen und die Schutz- und Präventivmaßnahmen zu stärken. Es richtet sich gegen rassistisch motivierte Aktionen wie die Durchführung, Verbreitung und Anstiftung zu Rassismus und die Mitwirkung in rassistischen oder diskriminierenden Organisationen und Verbänden. Auch verbale Übergriffe sind verboten. Gefängnisstrafen zwischen einem und sieben Jahren sind möglich.

Diejenigen, die das Gesetz auf den Weg gebracht hatten, arbeiten nun daran, es mit der Hilfe der sozialen Verbände, ministerieller Ausschüsse, des Büros der Ombudsfrau und der Ständigen Menschenrechtsversammlung öffentlich zu machen.

Auch bei der Einhaltung der Gesetze gegen die Diskriminierung der Frau gibt es Schwierigkeiten, wie der Fall der zehn Mädchen zeigt, die sich 2012 in der zentralbolivianischen Stadt Cochabamba an einer privaten Jungenschule angemeldet hatten.

Ihre Anträge lösten beim Lehrpersonal, bei Schülern und Eltern Proteste aus, obwohl ein Gesetz den nach Geschlechtern getrennten Schulunterricht verbietet. "Die Mütter der Jungen erklärten, dass sie keine Verantwortung dafür übernähmen, wenn die Mädchen vergewaltigt würden", sagte Julieta Montaño vom unabhängigen Rechtsbüro für Frauen, das acht Personen - Schulleiter, Eltern und Lehrer - verklagt hat.

Der Gerichtsfall kommt jedoch nur im Schneckentempo voran. "Uns geht es nicht darum, die Höchststrafe durchzusetzen. Wir wollen einfach nur, dass die Straftat als solche geahndet wird und die Botschaft, dass Diskriminierung ein Delikt ist, ankommt", betonte die Aktivistin. Die Mädchen wurden inzwischen an der Bildungseinrichtung angenommen.

In den ersten zehn Monaten des letzten Jahres hatte das Vizeministerium für Dekolonisierung 135 Rassismus- und Diskriminierungsbeschwerden zugelassen. In der Mehrheit ging es um Übergriffe im Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung und mit Bildungsgraden. In 57 Prozent der Fälle ereigneten sich die Übergriffe innerhalb der Behörden.

Das Büro der Ombudsfrau hatte zwischen 2010 und Oktober 2013 1.652 Beschwerden erhalten. Sie kamen unter anderem von älteren Menschen, Behinderten, Farmern, Kokabauern, Häftlingen, Migranten, jungen Leuten und schwangeren Frauen. In einen Fall war auch ein Senator der Regierungspartei 'Bewegung zum Sozialismus' involviert, der 2012 erklärt hatte, dass von zehn Kolumbianern, die nach Bolivien kämen, acht in illegale Aktivitäten verwickelt seien. Für die Äußerung hat er sich später entschuldigt.


Raum für Versöhnung

Der afro-bolivianische Abgeordnete Jorge Medina ist dagegen, Personen wegen Diskriminierung mit einer Gefängnisstrafe zu belegen. "Das wäre das schlimmste, was uns passieren könnte", meinte er. "Das Gesetz zielt nicht darauf ab, die Gefängnisse mit Personen zu füllen, die diskriminieren." Der Politiker hält einen versöhnlichen Ansatz für sinnvoller, etwa wenn sich Verbalaggressoren bei ihren Opfern entschuldigten.

Der bisher prominenteste Prozess, der im Zusammenhang mit Rassismus und Diskriminierung eröffnet wurde, richtet sich gegen die Nachrichtenagentur 'Fides' und die Zeitungen 'El Diario' und 'Página Siete'. Ihnen wirft die Regierung vor, eine Rede von Staatspräsident Morales vom 15. August 2012 verdreht wiedergegeben und damit den Rassismus im Lande geschürt zu haben. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnoticias.net/2014/02/ley-contra-discriminacion-ignorada-por-fragil-justicia-boliviana/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 14. Februar 2014
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2014