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LATEINAMERIKA/1073: Honduras - Frauenmorde und Arbeitsbedingungen in den Maquilas (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 110, 4/09

¡BASTA!
Über die Zusammenhänge zwischen Frauenmorden und den Arbeitsbedingungen in den Maquilas

Von Aleksandra Kolodziejczyk


Frauensolidarität grenzenlos, zwölf Beispiele aus der globalen Arbeitswelt: So heißt der aktuelle Kalender der Frauensolidarität für das Jahr 2010. Im Rahmen der Kalenderpräsentation sprach Katherine Ronderos im Oktober 2009 in Wien über die Zusammenhänge zwischen Gewalt gegen Frauen und ihrer Diskriminierung in den Maquila-Betrieben in Honduras.


Katherine Ronderos arbeitet für das Central American Women's Network (CAWN). Mit ihrem Sitz in London setzt sich die Organisation für Frauenrechte in Zentralamerika ein und unterstützt durch Kooperationen den Kampf von Frauenbewegungen vor Ort. Zusammen mit dem Centro de Estudios de la Mujer - Honduras(1) (CEM-H) arbeitet CAWN seit 2006 an einem Projekt gegen Gewalt an Frauen. Die Frauenorganisation CEM-H setzt sich für eine Gesellschaft ohne Gewalt ein, in der die Gleichheit der Geschlechter und soziale Gerechtigkeit Wirklichkeit werden sollen. Im Rahmen des Projekts unterstützen CEM-H-Aktivistinnen Frauen aus armen und marginalisierten comunidades, Gemeinden, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. Die Unterstützung dieser Frauen umfasst psychologischen und rechtlichen Beistand, Menschenrechtstrainings sowie Fortbildungen mit dem Ziel, alternative Einkommensmöglichkeiten zu schaffen, berichtete Katherine Ronderos.


Menschenrechtsverletzungen für den Weltmarkt

CEM-H begegnet Gewalt an Frauen mit Maßnahmen, die die ökonomische Unabhängigkeit der betroffenen Frauen stärken und ein Bewusstsein über Frauenrechte schaffen sollen. Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen findet sich in allen Bereichen der honduranischen Gesellschaft wieder, wobei es enge Verflechtungen zwischen häuslicher Gewalt und der Missachtung von Menschenrechten am Arbeitsplatz gibt. Die meisten marginalisierten jungen Frauen sind aufgrund ihrer unzureichenden Ausbildung gezwungen, in Maquilas zu arbeiten, da der honduranische Arbeitsmarkt sonst kaum Alternativen bietet.

In Maquilas, den Zulieferbetrieben der internationalen Textilkonzerne, sind zum überwiegenden Teil junge, allein stehende und kinderlose Frauen unter 23 Jahren beschäftigt, berichtet Katherine Ronderos. Aufgrund bilateraler Abkommen mit den USA, im Zuge derer der US-Zollsatz für honduranische Bekleidungsprodukte 2002 auf 3,3% (von 19,1% 1990) fiel, kam es in den letzten Jahren zu zahlreichen Maquila-Neugründungen. Heute stellt die Maquila-Industrie den größten Arbeitgeber in Honduras und die zweitwichtigste Devisenquelle nach den ausländischen Rücküberweisungen dar(2). Der wichtigste Absatzmarkt für Textilprodukte sind die USA mit einem Anteil von 62,1% des gesamten Exportvolumens(3).

Es gibt einige Feministinnen, die die positiven und befreienden Aspekte der Maquila-Industrie hervorheben, da die Arbeit in den Betrieben den Frauen eine Einkommensquelle außerhalb des eigenen Heimes ermöglicht. Dem stehen aber die unwürdigen Arbeitsbedingungen und die Verletzung grundlegender Menschenrechte gegenüber. Verträge mit einer kurzen Laufzeit, Gehälter unter den Mindestlöhnen, unbezahlte Überstunden, keine rechtliche Absicherung, obligatorische Schwangerschaftstests und die Kurzlebigkeit vieler Maquila-Betriebe, die nach ein paar Monaten schließen, sind einige von Katherine Ronderos beschriebenen Diskriminierungen. "Das Verlassen der traditionellen Hausfrauenrolle ist für viele arbeitende Frauen auch mit einem Anstieg an häuslicher Gewalt von Ehemännern, Verwandten und Bekannten verbunden", beklagt Ronderos. CEM-H arbeitet an der Schnittstelle zwischen häuslicher Gewalt und ökonomischem Empowerment von Frauen und organisiert Protestmärsche, in denen Maquila-Arbeiterinnen über ihre Rechte aufgeklärt werden.


Geschlechtsspezifische Gewalt

Die Arbeit in den Maquilas ermöglicht vielen Frauen ein - wenn auch nur sehr geringes - Einkommen, jedoch unter diskriminierenden, frauenverachtenden und rechtsverletzenden Bedingungen. Die ökonomische Ausbeutung der Frauen unter der neoliberalen Maxime der Produktionsoptimierung und Profitmaximierung trägt somit zu keiner Verbesserung ihrer gesellschaftlichen Stellung bei. Maquilas und die dahinter stehende Weltmarktordnung sind vielmehr soziale Akteure, die selbst Gewalt gegen Frauen ausüben. In unmittelbarem Zusammenhang trägt das neoliberale Wirtschaftssystem zu dem extremsten Ausdruck von geschlechtsspezifischer Gewalt, nämlich den Frauenmorden, bei, indem es die Gewalt gegen Frauen im Arbeitsbereich fortführt.

Verstümmelte Körper von vergewaltigten und ermordeten Frauen drangen erstmals 1993 in das Bewusstsein der internationalen Öffentlichkeit, bekannt als die Frauenmorde von Ciudad Juárez, einer Grenzstadt zwischen Mexiko und den USA. Femizide werden die an Frauen verübten Morde bezeichnet, wobei Frauen gezielt wegen ihres Geschlechts gefoltert, misshandelt und getötet werden. Vor allem Frauen aus marginalisierten, armen Gesellschaftsschichten sind besonders gefährdet, Opfer von Gewalttaten zu werden. Frauenmorde sind kein neues Phänomen, jedoch haben sie in den letzten Jahren in Zentralamerika drastisch zugenommen.

Femizide sind eine "extreme Form von geschlechtsspezifischer Gewalt, die Frauen zu Hause, am Arbeitsplatz, in der comunidad und in der Beziehung zum Staat erfahren, Gewalt, die untrennbar verbunden ist mit tief verankerter Ungleichheit der Geschlechter, mit ökonomischer Entmachtung und der Aggressivität des machismo"(4).

Im Jahr 2008 wurden in Honduras 312 Frauenmorde dokumentiert, wobei laut CEM-H besonders junge, arme Frauen, die am Rande der Legalität arbeiten, durch Gewalt bedroht sind, aber auch Studentinnen und Hausfrauen. Maquila-Arbeiterinnen fallen in diese Gruppe.

Vielen Femiziden gehen Fälle häuslicher Gewalt voraus, die meisten Täter sind mit dem Opfer verwandt oder die Morde geschehen im Auftrag von Verwandten. Die honduranische Regierung und Justiz sieht jedoch kriminelle Organisationen und Jugendbanden hinter diesen Gewalttaten und trägt so zur Unterlassung der strafrechtlichen Verfolgung der Täter bei. Dies bedeutet eine stillschweigende Legitimierung der Frauenmorde von staatlicher Seite.


Gewalt gegen Frauen - Teil der Normalität?

Die Unterlassung des Staates, Fälle von häuslicher Gewalt gegen Frauen und Feminizide strafrechtlich zu verfolgen, verdeutlicht den Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Akzeptanz von häuslicher Gewalt gegen Frauen und von Frauenmorden. Die Ausbeutung der Frauen in den Maquilas, die von den Medien transportierten frauenfeindlichen Genderbilder und das Nicht-Reagieren von zuständigen Ärzten auf körperliche Gewaltmale tragen ebenso zur Normalisierung von Gewalt gegen Frauen bei. Die strukturelle Diskriminierung und die Gewalt gegen Frauen sind zur weitgehend akzeptierten Normalität geworden, zum Nährboden der extremsten Form der frauenverachtenden Gewalt, der Femizide.

CEM-H versucht die Zusammenhänge zwischen häuslicher Gewalt, ökonomischer Abhängigkeit und Missachtung von Frauenrechten in das öffentliche Bewusstsein zu rücken. Mit Trainingsmaßnahmen für Entscheidungsträger der comunidades und Workshopangeboten für Männer zu alternativen Maskulinitätskonzepten will CEM-H zur Sensibilisierung und Prävention von Gewalt gegen Frauen beitragen.

Die enge Verbindung zwischen Armut, Ungleichheit der Geschlechter und Gewalt gegen Frauen macht die gesellschaftspolitische Verantwortung von transnationalen Konzernen und nationalen Zulieferbetrieben deutlich. Eine Verbesserung des sozialen Status von Frauen ist ohne ein gerechtes Wirtschaftssystem nicht möglich. Somit fordert auch CEM-H ein Ende der Diskriminierung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt und eine menschenwürdige und angemessen entlohnte Arbeit: "Basta de la discriminación contra las mujeres en el mundo laboral"(5), damit eine gewaltfreie, gerechte Gesellschaft in eine ein klein wenig nähere Zukunft rücken kann.


Anmerkungen:

(1) Centro de Estudios de la Mujer - Honduras (CEM-H) bedeutet übersetzt Zentrum für Frauenstudien - Honduras.

(2) Vgl. Exportförderzonen als Entwicklungsmotor? Erfahrungen aus der Bekleidungsindustrie in Choloma: Honduras o.J
http://www.2015.venro.org/fileadmin/redaktion_2015/pdf/2015_Campus_Nr02_Exportfoerderzonen.pdf

(3) Vgl. https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ho.html

(4) Aus: No more killings! Women respond to femicides in Central America.
http://www.cawn.org/publications/documentation/other-publications/article-by-Marina-Marilyn-and-Mandy.pdf

(5) Ein Ende der Diskriminierung der Frauen in der Arbeitswelt!


Webtipps:

CAWN http://www.cawn.org/

CEM-H http://www.cemh.org.hn/


Klappe auf! Videoblog mit Katherine Ronderos und weiteren
Aktivistinnen gegen Gewalt gegen Frauen: www.diestandard.at

Frauensolidarität grenzenlos 2010:
Katherine Ronderos berichtet über die Arbeitsbedingungen von Frauen in Honduras;
Globale Dialoge - Women on Air vom 10.11.2009 auf www.noso.at


Zur Autorin:
Aleksandra Kolodziejczyk studierte Kultur- und Sozialanthropologie und internationale Entwicklung. Sie ist Projektleiterin der Sendereihe "Globale Dialoge" bei Orange 94.0 und Mitglied der Redaktionsgruppe Women on Air. Sie lebt in Wien.


*


Quelle:
Frauensolidarität Nr. 110, 4/2009, S. 28-29
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Senseng 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Österreich und Deutschland 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2010