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LATEINAMERIKA/1290: Kolumbien - Staat entschuldigt sich für Mord an kommunistischem Senator (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. August 2011

Kolumbien: Staat entschuldigt sich für Mord an kommunistischem Senator - Akt der Reue weckt Hoffnung auf nationalen Neuanfang

Von Constanza Vieira

Minister Vargas entschuldigt sich für Mord an Senator Cepeda - Bild: © Constanza Vieira/IPS

Minister Vargas entschuldigt sich für Mord an Senator Cepeda
Bild: © Constanza Vieira/IPS

Bogotá, 11. August (IPS) - "Ich nehme die Entschuldigung als Zeichen eines Neuanfangs an, der eine demokratische Teilhabe aller politischer Kräfte in Kolumbien zulässt." Mit diesen Worten hat Kolumbiens linker Abgeordneter Iván Cepeda auf einen bislang einmaligen Vorgang reagiert: auf die erste Entschuldigung des kolumbianischen Staates für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die von staatlichen Sicherheitskräften und ihren Helfershelfern, den ultrarechten Paramilitärs, im Verlauf des anhaltenden Bürgerkriegs begangen wurden.

In Anerkennung eines Urteils des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs übernahm Kolumbiens Innenminister Germán Vargas Lleras am 9. Juli vor beiden Kammern des Parlaments die Verantwortung für den vor 17 Jahren begangenen Mord an Cepedas Vater, dem kommunistischen Journalisten und ehemaligen Senator der Patriotischen Union (UP), Manuel Cepeda.

Vargas Lleras verlas während seiner Ansprache Teile des im Mai 2010 gefällten Urteils des höchsten Gerichts der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), das die Vorgängerregierung des ehemaligen Staatspräsidenten Álvaro Uribe (2002-2010) ignoriert hatte. Das Verbrechen an Manuel Cepeda sei von staatlichen Akteuren und somit vom kolumbianischen Staat begangen worden, erklärte Vargas Lleras und fügte hinzu, dass es ein Anliegen seiner Regierung sei, dafür zu sorgen, dass sich derartige Vorfälle "nie mehr" wiederholten.

Die UP war 1985 von der politischen Linken als Beitrag zur Lösung des bewaffneten Konfliktes zwischen der damaligen Regierung von Belisario Betancur (1982-1986) und den FARC-Rebellen gegründet worden. Die FARC hatte sich 1964 aus den Trümmern der ersten Phase des 1946 begonnenen kolumbianischen Bürgerkriegs erhoben. Doch gleich nach der Gründung der UP wurden die Mitglieder der legalen neuen Gruppierung systematisch verfolgt und umgebracht.

Die größte politische Kraft innerhalb der UP war die Kommunistische Partei, für deren Wochenzeitung 'Voz' (Stimme) Manuel Cepeda 18 Jahre lang tätig war, zuletzt als ihr Direktor. "Seine Ermordung am 9. August 1994 war nach fast 5.000 extralegalen und meist straffreien Hinrichtungen eine Art Gnadenstoß in einem langen Martyrium, von dem sich die Kommunisten bis heute nicht erholt haben", erläuterte der derzeitige Voz-Direktor Carlos Lozano während der direkt übertragenen Feierlichkeiten im Parlament.

Die Anerkennung des Urteils des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs durch die kolumbianische Regierung und die Bereitschaft der Familie von Manuel Cepeda, die Entschuldigung anzunehmen, hat auf Abgeordnete, Angehörige und Weggefährten des Opfers einen tiefen Eindruck hinterlassen. "Was ich soeben gehört habe, gibt mir ein Gefühl von Genugtuung", sagte Jorge Lara Bonilla, Mitglied der von der Betancur-Regierung eingerichteten Friedenskommission und Bruder des am 30. April 1984 erschossenen Justizministers Rodrigo Lara. "Genau das braucht unser Land: Gedankenfreiheit, um unser Land groß zu machen."

Der Festakt stimme hoffnungsvoll, sagte auch Ángela María Robledo von Kolumbiens Grünen im Unterhaus. "Ich kann mir vorstellen, dass nun die persönlichen, politischen und historischen Wunden in Kolumbien abheilen können."

"Jeder lange Marsch beginnt mit einem ersten Schritt", sagte Iván Cepeda. Nach diesem Festakt werde es für Menschenrechtsverletzer in Uniform schwer werden, die Morde an den UP-Mitgliedern als Verbrechen der Drogenmafia darzustellen. "Der Staat hat gestanden, Manuel Cepeda getötet, das Verbrechen weder aufgeklärt noch gesühnt und bis vor kurzen auch nicht anerkannt zu haben."

Für seine Tante Ruth Cepeda, der Zwillingsschwester von Manuel Cepeda, war der 9. August ein "schwerer Tag". Ob ihr die Entschuldigung Trost spende, wurde sie von IPS gefragt. "Nein", antwortete sie. Es sei mehr ein Gefühl der Hoffnung, dass sie umtreibe. Und die Sorge, dass das bisher Erreichte nicht die Früchte tragen werde, die man sich erhoffe. Damit spielte Ruth Cepeda auf die Hoffnungen der Familien von 3.999 Opfern an, die ein Kollektivverfahren innerhalb des interamerikanischen Rechtssystem angestrengt haben.

"Würde für jedes einzelne Opfer der staatlichen Verbrechen ein solcher Festakt organisiert, würde die Zeit nicht ausreichen und es würden nicht nur Jahre, sondern Jahrzehnte vergehen", meinte der Priester Javier Giraldo, Leiter einer Datenbank, die rund 100.000 Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Kolumbien seit 1988 zusammengetragen hat. Die Opfer der derzeitigen Gewalt schätzt er auf 110.000. Jüngsten OAS-Zahlen zufolge haben demobilisierte Paramilitärs inzwischen 180.000 Verbrechen gestanden. (Ende/IPS/kb/2011)

Links:
http://www.fundacionmanuelcepeda.org/index.php?option=com_content&view=frontpage&Itemid=1
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=98844

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 11. August 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2011