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LATEINAMERIKA/1137: Chile - Mysteriöser Mord an Chemiker geklärt, Pinochet-Offiziere verurteilt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. September 2010

Chile: Mysteriöser Mord an Chemiker geklärt - Offiziere des Pinochet-Regimes verurteilt

Von Daniela Estrada


Santiago, 13. September (IPS) - Im Auftrag des chilenischen Diktators Augusto Pinochet entwickelte der Chemiker Eugenio Berríos in den siebziger Jahren das Giftgas Sarin. Der Wissenschaftler, dessen Erfindung vielen Menschen den Tod brachte, wurde schließlich selbst Opfer eines Verbrechens. 37 Jahre nach dem Militärputsch hat ein Gericht in Chile nun seine Mörder verurteilt.

Die elf Chilenen und drei Uruguayer wurden für schuldig befunden, Berríos 1991 entführt und getötet zu haben. Ein Jahr nach der Wiedereinführung der Demokratie in Chile wollten die Geheimdienste verhindern, dass der Chemiker im Mordfall Orlando Letelier gegen die Pinochet-Junta aussagen konnte. Der Außenminister des durch den Putsch 1973 gestürzten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende war 1976 durch die Explosion einer Autobombe in Washington getötet worden.

Jorge Molina Sanhueza, der 2002 ein Buch über das Verbrechen an Berríos veröffentlicht hatte, spricht von einem "historischen Urteil". Damit werde das Kapitel des Übergangs zur Demokratie in Chile geschlossen, sagte er im Gespräch mit IPS.

Berríos erarbeitete für den berüchtigten Geheimdienst DINA eine neue Formel für das einst von den Nazis erfundene Giftgas, das im Körper der Opfer keine Spuren hinterlässt. Wie der Richter Alejandro Madrid nun bei der Urteilsverkündung gegen Berríos' Mörder erklärte, handelte es sich bei dem Verbrechen um eine der letzten Aktionen im Rahmen des 'Plan Condor'.


Gemeinsamer Einsatz des 'Plan Condor'

Die damaligen Militärregime in Südamerika hatten sich mit Billigung der USA zusammengeschlossen, um in den siebziger und achtziger Jahren gemeinsam und landesübergreifend gegen ihre Gegner vorgehen zu können. Als Berríos entführt wurde, war nicht nur in Chile, sondern auch in Uruguay die Diktaturzeit längst beendet.

Wie aus der Urteilsschrift hervorgeht, boten die chilenischen Militärs den Offizieren aus Uruguay für die Beteiligung an dem Verbrechen Geld an. Als Hauptverantwortliche für die Entführung und Ermordung des Chemikers wurde der ehemalige chilenische Heeresoffizier Arturo Silva Valdés zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Hinzu kommen weitere drei Jahre Haft wegen Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung.

Auch 13 weitere Angeklagte, unter ihnen ein früherer chilenischer Militärstaatsanwalt und die 2006 an Chile ausgelieferten Uruguayer, erhielten mehrjährige Haftstrafen. Die Verteidiger der uruguayischen Ex-Offiziere kündigten an, in Berufung zu gehen. Weitere fünf Angeklagte wurden in dem Aufsehen erregenden Verfahren freigesprochen. Richter Madrid steht seit Juli 2009 unter Polizeischutz, nachdem er anonyme telefonische Drohungen erhalten hatte.

Der Fall Berríos galt jahrelang als äußerst undurchsichtig. Nach heutigen Erkenntnissen wurde der Wissenschaftler aus Chile zunächst in das Nachbarland Argentinien, von dort aus nach Uruguay verschleppt und von chilenischen und uruguayischen Militärs bewacht. Lebend wurde Berríos zum letzten Mal im November 1992 gesehen, als er auf einer Polizeiwache in dem Badeort Parque del Plata nahe der Hauptstadt Montevideo auftauchte und erklärte, entführt worden zu sein. Zwei der nun verurteilten Offiziere nahmen ihn von dort wieder mit.

Seine Leiche wurde 1995 an einem Strand nahe Parque del Plata gefunden. Berríos war offenbar mit Kopfschüssen hingerichtet worden. Der Autor Molina bringt den Mord an dem Chemiker mit dem mysteriösen Tod des ehemaligen chilenischen Staatspräsidenten Eduardo Frei Montalva in Zusammenhang. Frei starb 1982 an den Folgen einer Infektion, die er sich bei einem Routineeingriff in einer Klinik in Santiago de Chile zugezogen hatte. Auch in diesem Fall leitet Richter Madrid die Ermittlungen.


Zusammenhang mit mysteriösem Tod von Ex-Präsident vermutet

Frei hatte die wegen eines Leistenbruchs vorgenommene Operation zunächst gut überstanden. Nach sechs weiteren Eingriffen starb er aber an den Folgen einer rasch fortschreitenden Infektion. Belgische Experten untersuchten nach seinem Tod Gewebeproben, in denen Spuren von Senfgas und der hoch toxischen Substanz Thallium entdeckt wurden. Seine Organe wurden ebenfalls entnommen, verschwanden danach allerdings spurlos.

Politische Beobachter rechnen nun damit, dass das Urteil gegen Berríos' Mörder auch den weiteren Verlauf im Fall Frei beeinflussen wird. Bei den Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Chemiker entdeckte Madrid ein Labor der chilenischen Armee, in dem bakteriologische Kriegswaffen hergestellt wurden.

Von dort stammt aller Wahrscheinlichkeit auch das Gift, das bei der Autopsie von Freis Leiche gefunden wurde. Auch mehrere Mitglieder der linksgerichteten Bewegung MIR waren 1981 in einem Gefängnis an den Folgen einer Vergiftung gestorben. (Ende/IPS/ck/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. September 2010