Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

LATEINAMERIKA/1447: Argentinien - Gefolgsmann der Diktatur, Kontroverse über neuen Heereschef (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. Januar 2014

Argentinien: Gefolgsmann der Diktatur - Kontroverse über neuen Heereschef

von Fabiana Frayssinet


Bild: © Mit freundlicher Genehmigung des argentinischen Präsidialamts

Präsidentin Cristina Fernández übergibt César Milani am 19. Dezember im Rahmen eines Festakts den Säbel des Generalleutnants
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung des argentinischen Präsidialamts

Buenos Aires, 8. Januar (IPS) - In Argentinien hat der Aufstieg eines Militärs zum neuen Heereschef, der der Komplizenschaft mit der Diktatur von 1976 bis 1983 beschuldigt wird, ein Schlaglicht auf den schmalen Grat zwischen der moralischen und der juristischen Verantwortung der Sicherheitskräfte geworfen, die Menschenrechtsvorwürfe häufig mit dem Argument der Gehorsamspflicht kontern.

Der Senat hatte am 18. Dezember die Beförderung von César Milani zum Generalleutnant gebilligt und damit automatisch grünes Licht für dessen Aufstieg zum neuen Heereschef erteilt. Die Entscheidung ist jedoch wegen der Rolle, die Milani zur Zeit der Diktatur in der nordargentinischen Provinz La Rioja spielte, umstritten.

Der Neue an der Spitze der Teilstreitmacht hat inzwischen seinen Posten als Generaldirektor des militärischen Geheimdienstes geräumt. Dass er das Amt nach seiner Ernennung zum Heereschef im Juli zunächst beibehalten hatte, heizte die Diskussion über seine Person und seine Macht erst richtig an.

Milani will nicht gewusst haben, was sich in La Rioja in der Bataillon 141 zur Zeit der Diktatur abspielte. Doch der Journalist Guillermo Alfieri, der in den Jahren von 1976 bis 1980 als politischer Häftling in einem Militärgefängnis in der Provinz einsaß, glaubt ihm nicht. "Milani besitzt nicht die Arglosigkeit einer Heidi (Protagonistin einer Kindergeschichte von Johanna Spyri) sondern die Verschlagenheit eines Tartuffe (Romanfigur des französischen Schriftstellers Molière)", meinte er gegenüber IPS.

Während der letzten Diktatur waren 30.000 Menschen ermordet worden oder 'verschwanden'. Zudem wurden nach Angaben von unabhängigen Menschenrechtsorganisationen 500 Kinder entführt.


Argument der Gehorsamspflicht

Milani selbst wehrt sich gegen den Vorwurf, Handlanger eines verbrecherischen Regimes gewesen zu sein. Er sei damals sehr jung gewesen und habe lediglich Befehle ausgeführt, meinte der Militär, der allerdings in drei offene Gerichtsverfahren involviert ist, die die Angehörigen von Diktaturopfern angestrengt haben.

In einem Prozess geht es um das Verschwinden des Soldaten Alberto Ledo. Milani hatte das Dokument unterzeichnet, dass die angebliche Desertation des jungen Militärs bestätigte. Ledo war zuletzt 1976 in der ebenfalls nördlichen Provinz Tucumán während der 'Operation Unabhängigkeit' lebend gesehen worden. Die Militäraktion wurde als Einsatz zur Niederschlagung einer Guerillaeinheit dargestellt, mündete jedoch in einer allgemeinen Repression.

Alfieri bezeichnet in seiner Autobiografie den Fall als Akt von Staatsterrorismus. Er hatte Ledo selbst als "sympathischen jungen Mann" kennengelernt, "der sich für Geschichte und Musik interessierte und gemäßigte linke Ideen vertrat".

Die Beförderung Milanis wurde vom Senat mit 39 Ja- und 30 Neinstimmen gebilligt, nachdem er bereits im vergangenen Juli von der Regierung der Staatspräsidentin Cristina Fernández zum obersten Militärchef ernannt worden war. Fernández hatte auf die Kritik auch aus den eigenen Reihen mit dem Hinweis reagiert, nach dem Prinzip der Unschuldsannahme verfahren zu sein. Senator Aníbal Fernández von der regierenden Front für den Sieg rechtfertigte sein Votum mit den Worten: "Ich kann doch nicht auf der Grundlage von Verdächtigungen einen General hinrichten oder lynchen."

Verschiedene Menschenrechtsorganisationen und der Friedensnobelpreisträger von 1980, Adolfo Pérez Esquivel, sprachen von einem Rückschritt im Umgang mit der düsteren Vergangenheit. Sie erinnerten daran, dass das Argument der Gehorsamspflicht, auf das Milani zurückgreift, von rangniedrigen Militärs mit dem Ziel vorgebracht wurde, ihre Teilnahme an Menschenrechtsverbrechen zu rechtfertigen.


Kritik an Staatspräsidentin

Der Fall Milani hat nicht zuletzt auch deshalb Kritik und Betroffenheit ausgelöst, weil sich die Regierungen des inzwischen verstorbenen Präsidenten Néstor Kirchner (2003-2007) und dessen Frau und Amtsnachfolgerin Fernández aktiv für die Menschenrechte und gegen das kollektive Vergessen eingesetzt hatten. Sie schafften die Amnestiegesetze ab und unterstützten die Gerichtsverfahren gegen die Menschenrechtsverbrecher der Diktatur, von denen seit 2003 515 verurteilt wurden.

"Es ist für mich ein Schlag ins Gesicht, dass die Regierung das Mitglied eines kriminellen Apparats schützt und fördert, der versucht hat, Ledo als Deserteur hinzustellen", meinte Alfieri.

Das unabhängige Zentrum für rechtliche und soziale Forschung (CELS) hatte sich von Anfang an gegen dessen Ernennung zum Heereschef gestellt. Der Militärchef wandte sich daraufhin an CELS mit der Bitte, seine Version darlegen zu dürfen und schrieb in einem Fragekatalog vom 13. Dezember, dass die Repression in La Rioja "passiv und von niedriger Intensität" gewesen sei.

Doch Alfieri zufolge wurden dort die meisten Menschen festgenommen und verschleppt, was ihren Anteil an der Zahl der Provinzbewohner betrifft. "In La Rioja wurde eine intensive Hexenjagd betrieben. Menschen wurden systematisch gefoltert und Gefängnisse in Konzentrationslager verwandelt." Sogar die Sporthalle der Ingenieursbataillon 141 sei in den ersten Tagen der Diktatur zu einem Haftzentrum umfunktioniert worden. (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

http://www.cels.org.ar/home/index.php
http://www.ipsnoticias.net/2014/01/sombras-de-dictadura-sobre-nuevo-jefe-militar-argentino/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 8. Januar 2014
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Januar 2014